Klaasohm-Fest in der Kritik Männer schlagen Frauen – alter Brauch löst Empörungswelle aus

Jenny Keller

30.11.2024

Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfasssäule in die Arme der Schaulustigen. (Archiv)
Mit Masken verkleidete Männer des Vereins Borkumer Jungens stürzen sich in der Innenstadt der Nordseeinsel von einer Litfasssäule in die Arme der Schaulustigen. (Archiv)
Reinhold Grigoleit / Keystone

Am Vorabend des Samichlaustags jagt eine Gruppe maskierter Männer auf Borkum Frauen durch die Strassen und schlägt sie mit Kuhhörnern. Die «Klaasohm-Tradition» blieb lange vor der Öffentlichkeit verborgen.

Jenny Keller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Beim Klaasohm-Fest auf der deutschen Insel Borkum jagen maskierte Männer Frauen und schlagen sie mit einem Kuhhorn – eine Praxis, die als «Tradition» bezeichnet wird.
  • Lange wurde der Brauch vor Aussenstehenden geheim gehalten, doch eine ARD-Reportage zeigt die aggressive Seite dieser «Tradition».
  • Nach heftiger Kritik und Intervention seitens Politik und Öffentlichkeit hat der veranstaltende Verein angekündigt, das Schlagen mit Kuhhörnern abzuschaffen.
  • Der Brauch geht angeblich auf die Zeit der Walfänger zurück, die nach monatelanger Abwesenheit wieder ihre Dominanz über die Frauen zeigen wollten.

Auf der Nordseeinsel Borkum wird jedes Jahr am 5. Dezember ein Fest gefeiert, das nicht nur fröhliche Töne anschlägt: Klaasohm. Bei diesem Brauch jagen maskierte Männer Frauen und schlagen sie mit einem Kuhhorn.

Das Ritual, das vor Auswärtigen geheim gehalten wurde, hat nun für breites Entsetzen gesorgt. Das ARD-Magazin Panorama veröffentlichte kürzlich eine Reportage, welche die Szenen dieses bizarren «Samichlausbrauchs» zeigt. Im Beitrag berichten Frauen anonym von aggressiven Übergriffen, denen sie sich ausgeliefert fühlten. Manche hätten nach den Schlägen tagelang Schmerzen gehabt.

Auf der rund 5'000 Einwohner*innen zählenden Insel wird der problematische Charakter des Festes kaum offen diskutiert. Laut Recherchen des NDR ruft der Veranstalter – der Verein Borkumer Jungens von 1830 – seine Mitglieder ausdrücklich zur Verschwiegenheit auf.

Niemand soll aus Angst zu Hause bleiben

Öffentlich wollte zunächst deshalb wenig überraschend weder der Verein noch der Bürgermeister von Borkum Stellung nehmen. Es folgte jedoch eine Welle der Empörung in Deutschland, die ein Umdenken bei den Verantwortlichen ausgelöst hat.

Christine Arbogast, niedersächsische Staatssekretärin im Sozialministerium, äusserte sich klar: «Brauchtum und Traditionen haben grundsätzlich einen hohen Stellenwert. Aber es ist klar, dass alles da sein Ende findet, wo sich Frauen unsicher fühlen und Angst vor körperlicher Züchtigung haben.»

Sie betonte, dass niemand aus Angst zu Hause bleiben müsse: «Wer sich den Hintern mit einem Horn versohlen lassen möchte, darf das tun. Aber wer das nicht möchte, muss ebenso respektiert werden.»

Verein versteht die Kritik

Der Verein Borkumer Jungens versucht nun, die Kritik zu beschwichtigen. In einer Stellungnahme räumten sie ein, dass das Schlagen mit Kuhhörnern früher «und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren» Teil der Tradition gewesen sei.

Gleichzeitig distanzierte sich der Verein «ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen» und entschuldigte sich für die «historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre». Man wolle künftig das Schlagen komplett abschaffen und das Fest transparenter gestalten, um Missverständnisse aufzuklären.

«Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen», heisst es in der Stellungnahme.

Bürgermeister findet ARD-Beitrag «unseriös»

Der Bürgermeister von Borkum, Jürgen Akkermann, hat sich ebenfalls zu den Vorwürfen geäussert, jedoch weniger einsichtig. Er kritisierte den Beitrag des Panorama-Magazins als «tendenziös und unseriös». Diese Meinung werde auch von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt, so Akkermann.

Er betonte, dass das Fest auf Borkum von Frauen, Männern und Kindern gemeinsam gefeiert werde, sowohl in den Strassen als auch in den Lokalen. «Leider kommen die positiven Stimmen im Bericht nicht zu Wort», beklagte der Bürgermeister.

Jürgen Akkermann (parteilos), Bürgermeister der Stadt Borkum im deutschen Niedersachsen, findet die Kritik am Klaasohm-Brauch übertrieben. (Archivbild)
Jürgen Akkermann (parteilos), Bürgermeister der Stadt Borkum im deutschen Niedersachsen, findet die Kritik am Klaasohm-Brauch übertrieben. (Archivbild)
Sina Schuldt/Keystone

Auch die Polizeiinspektion Leer/Emden, die für die Sicherheit auf Borkum zuständig ist, meldete sich zu Wort. In einer Mitteilung auf Facebook heisst es, dass keine Form von Gewalt toleriert werde.

Sollte die Polizei Kenntnis von Übergriffen erhalten, würden diese konsequent verfolgt. Zudem werde die aktuelle Medienberichterstattung in die «polizeiliche Lagebeurteilung» miteinfliessen. Die Polizei wird den diesjährigen «Klaasohm» mit zahlreichen Einsatzkräften begleiten.

«Wir fahren eine Null-Toleranz-Linie», betonte ein Sprecher. Momentan werde ein Konzept erarbeitet, wie jede Form der Gewalt auf der Veranstaltung in der Nacht zum 6. Dezember unterbunden werden soll.

Brauch markiert männliche Dominanz

Auf Borkum selbst erzählt man sich, dass der Klaasohm-Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Nach monatelanger Abwesenheit kehrten die Männer am Jahresende zurück und nutzten dieses Ritual, um ihre Rückkehr und die männliche Dominanz zu markieren. Damit machten sie deutlich, dass nun wieder sie – und nicht die Frauen – das Sagen auf der Insel hatten.

Nun, nachdem der öffentliche Druck wächst, versprechen die Verantwortlichen Änderungen – zumindest wird das Schlagen mit Kuhhörnern abgeschafft. Bleibt abzuwarten, ob die angekündigte Transparenz tatsächlich Einzug in das alteingesessene Fest halten wird.