Meloni in Brüssel«Die Stimme Italiens in Europa wird stark sein»
sda/dpa/toko
3.11.2022 - 18:12
Italiens neue Regierungschefin hat in der Vergangenheit heftig gegen die EU gewettert. Nun hat sie die erste Auslandsreise im Amt ausgerechnet nach Brüssel geführt. Was folgt nach dem ersten Kennenlernen mit von der Leyen und anderen?
03.11.2022, 18:12
03.11.2022, 18:34
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Die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat bei ihrem Antrittsbesuch in Brüssel eine grössere Rolle ihres Landes in der Europäischen Union angekündigt. «Die Stimme Italiens in Europa wird stark sein», kündigte die rechtsradikale Politikerin am Donnerstag am Rande ihres Besuchs an. Ihre Gesprächspartner aus den EU-Institutionen beschworen wiederum den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft.
Seit ihrer Wahl Ende September war mit Spannung erwartet worden, wie die Europa-Skeptikerin Meloni sich in Brüssel positionieren würde. Setzt sie auf Konfrontation wie zu ihrer Zeit als Oppositionsführerin? Oder bleibt sie beim gemässigteren Ton, den sie zuletzt bereits angedeutet hatte?
Seit knapp zwei Wochen führt die 45 Jahre alte Meloni die drittgrösste Volkswirtschaft in der EU. Neben ihren rechtsradikalen Fratelli d'Italia sind auch die konservative Partei Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi und die rechte Lega von Matteo Salvini in der Regierung. Nach dem allseits geschätzten Vorzeige-Europäer Mario Draghi an der Spitze eines breiten Bündnisses ist das ein ganz schöner Tapetenwechsel.
Noch kurz vor der Wahl hatte Meloni gen Brüssel gerufen: «Das schöne Leben ist vorbei.» Hinzu kommt, dass der ehemalige Berlusconi weiter nicht von seinem Freund im Kreml, Wladimir Putin, abrückt. Und Matteo Salvini machte in der Vergangenheit ebenfalls mit seiner Nähe zu Russland Schlagzeilen. Immerhin: Meloni unterstrich zuletzt, dass Italien die Ukraine weiter unterstützen werde. «Nicht nur, weil wir den Angriffskrieg und die Verletzung der territorialen Integrität einer souveränen Nation nicht akzeptieren können, sondern auch weil es der beste Weg ist, unsere nationalen Interessen zu verteidigen.»
Dass Melonis erste Auslandsreise als Regierungschefin in das Machtzentrum der EU ging, kann ebenfalls als Zeichen der Entspannung gelesen werden. Neben einem Treffen mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen standen Visiten bei der Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, und bei EU-Ratschef Charles Michel auf dem Programm. Öffentliche Äusserungen blieben rar, gemeinsame Pressekonferenzen gab es nicht. Stattdessen zunächst nur ein paar dürftige Häppchen in den sozialen Medien.
Was aber durchaus deutlich wurde: Zumindest öffentlich verzichtet Meloni weiter auf allzu markige Worte. Stattdessen schrieb sie auf Twitter: «Wir sind bereit, die grossen Fragen anzugehen, angefangen von der Energie-Krise, indem wir für eine nachhaltige Lösung zur Unterstützung von Familien und Unternehmen zusammenarbeiten und um Spekulation auszubremsen.»
Zusammenarbeiten – das klingt aus Brüsseler Perspektive erst einmal gut. So appellierte auch die Präsidentin des EU-Parlaments Metsola an den Zusammenhalt in dem Staatenbund. «Wir sind stärker, wenn wir zusammenstehen», schrieb sie auf Twitter. Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine, hoher Energiepreise und steigender Inflation müsse man vereint bleiben. Dazu ein Foto: Metsola und Meloni händeschüttelnd vor einer EU-Flagge.
Ist aus der Europa-Skeptikerin Meloni eine überzeugte Pro-Europäerin geworden? Ihre Überzeugungen hat sie kurz nach Amtsantritt wohl kaum über Bord geworfen. Viel mehr dürfte ihre neue Bereitschaft zu Kooperation der Einsicht geschuldet sein, dass sie mit Konfrontation und Blockade nicht weit kommt.
Melonis Regierung feilt derzeit am Haushalt 2023. Ihr Land ist masslos überschuldet – zugleich erfordert die Energiekrise mehr Entlastungen. Wie weit also darf Italien die gemeinsamen Stabilitätskriterien der EU dehnen? Italien wird in den kommenden Monaten auf das Wohlwollen der EU-Kommission angewiesen sein.
Gleiches gilt für die Milliarden aus dem EU-Fonds zur Bewältigung der Corona-Krise. Rom braucht das Geld, muss für die Auszahlung aber bestimmte Kriterien erfüllen. Meloni würde gern nachverhandeln – auch hier sitzt Brüssel am längeren Hebel.
Und dann ist da noch das Thema Migration. Vor der Küste des Mittelmeerlandes warteten in den vergangenen Tagen fast 1000 aus Seenot gerettete Migranten auf Schiffen ziviler Seenotretter auf einen sicheren Hafen. Italien weigerte sich, die Schiffe wie zuletzt einfahren zu lassen.
Die kurzen Gespräche am Donnerstag dürften kaum Gelegenheit geboten haben, all das zu erörtern. Dennoch können sich beide Seiten darauf einstellen, dass diese Themen die kommenden Monate begleiten werden. Zunächst stand jedoch etwas anderes im Vordergrund: das erste persönliche Kennenlernen.