US-Kongress: Pelosi gibt Führung der Demokraten ab
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, gibt die Führung über die Demokratische Partei in der Kongresskammer ab. Nach den Zwischenwahlen sieht die 82-Jährige den Zeitpunkt gekommen, dass «eine neue Generation» die Fraktion der P
17.11.2022
Nancy Pelosi prägte als Sprecherin des Repräsentantenhauses jahrelang die US-Politik: Die streitbare Demokratin legte sich besonders gern mit Donald Trump an. Ihre Nachfolger stehen vor einer schweren Mission.
Bevor Nancy Pelosi den Tränen nahe ihren Rücktritt aus der Führungsriege der US-Demokraten verkündete, feuerte die 82-jährige Politikerin noch eine grinsende Breitseite in Richtung ihres ärgsten Widersachers und politischer Nemesis. Da stand sie also im Repräsentantenhaus der USA und erzählte vergnüglich von den drei Präsidenten (sic!), mit denen sie als Sprecherin des Repräsentantenhauses – sie war die erste Frau in diesem Amt – gern zusammengearbeitet und wichtige politische Grossprojekte umgesetzt hat: George Bush, Barack Obama, Joe Biden.
Den vierten Präsidenten zu ihren Amtszeiten (2007 – 2011, seit 2019) als Sprecherin erwähnte sie mit keinem Wort – und es bereitete ihr sichtlich Freude, Donald Trump zu ignorieren. Es war ein typischer Pelosi-Moment, zugleich verschmitzt und souverän. Und klar: Ein bisschen Pathos gehört bei ihr auch immer dazu.
Politikerin mit Idealen
Nicht nur Pelosis ganz eigenes Gespür für symbolische Gesten – unvergessen auch der Moment, in dem sie vor laufender Kamera und mit eiskalter Miene im US-Kongress ein Redemanuskript von Donald Trump zerriss – wird in der politischen Landschaft der USA fortan fehlen. «Sie hat eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung bahnbrechender Gesetze gespielt», schätzt der Politikwissenschaftler und USA-Experte Marco Steenbergen von der Uni Zürich auf Nachfrage von blue News ein.
Ohne Pelosis Bemühungen wäre etwa der «Affordable Care Act» (auch bekannt als Obamacare) wahrscheinlich gescheitert. «Der Widerstand der Republikaner war so gross und öffentlichkeitswirksam», erklärt Steenbergen, «dass ihre eigene Basis begann, sich gegen das Gesetz und für dessen Aufteilung in kleinere Teile auszusprechen. Pelosi widersetzte sich dem mit dem Argument, dass Politiker manchmal für ein Ideal eintreten sollten.»
Mit dieser klaren Haltung war sie immer ein sichtbares Ziel von Angriffen der Rechten, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne. Der Republikaner Kevin McCarthy, Pelosis designierter Nachfolger als Sprecher des Repräsentantenhauses, hätte ihr vor einem Jahr am liebsten eins mit dem zeremoniellen Hammer übergezogen und feierte am Mittwoch bei Twitter: «Wir haben Nancy Pelosi gefeuert.»
Jetzt sind die Jungen am Zug
Nun tritt diese Politikerin nach fast 20 Jahren aus allen Spitzenämtern der Demokraten zurück, bleibt als einfache Abgeordnete von San Francisco im Parlament. Das Amt der Sprecherin hätte Pelosi ohnehin verloren, weil die Republikaner in den Midterms vorige Woche die Mehrheit im Repräsentantenhaus eroberten.
«Für mich ist die Stunde gekommen, eine jüngere Generation sollte jetzt die Demokraten im Kongress anführen», begründete Pelosi ihren Schritt. Die neue Generation trifft der Rücktritt nicht ganz unvorbereitet. Pelosi hat ihn bereits kurz vor der Wahl angedeutet, nachdem ihr Mann Paul in San Francisco brutal angegriffen und verletzt worden war. Der Angreifer erklärte, er habe Nancy Pelosi attackieren wollen.
«Pelosi ist für die Demokraten eine beeindruckende Kraft gewesen», meint Steenbergen. «Sie hat es geschafft, die Demokratische Partei im Repräsentantenhaus zu vereinen und zu mehreren Wahlsiegen zu führen.» Inwieweit sie eine beratende Rolle für die neue Führung spielen werde, bleibe abzuwarten, «aber ich bin sicher, dass ihr Sachverstand nicht völlig verloren gehen wird».
Pelosis Nachfolger stehen bereit
Das gesamte Führungsteam der Demokraten, glaubt Steenbergen, habe erkannt, «dass es Zeit für eine neue Generation von Demokraten ist, die Führung zu übernehmen. Das könnte der Partei neuen Schwung verleihen.» Den wird sie brauchen: Kevin McCarthy hat bereits seine politische Agenda vorgestellt und will Joe Biden in den nächsten zwei Jahren mit unzähligen parlamentarischen Untersuchungen maximal blockieren.
Laut verschiedenen US-Medien ist der New Yorker Abgeordnete Hakeem Jeffries der Favorit für Pelosis Nachfolge an der Fraktionsspitze der Demokraten. Jeffries (52) ist seit mehr als einem Jahrzehnt im Repräsentantenhaus und gilt laut Steenbergen als «überzeugter Progressiver». Als Vorsitzender des Demokratischen Ausschusses gehörte er dem ersten Team an, das gegen Trump ein Amtsenthebungsverfahren einleitete.
Im Gespräch für die neue Führung sind auch Pete Aguilar (43) aus Kalifornien und Katherine Clark (59) aus Maryland, die mit Jeffries in den vergangenen Jahren eine Allianz für einen geschmeidigen Generationswechsel bei den Demokraten geschmiedet haben.
Jeffries selbst hielt sich am Tag von Pelosis Rücktritt mit Äusserungen zu seinen Ambitionen zurück. «Wir werden sehen, wie es weitergeht», wird er in der «New York Times» zitiert. Im Falle seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der Demokraten und Minderheitsführer im Repräsentantenhaus würde Jeffries als erster Schwarzer an der Spitze einer der beiden Kammern in die Geschichte eingehen.
Die Republikaner im Auge behalten
Eine Kampfansage kommt derweil vom demokratischen Abgeordneten Jamie Raskin: «Wir sind kampferprobt durch das, was wir mit Donald Trump durchgemacht haben, und deshalb gibt es hier einige sehr zähe und widerstandsfähige junge Führungskräfte.» Eigenschaften, auf die es ankommt in den nächsten beiden Jahren.
Die Demokraten müssen auf jeden Fall «den Ball im Auge behalten», schätzt Steenbergen ein und versuchen, in den verbleibenden anderthalb Monaten der lame duck session, also bis der neu gewählte Kongress zusammentritt, noch wichtige Dinge zu erreichen. «Wenn die Republikaner im Januar die Macht übernehmen, wird ihre Agenda eindeutig Positionen umfassen, die bei der Mehrheit der Amerikaner zutiefst unpopulär sind, darunter die mögliche Aushöhlung der Sozialversicherung für ältere Menschen.»
Für die neue Führung der Demokraten müsse es, so Steenbergen, darum gehen, sich diesen Bestrebungen zu widersetzen und eine klare, einheitliche Haltung einzunehmen. «Sonst besteht die reale Chance, dass die Republikaner radikale Gesetze verabschieden, während sich die Aufmerksamkeit auf angebliche Skandale richtet, die die Republikaner zweifellos bis 2024 immer wieder anführen werden», erklärt der Politikwissenschaftler.
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