Interview «Alle Grossmächte haben im Nahen Osten die Finger im Spiel»

Von Gil Bieler

25.12.2020

Das neue SRF-Duo für den Nahen Osten: Jonas Bischoff und Anita Bünter.
Das neue SRF-Duo für den Nahen Osten: Jonas Bischoff und Anita Bünter.
Bild: SRF/Oscar Alessio

Ab 2021 berichten Anita Bünter und Jonas Bischoff für SRF aus dem Nahen Osten – ein Job und eine Region, die auch ohne Coronavirus kompliziert genug wären. Im Interview sprechen sie über Vorurteile, Hürden und Hoffnungen.

Anita Bünter und Jonas Bischoff, wo werden Sie ab dem kommenden Sommer leben und arbeiten?

Anita Bünter: Das wüssten wir auch gern! (lacht) Aber es ist leider noch völlig unklar.

Jonas Bischoff: Wir sind intensiv am Abklären, aber die Corona-Pandemie und die Situation im Nahen Osten machen es nicht ganz einfach, das festzulegen. Wir haben drei mögliche Regionen herausgesucht. Wohin es am Ende geht, ist aber effektiv noch offen.

Bünter: Der aktuelle Nahost-Korrespondent von SRF, Pascal Weber, ist in Beirut, im Libanon, stationiert. Und man könnte meinen, es wäre am einfachsten, ebenfalls dorthin zu ziehen und an seine Kontakte anzuknüpfen. Aber im Libanon ist die Situation im Moment sehr schwierig, und generell kann man im Nahen Osten als Journalisten nicht einfach auftauchen und sagen: ‹Hier sind wir, los geht’s.› Es braucht Akkreditierungen, teils auch Lizenzen. Für jedes Land, das wir abdecken werden, müssen wir das einzeln abklären. Das gibt viel zu tun.

Anita Bünter und Jonas Bischoff ...

... berichten ab Sommer 2021 gemeinsam für das Schweizer Fernsehen aus dem Nahen Osten. Bünter (33) hat an der Universität Zürich Ethnologie, Publizistik und Islamwissenschaften studiert. Bischoff (33) hat an der Uni Basel den Master-Abschluss in European Global Studies erworben und zuvor in Zürich Ethnologie, Publizistik und Film studiert. Die beiden sind auch privat ein Paar.

Wachsende soziale Spannungen und die schwere Explosion im August: Auch in Beirut ist es zuletzt ungemütlicher geworden, oder?

Bischoff: Das ist so. Im Sommer 2019 war ich für sieben Wochen in der Stadt, weil ich einen Arabischkurs belegt habe. Damals hätte ich gesagt: Ganz klar, wir werden nach Beirut ziehen. Aber nun überlagern sich im Libanon eine Wirtschaftskrise, eine politische Krise, die Aufarbeitung der Explosion und die Corona-Krise, wodurch selbst alltägliche Dinge wie Geld abheben enorm kompliziert geworden sind. Das macht auch das Arbeiten alles andere als einfach.

Können Sie immerhin verraten, welche Standorte noch im Rennen sind?

Bischoff: Libanon, Jordanien und die Golfstaaten schauen wir uns genauer an.

Bünter: Eine entscheidende Frage ist schon, wie lange die Corona-Krise noch andauert. Denn obwohl wir natürlich hoffen, dass die Situation bald unter Kontrolle ist, muss man auch mit dem Gegenteil rechnen. Und für einen Korrespondentenposten wie dem unseren, der gut ein Dutzend Staaten umfasst, ist das Reisen besonders wichtig. Wir sind also auf gute Flugverbindungen angewiesen und wollen verhindern, dass wir permanent im Lockdown sitzen. Dabei wäre es auch ohne Coronavirus schon kompliziert genug.

Aber der Starttermin Sommer 2021, der steht?

Bünter: Der ist fix, immerhin. (lacht)

Wann konnten Sie denn zuletzt in die Region reisen?

Bünter: Wir sind seit gut zehn Jahren regelmässig in der Region unterwegs, zuletzt erst Anfang Jahr. Aber seit Beginn der Pandemie war das leider nicht mehr möglich.

Nochmals zu Beirut: Wie ist der Stand der Wiederaufbauarbeiten nach der Explosion?

Bischoff: Wir bekommen das indirekt mit, da wir Freunde und Bekannte in Beirut haben. Nach dem, was wir hören, ist die Situation für die Bewohner der Stadt unverändert schwierig. Unter anderem auch, weil die Regierung angekündigt hat, dass sie die Subventionen für Güter des täglichen Gebrauchs kürzen will. Bei einer anhaltenden Wirtschaftskrise macht das den Alltag für die unteren und mittleren Einkommensschichten, die ohnehin stark unter der Armut leiden, noch viel schwieriger.



Der Nahe Osten wird bei uns als Krisen- und Konfliktgebiet wahrgenommen. Tut man der Region damit Unrecht?

Bünter: Für uns beide ist die Region natürlich mehr als nur Konflikte. Es gibt eine enorme Gastfreundschaft, die Kultur ist extrem vielfältig und reichhaltig, vom Essen ganz zu schweigen. All diese Aspekte gehen oftmals unter. Es ist daher schon eines unserer Ziele – oder zumindest eine Hoffnung – dass wir auch diese Seiten zeigen können, etwas Farbe reinbringen. Denn auch im eigenen Bekanntenkreis merke ich, dass vielen beim Thema Nahost als Erstes Krieg und Terror in den Sinn kommen. Dabei gibt es noch so viel mehr.

Bischoff: Es gibt halt beide Seiten. Dass man die Konflikte und Krisen ebenfalls im Auge behalten muss, ist selbstverständlich. Denn an vielen Orten in unserem künftigen Berichtsgebiet passieren schlimme Dinge – aber das ist bei Weitem nicht das Einzige.

Frau Bünter, Sie haben es angesprochen: Wie waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld, als Sie bekannt gaben, dass Sie Nahost-Korrespondentin werden?

Bünter: Das kam ja nicht von heute auf morgen, sondern hat sich über die Zeit entwickelt. Und unsere Freunde und Familien wissen ohnehin, dass uns die Region fasziniert. Wir reisen seit Jahren immer wieder in den Nahen Osten – besonders gern mit dem Zug, weil man dann mit ganz gewöhnlichen Leuten aus der Region in Kontakt kommt. Wir sind früher, als das noch möglich war, auch per Zug und Bus nach Syrien und in den Libanon gereist, oder nach Teheran. Diese Reisen haben wir auf Facebook dokumentiert, was sicherlich geholfen hat, in der Familie gewisse Bedenken zu zerstreuen.

«Auch im eigenen Bekanntenkreis kommt vielen bei Nahost als Erstes Krieg und Terror in den Sinn.»

Und immerhin gab es 2020 auch nicht nur Negatives zu vermelden. Zum Beispiel kam unter Vermittlung der USA ein Friedensvertrag zwischen Israel sowie Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten zustande. Wie bewerten Sie das Abkommen?

Bischoff: Mittlerweile haben sich auch noch Sudan und Marokko angeschlossen. Eine Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt ist aber schwierig. Wir werden sehen müssen, welche konkreten Auswirkungen dieses Abkommen hat, was es für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern heisst und so weiter. Aber im Grundsatz sind Frieden und Zusammenarbeit in einer zerstrittenen Region natürlich etwas Wünschenswertes.

US-Präsident Donald Trump sparte nicht mit Lob für das Abkommen …

Bischoff: Es ist schon ein historischer Schritt, dass Länder der Golfregion nun auch offiziell Beziehungen mit Israel aufzubauen beginnen. Für uns als Korrespondenten wird es spannend sein, mitzuverfolgen, was sich dadurch alles ändern wird und ob sich weitere Staaten anschliessen.



Lässt sich denn schon abschätzen, was das Abkommen für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern heisst?

Bünter: In diesem Konflikt wird ja schon seit Jahrzehnten nach einer Lösung gesucht – und es schien auch schon, als wäre sie in greifbarer Nähe. Doch die Probleme sind so komplex, dass sie auch mit einem Abkommen nicht einfach beseitigt werden können. Die Palästinenser sind zum Beispiel auch untereinander zerstritten. Der Nahost-Konflikt wird also weiterschwelen, auch unter einer höchstwahrscheinlich neuen US-Aussenpolitik unter dem künftigen Präsidenten Joe Biden. Die Frage ist nur, welchen Stellenwert der Konflikt in der Region einnehmen wird.

Bischoff: Die internationale Gemeinschaft und auch die Schweiz streben ja eine Zweistaatenlösung an – doch diese wurde schon in den letzten Jahren immer unwahrscheinlicher, da die israelische Siedlungstätigkeit in den Palästinensergebieten fortgeführt wurde. Wie eine Lösung zwischen Israel und Palästinensern überhaupt aussehen könnte, ist mir Stand heute alles andere als klar.

Mir blieb in Erinnerung, was Ihr Vorvorgänger als SRF-Nahostkorrespondent, André Marty, bei einem Vortrag einmal gesagt hat: Zu unserer Lebenszeit wird es keinen Frieden im Nahostkonflikt geben. Einverstanden?

Bünter: Der Konflikt ist so vertrackt, dass ich ebenfalls skeptisch bin, was eine rasche Lösung angeht. Es geht schliesslich nicht nur um Israel und die Palästinenser, sondern auch um die Flüchtlinge in den umliegenden Ländern und vieles mehr.

Haben sich die USA unter Trump eigentlich endgültig als Vermittler disqualifiziert?

Bischoff: Bestimmt hat sich die Rolle der USA in der Ära Trump gewandelt: Es kam wieder Bewegung in einen festgefrorenen Konflikt – aus Sicht der Palästinenser ist das wohl eher negativ, aus Sicht von Israel sicherlich positiver. Israel ist eine aufstrebende Tech-Nation und hat sich nun neue Handelsmöglichkeiten erschlossen. Es gab dank Trump also durchaus neue Impulse – was daraus wird, wird man sehen.

«Trump brachte wieder Bewegung in einen festgefrorenen Konflikt.»

Bünter: Spannend wird es sein, auch auf China zu schauen. Das Land nimmt mit seinem Infrastrukturprojekt der neuen Seidenstrasse mehr Einfluss in der Region. Dann gibt es noch Russland, das ohnehin bereits im Syrienkrieg mitmischt. Alle Grossmächte haben im Nahen Osten aus strategischen oder wirtschaftlichen Gründen ihre Finger mit im Spiel.

Im Jemen toben ein Bürgerkrieg und eine gewaltige Hungersnot – bei uns gibt das aber nur wenig zu reden. Wie erklären Sie sich das?

Bischoff: Moment, ich habe für SRF 4 News im letzten Monat zweimal über den Jemen berichtet! Aber es stimmt schon, der Jemen wird bei uns nur selten erwähnt. Ich denke, dafür gibt es drei Gründe: Erstens ist es als Journalist sehr schwierig, dorthin zu reisen. Zweitens ist es ein sehr komplexer Konflikt – aus westlicher Sicht kann man nicht einfach eine klare Linie erkennen mit den vermeintlich «Guten» auf der einen und den vermeintlich «Bösen» auf der anderen Seite. Und drittens hat die Corona-Krise noch das Ihrige dazu beigetragen, dass andere Themen den Schweizerinnen und Schweizern einfach näher sind und der Jemen in Vergessenheit gerät.

Bünter: Aus einem Kriegsgebiet zu berichten, ist halt extrem aufwendig und schwierig. Nicht nur das Anreisen, man muss vor Ort auch für seine eigene Sicherheit und die seines Teams sorgen. Je nachdem ist man für einen einzigen Beitrag dann gleich ein paar Tage unterwegs. Mit dem blossen Willen, zu berichten, ist es also bei Weitem nicht getan.

Bischoff: Ich habe zuletzt über einen Tanker berichtet, der vor der jemenitischen Küste an Anker liegt und früher als Ölplattform genutzt wurde. Über eine Pipeline ist er mit dem Festland verbunden. Nun droht dieser Tanker auseinanderzubrechen oder sogar zu explodieren – das Resultat wäre eine enorme Ölpest in der Gegend. Trotzdem passiert nichts, weil die Huthi-Rebellen der UNO bisher den Zugang zum Schiff verwehrt haben und damit die nötigen Wartungsarbeiten verhinderten. Dieses Beispiel zeigt, wie verfahren die Situation ist, wenn sogar eine drohende Umweltkatastrophe zum Verhandlungspfand wird.

Zum Schluss ein Gedankenspiel: Angenommen, es gäbe keine Corona-Krise und Sie hätten eine Carte blanche – welches Thema würden Sie am liebsten anpacken?

Bünter: Ich würde sehr gern einmal etwas zur ägyptischen Filmindustrie machen. Dort ist so etwas wie das Film-Mekka der arabischen Welt und gerade für den Ramadan werden sehr interessante Serien gedreht, die die Leute dann regelrecht verschlingen. Das finde ich ein richtig spannendes Thema.

Bischoff: Wie gesagt, wir reisen viel mit Zug und Bus. Daher würde ich gern zur legendären Hedschas-Bahn recherchieren, die früher verschiedene Länder der Region miteinander verbunden hat und von Syrien bis nach Saudi-Arabien führte. Ich würde gern eine Reportage auf den Spuren dieser Bahn realisieren.

Bünter: Du willst doch einfach nur Zugfahren gehen, gib es zu! (lacht)

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