Feindliche StimmungEU plant gigantischen Anti-Flüchtlings-Deal mit Libanon
DPA/smi
2.5.2024 - 01:16
Die EU will mit Finanzhilfen im Umfang von rund einer Milliarde Euro die Einreise von bislang im Libanon lebenden Flüchtlingen aus Syrien stoppen. Gesundheit und Bildung sollen verbessert, Sicherheitsorgane gestärkt werden.
Keystone-SDA, DPA/smi
02.05.2024, 01:16
02.05.2024, 10:45
SDA
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Die EU will die Einreise syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon stoppen.
Sie will dem Libanon rund eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, damit dieser die Lebensbedingungen der Flüchtlinge und der Lokalbevölkerung verbessert.
Zudem sollen Sicherheitsbehörden und Armee im Kampf gegen Schleuser gestärkt werden.
1,5 Millionen syrische Geflüchtete leben im Libanon. Sie werden von der Lokalbevölkerung angefeindet. Sie aus dem Land zu werfen ist ein gängiges Wahlkampfversprechen von Politikern im Libanon.
1,5 Millionen Geflüchtete aus Syrien leben im Libanon. Die lokale Bevölkerung hat sich gegen sie gewendet, ihre Lebensbedingungen sind schlecht. Eine zunehmende Zahl unternimmt deshalb die Reise über das östliche Mittelmeer nach Zypern und damit in die Europäische Union.
Die EU will nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur mit Finanzhilfen im Umfang von rund einer Milliarde Euro diese Migrations-Bewegung stoppen. Mit dem EU-Geld soll nach Angaben von EU-Beamten das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon gestärkt werden. Zudem sind Mittel für die Sicherheitsbehörden und die Streitkräfte des Landes sowie für den Kampf gegen Schleuserbanden und für Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen. Die legale Migration wird den Plänen zufolge erleichtert werden.
Das Unterstützungspaket soll nach Angaben der Beamten heute Donnerstag bei einer Libanon-Reise von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis angekündigt werden. Vor allem die zyprische Regierung hatte die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon zuletzt als nicht mehr tragbar kritisiert und ein Handeln der EU gefordert.
Zahl der Ankünfte stieg zuletzt drastisch
Angaben von Staatschef Christodoulidis zufolge kamen in den vergangenen Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in der EU-Inselrepublik an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4000 Migranten gezählt – im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.
In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko oder der Türkei ankommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge wie auf Zypern. Auf der Insel sind die Flüchtlingslager überfüllt. «Angesichts des rasanten Anstiegs der Ankünfte sind wir am Limit», sagte ein zypriotischer Regierungssprecher vor wenigen Wochen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat deswegen Hilfe zugesagt. «Es sind wir, die Europäer, die entscheiden, wer nach Europa kommt und unter welchen Umständen. Und nicht das organisierte Verbrechen der Schmuggler und Menschenhändler», erklärte sie am vergangenen Sonntag in einer Rede und verwies auf die bereits existierenden Abkommen mit Ländern wie Tunesien und Ägypten. Auch diese Staaten sollen im Gegenzug für Finanzhilfen in Milliardenhöhe unerwünschte Migration in die EU stoppen.
Der für den Libanon vorgesehene Betrag ist für den Zeitraum bis Ende 2027 vorgesehen. Ein erster hoher dreistelliger Millionenbetrag könnte bereits im Sommer fliessen.
Antisyrische Stimmung im Libanon
Ob das EU-Geld ausreicht, um die Lage im Libanon zu entspannen, ist allerdings fraglich. Das Land steckt derzeit in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte und zählt mit mehr als 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen gleichzeitig zu denjenigen Staaten, die pro Kopf weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile eine antisyrische Stimmung herrscht und viele Flüchtlinge sich aus Angst vor Übergriffen nicht mehr auf die Strasse trauen.
«Ich habe Angst, mein Haus zu verlassen. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, gehe ich in Angst. Ich habe immer die Befürchtung, dass meiner Familie während meiner Abwesenheit etwas zustossen könnte», sagt etwa ein Syrer namens Khaled, der seine Heimatstadt Aleppo 2012 wegen des Bürgerkriegs verlassen hat. Die Libanesen behandelten Syrer wie Feinde.
Menschenrechtlern zufolge wenden libanesische Beamte seit Jahren diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch HRW berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Armeeüberläufer, willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten.
Die libanesischen Regierenden vertreten die Meinung, das Bürgerkriegsland sei stabil und sicher genug, um eine Rückkehr zu gewährleisten. Die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen sehen dies allerdings weiter anders. Sie weisen darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage ein Überleben kaum möglich mache und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten müssten. Hinzu kommt: Auch der syrische Machthaber Baschar al-Assad will die geflohenen Menschen nicht zurück in seinem Land.
Libanon hat kein Staatsoberhaupt
Schwierig ist die Lage im Libanon zudem auch politisch. Im Unterschied zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten gibt es in dem Land zurzeit nicht mal ein Staatsoberhaupt. Seit eineinhalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Aktuell wird das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geleitet. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.
Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien und Israel grenzenden Land gesehen – auch angesichts der Aktivitäten der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schiesst aus dem Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel – nach eigenen Angaben aus «Solidarität» mit der Hamas im Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.
Angesichts dieser Gemengelage werden die Pläne der EU auch kritisch gesehen. «Die EU macht im Libanon einen grossen Fehler», sagt etwa Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis. Das Land habe eine lange Geschichte interner Probleme, getrieben von konfessionellen Konflikten, die bis heute immer wieder zu einem Machtvakuum führen.
Der Libanon sei in keiner Weise bereit, ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. «Es ist irre, zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen.»
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