Wirtschaftskrise Nicht mal Geld für Maiskuchen – trübe Weihnacht für Menschen in Venezuela

AP/toko

23.12.2020 - 20:21

Ein Weihnachtsmann spricht in Caracas mit einem Mädchen.
Ein Weihnachtsmann spricht in Caracas mit einem Mädchen.
AP Photo/Ariana Cubillos, File/Keystone

Venezuela leidet schwer unter einer Wirtschaftskrise , die Inflation ist riesig. Da haben viele Menschen Mühe, zum Fest Essen auf den Tisch zu bringen – von Geschenken gar nicht zu reden.

Früher war er für Marlei López etwas ganz Besonderes – der Tag, an dem sie ihren Weihnachtsbonus bekam. Er machte es der Krankenpflegerin in Caracas möglich, neben ihren eigenen Kindern an den Festtagen Bedürftige zu beschenken, mit Spielzeug, Essen oder auch Kleidung. In Venezuela ist es eine alte Tradition, zu Weihnachten Menschen zu helfen, die ganz wenig oder nichts haben. Aber das hat sich geändert.

Eine anhaltende schwere Wirtschaftskrise hat viele Familien in der einst reichen Ölnation selbst in Not gestürzt, eine dreistellige Inflation die Löhne und Extrazulagen so entwertet, dass Schenken nicht mehr in Frage kommt – sogar nicht einmal der Kauf oder die Zubereitung von traditionellen Festtagsspeisen wie «hallaca», einem in Kochbananenblätter gewickelten Maiskuchen. Man hat Mühe, zu Weihnachten etwas auf den eigenen Tisch zu bringen, auch dann, wenn man einen Job hat.

«Du arbeitest das ganze Jahr, um etwas für deine Kinder zu kaufen, und mit dem Bonus kannst du ihnen nichts kaufen. Es ist, als ob es kein Weihnachten mehr gibt», klagt López. Ihr Einkommen reicht nicht einmal mehr, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Sie schickt ihre Kinder zum Mittagessen in eine örtliche Suppenküche, in der sie in ihrer Freizeit selbst mithilft, Mahlzeiten für 100 Kinder zuzubereiten.

Kinder bekommen Weihnachtsgeschenke, die von Freiwilligen der Organisation «Un Juguete, Una Buena Noticia» (Ein Spielzeug, eine gute Nachricht) von der Ladefläche eines Pick-ups verteilt werden.
Kinder bekommen Weihnachtsgeschenke, die von Freiwilligen der Organisation «Un Juguete, Una Buena Noticia» (Ein Spielzeug, eine gute Nachricht) von der Ladefläche eines Pick-ups verteilt werden.
Ariana Cubillos/AP/dpa/Keystone

Dem Welternährungsprogramm zufolge hat jeder dritte Venezolaner Mühe, auf die täglich nötige Kalorienzahl zu kommen. Der monatliche Lohn der meisten Berufstätigen im Land liegt unter dem Wert von zwei Euro. López hat nach eigenen Angaben einen Weihnachtsbonus von knapp 3,2 Millionen Bolívar erhalten – das entsprach Anfang der Woche etwa 2,45 Euro und reichte gerade mal, ein Kilo Maismehl und ein paar Gramm Butter zu kaufen.

Die Krise hat Kinder, Frauen und die Älteren besonders hart getroffen, und Wohltätigkeitsorganisationen tun, was sie können, um trotz der Misere etwas Weihnachtsstimmung am Leben zu erhalten. Angeles López gehört einer Kirche in Caracas an, die jedes Wochenende Essen an die Armen ausgibt. Am vergangenen Samstag verteilten Gemeindemitglieder gespendetes Spielzeug – manches gebraucht – an Kinder, die regelmässig in der Suppenküche der Kirche versorgt werden. «Menschen sind am Hungern. Und dieses Jahr haben wir auch festgestellt, dass es einen grossen Bedarf an Kleidung gibt», schildert López. «Wir sind froh, dass wir in der Lage sind, einige Spielzeuge zu sammeln, um den Kindern eine Freude zu machen.»

«Die Leute können sich das nicht leisten.»

Aber «hallaca» bleibt für viele ausser Reichweite. Der Maiskuchen enthält Rindergehacktes, Schweinefleisch, Oliven, Rosinen sowie ein paar Scheiben Zwiebeln und roter Paprika. Einige dieser Zutaten sind importiert und werden jetzt von Geschäften und Marktständen meistens nur gegen Dollar verkauft, praktisch unerschwinglich für Venezolaner mit einem normalen Lohn. Sogar im eigenen Land geerntete Zwiebeln kosten um die 2,7 Millionen Bolívar pro Kilo. 



«Die meisten Leute können sich das nicht leisten. Sie können kein «hallaca» mehr machen», sagt Rentnerin Rosa Montilla, während sie in einer Suppenküche eine Reihe dieser Maiskuchen aufwärmt. Betrieben wird die Einrichtung von Somos Panas, einer Wohltätigkeitsorganisation, die Weihnachtsessen für Kinder organisiert. «Wir kochen hier jeden Tag für 100 Kinder», schildert Montilla. «Könnt ihr euch vorstellen, was ihre Eltern ohne diese Suppenküche tun würden?»

Montilla selbst muss bei ihrem Lebensunterhalt stark knausern. Die ehemalige Krankenschwester bezieht zwar eine eigene Rente und dazu die ihres verstorbenen Ehemannes, aber das Geld ist zusammen umgerechnet nicht einmal einen Euro wert.

Ein bisschen Freude für die Kinder

Präsident Nicolás Maduro betont, dass seine sozialistische Regierung Zutaten für Weihnachtsspeisen zu einem «fairen Preis» anbiete, aber viele Leute sorgen sich, dass nicht genügend solcher subventionierter Produkte auf den Markt kommen. Wie im vergangenen Jahr: Da war es in einigen Gegenden zu Protestaktionen gekommen, nachdem die Regierung der Bevölkerung preisgünstige Schweinekeulen versprochen hatte, an denen es dann aber mangelte.  

Doch bei allen Härten machen auch diesmal auf den Strassen von Caracas wieder mehrere als Weihnachtsmänner verkleidete Leute ihre Runde, versuchen, ein Lächeln auf Kindergesichter zu zaubern. «Ich bin in der ganzen Stadt mit dem Fahrrad unterwegs gewesen», erzählt etwa Antonio Prieto, ein Triathlet, der sich seit 40 Jahren im Dezember als Weihnachtsmann verkleidet. «Weihnachten ist etwas Besonderes für mich und für die Kinder, und wir müssen einen Weg finden, uns daran zu erfreuen», sagt er. «Ich radele herum, ich begrüsse Kinder, ich sehe die Freude in ihren Gesichtern, und das bringt mir eine Menge Zufriedenheit.»    

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