Aktionen in Russlands Windschatten Nordkorea, Iran und auch China nutzen die Gunst der Stunde

Von Philipp Dahm

26.3.2022

Menschen erfahren am 25. März in Seoul die Nachricht vom nordkoreanischen Test einer Interkontinentalrakete.
Menschen erfahren am 25. März in Seoul die Nachricht vom nordkoreanischen Test einer Interkontinentalrakete.
EPA

Wenn der Wachhund abgelenkt ist, lebt es sich viel ungenierter: Staaten wie Nordkorea oder der Iran nutzen den Umstand, dass die USA und die Weltgemeinschaft gerade auf die Ukraine schauen, für ihre Zwecke.

Von Philipp Dahm

26.3.2022

3. Januar 2020. Donald Trump tritt vor die Presse: Die USA haben gerade den iranischen General Qasem Soleimani mit einem Drohnenangriff eliminiert. «Die jüngsten Attacken auf Ziele im Irak inklusive Raketenangriffen sowie die Attacke auf die US-Botschaft in Bagdad» hätten den US-Präsidenten zu diesem Schritt bewegt, erklärt er.

13. März 2022. Der Iran bekennt sich zu einem Raketenbeschuss des US-Konsulats in Erbil im Irak. Washington begnügt sich diesmal damit, das Ganze als «ungeheuerlichen Angriff» zu verurteilen. Mit Joe Biden sitzt jetzt ein anderer US-Präsident im Weissen Haus und zu Schaden gekommen ist auch niemand.

Iraks Kurden-Metropole Erbil von Raketen getroffen

Iraks Kurden-Metropole Erbil von Raketen getroffen

STORY: Die kurdische Metropole Erbil im Nordirak ist nach Behördenangaben am Sonntag von einem Dutzend ballistischer Raketen getroffen worden. Es habe keine Opfer gegeben. Der Angriff sei aus dem Iran gestartet worden, sagte ein US-Vertreter, der anonym bleiben wollte. Am Flughafen der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion sind US-Streitkräfte stationiert, die in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Raketen- und Drohnenbeschuss geraten sind. Ziel ballistischer Raketenangriffe waren sie zuletzt im Januar 2020 – als Vergeltung des Iran für die Tötung eines iranischen Militärkommandeurs. Im Irak sowie im benachbarten Syrien gibt es aber auch immer wieder Kämpfe zwischen vom Iran unterstützten schiitischen Milizen und US-Streitkräften.

13.03.2022

Doch Teheran wird wissen, dass die Vereinigten Staaten gerade andere Sorgen haben: den Krieg in der Ukraine. Nicht zufällig treffen sich zwei Tage nach dem Vorfall Russlands Aussenminister Sergej Lawrow und sein iranischer Amtskollege Hussein Amir-Abdollahian: kein Wort über den Raketenangriff – stattdessen dankt Lawrow für die Enthaltung bei der UN-Abstimmung über eine Resolution wegen der Ukraine-Invasion.

Atomgespräche vorerst abgebrochen

Die Gespräche über ein neues Atomabkommen stecken auch fest, nachdem sie Ende Januar in die «finale Phase» eingetreten sind. Und so treffen sich Ende Februar, also nach Beginn des Krieges, Vertreter des Iran in Wien mit Teilnehmern aus Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China zusammen: Moskau stellt bald neue Forderungen.

Dank Russland stecken die Atomgespräche in einer Sackgasse: Teheran Unterhändler Ali Bagheri am 9. März in Wien.
Dank Russland stecken die Atomgespräche in einer Sackgasse: Teheran Unterhändler Ali Bagheri am 9. März in Wien.
EPA

Am 5. März fordert Lawrow eine Garantie von Washington, dass die Russland-Sanktionen keine Nachteile für den Iran haben dürfen. US-Aussenminister Antony Blinken reagiert genervt. «Diese Dinge sind völlig verschieden und haben in keinster Weise etwas miteinander zu tun», schimpft er bei CBS. «Es ist irrelevant.» Es gibt jedoch auch Berichte, nach denen Teheran über die russische Intervention wenig erfreut ist.

Ein Atom-Deal könnte bedeuten, dass der Iran seine Ölreserven verkaufen kann, die unter den Sanktionen angehäuft worden sind. Das würde den angespannten Markt entlasten, während das Land bis zu 1,2 Millionen Barrel Öl pro Tag abstossen könnte. Doch nachdem die EU die Verhandlungen zuletzt vertagen wollte, ist der iranische Vertreter aus Wien abgereist. Wie es weitergeht, ist offen.

Kim Jong-un nutzt die Gunst der Stunde

Den Vogel schiesst dieser Tage aber Nordkorea ab – im wahrsten Sinne des Wortes: Pjöngjang dreht richtiggehend auf, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Drei Tage nach Kriegsbeginn feuert das Land seine erste ballistische Rakete ins offene Meer, nachdem Tests während der Olympischen Spiele unterlassen worden sind. Doch zuvor waren stets nur Kurzstreckenflugkörper abgeschossen worden.

Führ mehr als nur Kurzstrecke: Kim Jong-un (Mitte) am 24. März vor der neuesten nordkoreanischen Rakete Hwasong-17.
Führ mehr als nur Kurzstrecke: Kim Jong-un (Mitte) am 24. März vor der neuesten nordkoreanischen Rakete Hwasong-17.
AP

UNO-Resolutionen verbieten Nordkorea die Erprobung solcher Raketen, die je nach Bauart auch einen Atomsprengkopf tragen können. Aber: Nur einen Tag später verkündet Nordkorea, es wolle einen Erdbeobachtungssatelliten ins All schiessen und habe dafür bereits hochauflösende Kameras getestet. Machthaber Kim Jong-un hatte Anfang 2021 bei einem Kongress der herrschenden Arbeiterpartei neben anderen Rüstungsprojekten auch die Einführung von Spionagesatelliten und Aufklärungsdrohnen gefordert.

Schon am 5. März folgt der nächste Test: Wie die Regierung in Tokio mitteilt, könnte es sich erneut um eine ballistische Rakete handeln. Elf Staaten rufen den Sicherheitsrat auf, «mit einer Stimme zu sprechen» und das nordkoreanische Vorgehen zu verurteilen. Auf die Frage, warum die Vetomächte China und Russland die Erklärung nicht unterstützten, sagte die amerikanische UN-Botschafterin: «Wir hätten es sehr gern gehabt, dass China und Russland in unserer Gruppe dabei gewesen wären.»

Nordkoreas neues Interkontinental-Raketensystem

Die US-Regierung glaubt, Pjöngjang arbeite an einem neuen Interkontinental-Raketensystem. Ein hochrangiger Mitarbeiter nennt die Tests eine «ernste Eskalation». «In den kommenden Tagen wird es eine Reihe weiterer Massnahmen geben», kündigte er an. Am 16. März soll schon wieder eine Rakete abgefeuert werden, doch der Test misslingt.

Das letzte Übungsgeschoss feuert Nordkorea am 24. März ab. Wie die Regierungen in Tokio und Seoul berichten, soll es sich um eine atomwaffenfähige Interkontinentalrakete gehandelt haben. Die Rakete habe nach dem Start in Richtung Japanisches Meer eine Höhe von bis zu 6'000 Kilometern erreicht, zitierte die japanische Nachrichtenagentur Kyodo dazu den stellvertretenden Verteidigungsminister Makoto Oniki.

Kim Jong Un und seine grosse Rakete

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25.03.2022

Der Test stelle offensichtlich einen Bruch Nordkoreas mit seinem selbst auferlegten Teststopp für Langstreckenraketen dar, sagte der südkoreanische Präsident Moon Jae-in laut seinem Büro bei einer Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrats. Dabei ist das Gremium machtlos, wenn Moskau und Peking eine Verurteilung von Kim Jong-un verweigern, der im Windschatten des Krieges offenbar glaubt, mit seiner Aufrüstung davonzukommen.

China und Taiwan ziehen ihre Schlüsse

Bleibt noch ein Land, das zwar nicht auf der «Achse des Bösen» liegt, die US-Präsident George W. Bush 2002 im Irak, Iran und Nordkorea ausgemacht hat, das aber vor der russischen Invasion der ausgemachte Widersacher der USA war: China. Peking versucht bislang, sich vordergründig mit einem Schlingerkurs aus dem Konflikt herauszuhalten. Im Hintergrund stützt China Russland jedoch. Noch.

Peking weist «Lügen»-Vorwurf der Nato zurück

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24.03.2022

Peking beobachtet genau, was in der Ukraine geschieht: Der Überfall ist ein interessanter Test dafür, wie der Westen auf eine Invasion reagiert – und sieht eine relativ einstimmige Antwort. Das wird China nicht gefallen, doch auch in Taiwan, das Peking im Hinterkopf hat, werden die Geschehnisse in der Ukraine genau beobachtet. Der Effekt: Das Vertrauen darauf, dass die USA der Insel im Ernstfall helfen würden, sinkt von 65 auf 35 Prozent.

Xi Jinping nutzt die Ablenkung in Europa, um im Pazifik Fakten zu schaffen: Drei weitere Inseln im Südchinesischen Meer sind aufgeschüttet und militärisch ausgebaut worden. Die Errichtung «erforderlicher nationaler Verteidigungseinrichtungen auf seinem eigenen Territorium ist ein Recht, das jedem souveränen Land zusteht, und steht im Einklang mit dem Völkerrecht», sagte der Sprecher des Aussenministeriums, Wang Wenbin, am 22. März.

Diplomatische Offensiven

Der US-Kommandeur für den Indopazifik kommentiert, dies stehe in starkem Kontrast zu früheren Zusicherungen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, Peking werde die künstlichen Inseln in den umstrittenen Gewässern nicht in Militärstützpunkte verwandeln. «Ich denke, über die vergangenen 20 Jahre haben wir die grösste militärische Aufrüstung der Volksrepublik China seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt», sagt John Aquilino.

Das Atoll Meiji Jiao der Spratly-Inseln, auch Mischief-Riff genannt, am 20. März: China hat drei solche künstlichen Inseln militärisch voll ausgebaut und mit Antischiffs- und Boden-Luft-Raketen bestückt.
Das Atoll Meiji Jiao der Spratly-Inseln, auch Mischief-Riff genannt, am 20. März: China hat drei solche künstlichen Inseln militärisch voll ausgebaut und mit Antischiffs- und Boden-Luft-Raketen bestückt.
AP

Gleichzeitig geht Peking diplomatisch in die Offensive: Bei einem überraschenden Besuch in Kabul sicherte Aussenminister Wang Yi den Taliban zu, dass China «normale und freundschaftliche Beziehungen» zu Afghanistan und «Kooperation von gegenseitigem Nutzen» entwickeln wolle, wie das Aussenministerium am 25. März berichtet. Man begrüsse eine «aktive Teilnahme» Afghanistans in der milliardenschweren chinesischen Infrastruktur-Initiative der «Neuen Seidenstrasse».

Australien sorgt sich derweil über die engere Anbindung der Salomon-Inseln an das Riesenreich. «Wir wären natürlich besorgt über die Errichtung einer Militärbasis und würden dies der Regierung der Salomonen mitteilen», sagte Verteidigungsminister Peter Dutton. «Wir wollen Frieden und Stabilität in der Region. Wir wollen keine beunruhigenden Einflüsse und wir wollen nicht, dass sich der Druck und Zwang, den wir aus China sehen, weiter in der Region ausbreiten.» Peking kontert, Australien solle der Sache «nicht allzu viel Bedeutung beimessen».

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