Gescheiterte FPÖ/ÖVP-Koalition Österreichs Politik liegt in Trümmern – wie geht es weiter?

Dominik Müller

14.2.2025

Konnten sich nicht auf eine Koalition einigen: ÖVP-Chef Christian Stocker (links) und FPÖ-Obmann Herbert Kickl.
Konnten sich nicht auf eine Koalition einigen: ÖVP-Chef Christian Stocker (links) und FPÖ-Obmann Herbert Kickl.
Bild: Keystone

Die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind gescheitert. Damit steht Österreich noch immer ohne neue Regierung da. Politologe Peter Filzmaier ordnet für blue News die Lage ein.

Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Mittwoch haben die rechtspopulistische FPÖ und die konservative ÖVP in Österreich die Koalitionsverhandlungen abgebrochen. 
  • Damit steht noch immer keine neue Regierung. Mögliche Optionen sind nun eine Expertenregierung oder Neuwahlen.
  • Wie es in Österreich weitergehen könnte, schätzt Politologe Peter Filzmaier im Gespräch mit blue News ein.

Herbert Kickl, Bundesparteiobmann der rechtspopulistischen FPÖ, ist kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt Österreichs doch noch gescheitert. Kickl gab nach dem Platzen der Koalitionsgespräche mit der konservativen ÖVP den Auftrag zur Bildung einer Regierung zurück. «Ich setze diesen Schritt nicht ohne Bedauern», schrieb der FPÖ-Chef.

Die Entwicklung verhindert vorerst, dass erstmals ein Rechtspopulist österreichischer Regierungschef wird. Es bedeutet aber auch, dass das Land viereinhalb Monate nach der Nationalratswahl noch immer ohne neue Regierung dasteht.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat für die nächsten Tage alle Parteichefs zu sich eingeladen, um Auswege aus der politischen Sackgasse zu sondieren. Im Gespräch mit blue News schätzt der österreichische Politikwissenschaftler Peter Filzmaier die Situation ein.

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat den Auftrag zur Bildung einer Regierung zurückgegeben. War’s das nun definitiv mit einem Kanzler Kickl?

Peter Filzmaier: Herbert Kickl ist es nicht gelungen, das jetzige Zeitfenster zu nutzen, wobei er nicht zuletzt an seiner mangelnden Kompromissfähigkeit gescheitert ist. Ganz offensichtlich ist diese geringer als jene von Landesvorsitzenden der FPÖ, weil ja die Partei in fünf von neun Landesregierungen vertreten ist.

Kickls Hoffnung ist nun, dass er nach Neuwahlen – wann immer diese stattfinden, das kann bald oder auch erst 2029 sein – gestärkt ist und Mehrheiten gegen die FPÖ realpolitisch immer schwieriger werden. Natürlich hat er aber keinerlei Garantie, warum eine geschwächte ÖVP ihn als Partner haben will, wenn er nach einem grösseren Wahlerfolg noch dominanter und fordernder auftritt als ohnehin bereits jetzt.

Auch bleibt abzuwarten, ob die Partei ihm mittelfristig das Verpassen des nunmehrigen Zeitfensters nicht doch irgendwann vorwirft. Er braucht baldige Neuwahlen, weil die Botschaft «2029 starte ich als 61-Jähriger so richtig durch!» im kurzlebigen Politikgeschäft grosse Unsicherheiten hat.

Zunächst sah es nach einer raschen Einigung zwischen FPÖ und ÖVP aus, das gemeinsame Sparpaket wurde schon Mitte Januar vorgestellt. Wie erklären Sie sich das Platzen der Koalition?

Zur Person
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zVg

Peter Filzmaier ist Professor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems und für Politische Kommunikation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Ausserdem fungiert er regelmässig als Politik-Experte im Österreichischen Rundfunk ORF.

An drei Dingen: Inhaltliche Konflikte, strukturelle Unstimmigkeiten und vor allem eine in der Schlussphase geradezu bizarr gescheiterte Kommunikation.

Erstens gab es mehr Widersprüche als gedacht und notwendig, weil die FPÖ Dinge forderte, die gar nicht umsetzbar gewesen wären. Dazu zählte beispielsweise eine Abschaffung der verpflichtenden Mitgliedschaft im Kammerwesen, wozu es eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, die FPÖ und ÖVP gar nicht haben. Oder die Aussetzung des Asylrechts, was führende Europarechtler als rechtswidrig ansehen.

Zweitens war man sich nicht einmal einig, ob zuerst Inhalte und Aufgaben und danach die Ministeriumsstruktur verhandelt werden soll. Es ist entweder «form follows function» oder «function follows form» argumentierbar, doch natürlich scheiterte jede Verhandlung, wenn der eine das so und der andere es genau umgekehrt will.

Drittens hat man sich zuletzt Verhandlungspositionen nur noch medial in aller Öffentlichkeit ausgerichtet und nicht hinter geschlossenen Türen besprochen. Das hat jedweden Kompromiss ohne Gesichtsverlust verunmöglicht. Hat Kickl allen Ernstes geglaubt, dass die ÖVP nach einem ultimativen Facebook-Posting von ihm seine dortigen weitreichenden und offensiv vorgetragenen Forderungen einfach mit einem «Danke, lieber Herbert!» anerkennt? Das wäre absurd.

Den Koalitionsverhandlungen ist ein Kurswechsel der ÖVP betreffend Zusammenarbeit mit der FPÖ vorausgegangen, was Demonstrationen gegen den drohenden Rechtsruck auslöste. Nun sind die Gespräche dennoch gescheitert. Ist die ÖVP die grosse Verliererin der letzten Tage?

Jein. Natürlich hat sich der Imageverlust der ÖVP als nun trotz Kehrtwendung zweimal in Verhandlungen gescheitert fortgesetzt. Aber sollte nun doch eine Zusammenarbeit mit der SPÖ möglich sein, wäre man plötzlich wieder für bis zu fünf weitere Jahre Kanzlerpartei.

Ruft nun die Parteien zur Kompromissbereitschaft auf: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Ruft nun die Parteien zur Kompromissbereitschaft auf: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Keystone

Neuwahlen, Minderheitsregierung, Expertenregierung oder doch Koalition – welches Szenario ist für Sie nun das wahrscheinlichste?

Was Neuwahlen betrifft: Das ist natürlich möglich. Nur, angenommen die FPÖ hat recht und sie wäre der einzige Gewinner und Profiteur, warum sollten die anderen Parteien das wollen und solche Neuwahlen beschliessen? Die FPÖ kann im Parlament nur den Antrag stellen, braucht aber für eine Mehrheit dafür auch Partner. Die anderen Parteien werden jedoch vorher Alternativvarianten ausloten.

Erste Signale gehen daher in Richtung eines nochmaligen Verhandlungsversuchs einer Koalition von ÖVP und SPÖ. Ob nun mit einem dritten Partner oder nicht, wäre das eine Mehrheitsvariante. Für eine Minderheitsregierung von ÖVP und liberalen NEOS gibt es bisher hingegen keinerlei Signale der SPÖ, das indirekt zu unterstützen.

Eine Expertenregierung klingt gut, wäre jedoch in der Praxis am schwierigsten umzusetzen. Auch Regierungsvorlagen bedürfen ja einer Parlamentsmehrheit, also bräuchte es bei jeder Massnahme einen Parteienkonsens. Warum sollten Experten diesen Konsens leichter herstellen können als Parteimenschen? Und wer will überhaupt als Experte in so einer Regierung sein, obwohl man womöglich ohne Rückkehroption seinen Job aufgeben muss und das Regierungsabenteuer in ein paar Monaten wieder vorbei sein kann?

Angenommen, es käme zu Neuwahlen. Welche Auswirkungen könnte die erneut gescheiterte Regierungsbildung auf das Resultat haben – insbesondere für FPÖ und ÖVP?

Umfragestand jetzt würde vor allem die FPÖ zulegen und die ÖVP noch mehr verlieren. Doch natürlich gibt es noch keine seriöse Umfrage, welche die Ereignisse der letzten Tage bereits berücksichtigt. Und genauso weiss niemand, ob es nicht bei Neuwahlen – diese wären fristenmässig frühestens Ende Mai und realistischerweise erst im Juni oder Herbst – bei mehreren Parteien andere Spitzenkandidaten gibt. Das gilt für die ÖVP genauso wie für die Grünen, wo Parteichef Kogler eigentlich schon seinen mittelfristigen Rückzug aus der Spitzenpolitik angekündigt hat.

Viereinhalb Monate sind seit der Nationalratswahl nun bereits vergangen – eine neue Regierung gibt es aber noch immer nicht. Stösst das politische System Österreichs aufgrund der neuen Machtverhältnisse an seine Grenzen?

Verfassungsrechtlich ist das System stabil, es gibt ja eine mit der Weiterführung der Geschäfte betraute Bundesregierung und alle nun diskutierten Lösungen sind auf stabiler rechtlicher Basis, egal ob Neuwahlen oder eine Koalitions-, Minderheits- oder Expertenregierung.

Was es gibt, das ist eine Frage der Lösungskompetenz der Politik, wenn Regierungsbildungen durch die fortschreitende Polarisierung erschwert werden. Das ist aber ein Problem, das sowohl gesamtgesellschaftlich ist als auch sich – Stichwort Deutschland – keineswegs auf Österreich beschränkt.


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