Erdogan eckt an «Organisierte Kriminalität» – AKP will in Istanbul noch mal wählen lassen

sda, afp, dpa, phi

9.4.2019

Wahlniederlage? Von wegen! Recep Tayyib Erdogans langer Schatten ist überall in der Türkei.
Wahlniederlage? Von wegen! Recep Tayyib Erdogans langer Schatten ist überall in der Türkei.
Bild: Keystone

Die AKP-Partei von Präsident Erdogan fordert nach dem knappen Istanbuler Wahlergebnis eine Neuabstimmung in der Bospours-Metropole. Derweil gibt es erneut Verhaftungen – und Ärger mit den USA.

Die türkische Regierungspartei AKP hat eine vollständige Wiederholung der Kommunalwahl in Istanbul gefordert, nachdem sie mit einem Antrag auf Neuauszählung aller Stimmen der Abstimmung vom 31. März gescheitert ist. «Wir werden den Weg eines ausserordentlichen Einspruchs gehen», sagte der AKP-Vizepräsident Ali Ihsan Yavuz am Dienstag. «Wir wollen eine Wiederholung der Wahl in Istanbul.»

Die Hohe Wahlkommission (YSK) hatte wenige Stunden zuvor einen Antrag der AKP auf Neuauszählung aller Stimmen in Istanbul zurückgewiesen. Die islamisch-konservative Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am 31. März zwar landesweit eine knappe Mehrheit erhalten, doch die beiden grössten Städte Istanbul und Ankara an die Opposition verloren. In beiden Metropolen legte die AKP daraufhin Einspruch ein.

Vorsprung im Promillebereich

Während in Ankara die Wahlkommission nach einer teilweisen Neuauszählung der Stimmen am Montag offiziell den Sieg des Oppositionskandidaten Mansur Yavas anerkannte, läuft in Istanbul die Überprüfung weiter. In der 15-Millionen-Metropole war Ekrem Imamoglu von der linksnationalistischen CHP am Wahltag mit einem Vorsprung von 25'000 Stimmen knapp vor dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim gelandet.

CHP-Anhänger feiern am 1. April in Istanbul.
CHP-Anhänger feiern am 1. April in Istanbul.
Bild: Keystone

Nach einer teilweisen Neuauszählung der Stimmzettel und einer Überprüfung der ungültigen Stimmen verringerte sich der Abstand auf 15'000 Stimmen. Präsident Erdogan sprach daraufhin von «organisierter Kriminalität» bei der Abstimmung in Istanbul. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu rief die YSK dagegen zur Wahrung ihrer Neutralität auf und warnte, die Sicherheit der Abstimmung sei in Gefahr.

Wieder Gülen-Sympathisanten verhaftet

Apropos Kriminalität: Die türkische Justiz hat erneut mehr als 400 Haftbefehle gegen mutmassliche Anhänger der verbotenen Gülen-Bewegung ausgestellt. Bei Razzien in mehreren Provinzen des Landes wurden am Dienstag bis zum Mittag 127 Verdächtige festgenommen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Die Suche nach den übrigen Verdächtigen dauere an. Unter ihnen sind demnach zahlreiche Polizisten, Soldaten und andere Beamte.

Mega-Airport Istanbul:

Präsident Erdogan wirft der Bewegung seines einstigen Verbündeten Fethullah Gülen vor, systematisch den Staatsdienst unterwandert zu haben und hinter dem versuchten Militärputsch von Juli 2016 zu stecken. Rund 55'000 mutmassliche Gülen-Anhänger wurden seitdem verhaftet und mehr als 140'000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen. 

Ankara will weiter Moskaus Waffen

Ungeachtet heftiger Kritik aus den USA will die Türkei ausserdem am Kauf russischer Waffensysteme festhalten. «Das ist unser Souveränitätsrecht», sagte Erdogan nach einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin am Montag in Moskau. «Niemand kann verlangen, dass wir darauf verzichten.» Es gebe bereits einen Fahrplan zur Umsetzung des Kaufs. «Wir haben schon entsprechende Schritte unternommen.»

Der Kremlchef betonte, die Lieferung nach Ankara habe nun Priorität. Putin warb dafür, dass die Rüstungsindustrien beider Länder enger zusammenarbeiten sollten. Das sei eine «ernsthafte Aufgabe. Zunächst geht es aber darum, den Vertrag über die Lieferung der S-400-Raketensysteme an die Türkei abzuschliessen.» Es gebe mit Blick auf die Lieferung moderner russischer Militärtechnik weitere «vielversprechende Projekte», sagte der Kremlchef, ohne konkret zu werden.

Zum Leidwesen Trumps: Zwischen Erdogan und Putin passt kein Blatt.
Zum Leidwesen Trumps: Zwischen Erdogan und Putin passt kein Blatt.
Bild: Keystone

Der Agentur Interfax zufolge sollen die vier Flugabwehrsysteme vom Typ S-400 umgerechnet knapp 2,5 Milliarden Franken kosten. Der Ankauf des Systems aus Russland ist seit Längerem ein grosser Streitpunkt zwischen den USA und der Türkei. Washington fürchtet, dass Russland über das Abwehrsystem an sensible Daten über die Fähigkeiten der F-35-Jets gelangen könnte.

Kooperation im Energiesektor geplant

Die US-Regierung will der Türkei stattdessen ihr Flugabwehrraketensystem Patriot verkaufen und hat die Lieferung weiterer Komponenten der F-35 an Ankara gestoppt. Erdogan hatte am Freitag dazu gesagt, Washington habe Ankara das US-Luftabwehrsystem Patriot angeboten, aber das Angebot sei nicht so vorteilhaft wie das russische. Die Lieferung der Abwehrraketen werde im Juli beginnen. Die Zahlungen an Russland liefen bereits.

Zur F-35:

Weitere Themen der mehrstündigen Unterredung waren die Lage in Syrien und die Wirtschaft. Erdogan und Putin trafen dazu Geschäftsleute aus beiden Ländern. Putin sprach von einer besonders engen Zusammenarbeit im Energiebereich. Die wichtigsten gemeinsamen Projekte seien der Bau der Gaspipeline Turkish Stream, durch die Ende des Jahres das erste Gas fliessen soll, und der Bau des ersten Atomkraftwerks in der Türkei.

Die von Russland gebaute Anlage Akkuyu soll 2023 zum 100. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik in Betrieb gehen. Beide Projekte trügen dazu bei, dass die Versorgung mit Energie in der Region und europaweit gewährleistet werde, sagte Putin. 

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