Politik Parlamentswahl in Frankreich: Macron und Mélenchon wollen die Macht

SDA

17.6.2022 - 10:17

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, fordert die Franzosen auf, ihm in der zweiten, entscheidenden Runde der Parlamentswahlen eine «starke Mehrheit» zu geben. Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters Pool via AP/dpa
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, fordert die Franzosen auf, ihm in der zweiten, entscheidenden Runde der Parlamentswahlen eine «starke Mehrheit» zu geben. Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters Pool via AP/dpa
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Es ist ein staatsmännisch in Szene gesetzter Auftritt von Präsident Emmanuel Macron. Und seine Botschaft klingt dramatisch. Chaos drohe in Frankreich, wenn er am Sonntag bei der Parlamentswahl keine solide Mehrheit bekomme. Dies sei «im übergeordneten Interesse der Nation», betont Macron auf dem Rollfeld des Pariser Flughafens Orly, während im Hintergrund bereits die Motoren des Präsidenten-Airbus brummen. Vor dem Abflug Richtung Ukraine richtete Macron am Dienstag einen dringenden Appell an die Bevölkerung.

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Die Franzosen haben seinem Mitte-Lager nämlich bei der ersten Wahlrunde in so grossem Umfang die Stimme verweigert, dass die absolute Mehrheit des Präsidenten im Parlament ernsthaft in Gefahr ist. Kaum Zweifel gibt es, dass der Ende April für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Liberale mit einer relativen Mehrheit weiterregieren kann. Aber auch das ist Macron ein Gräuel. Stillstand und Blockaden drohten dann, dramatisiert er den Umstand, Macht vielleicht teilen zu müssen.

Denn das ist der Unterschied zu Deutschland: Kompromisse und Koalitionen sind in der französischen Politik wenig gebräuchlich. Die Parlamentswahl kurz nach der Präsidentschaftswahl ist eigentlich dazu konzipiert, dem Staatschef eine absolute Mehrheit zu sichern. Sollten die Stimmen am Ende nur für eine relative Mehrheit reichen, wären Macron und seine Regierung gezwungen, Unterstützung anderer Lager zu suchen. Routine in Deutschland, Rarität in Frankreich, dort gab es eine solche Regierung nur mit relativer Mehrheit zuletzt unter François Mitterrand (1988-1991).

In die unbequeme Position bugsiert hat Macron der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidentenwahl, bei der er als Drittplatzierter ausschied, hatte der 70-Jährige schon viele Gegner und vom dynamisch-eloquent agierenden Macron Enttäuschte hinter sich gesammelt. Im Anschluss einte er die zersplitterte Linke in Rekordzeit zu einem neuen Linksbündnis und rief: «Wählt mich zum Premierminister.» Ein Coup und Propagandastreich, der das Linksbündnis im ersten Wahlgang prozentual praktisch auf gleiches Niveau wie das Macron-Lager katapultierte. Das starke Abschneiden des Linksbündnisses trieb Macron nun zu seinem Appell.

Drei Mal kam es in den vergangenen Jahrzehnten sogar vor, dass dem Präsidenten mangels Mehrheit im Parlament ein Premierminister aus gegnerischem Lager gegenüber sass. Dies ist die Situation, die Mélenchon anstrebt und die in Frankreich als Kohabitation bezeichnet wird. Die Umfragen geben bisher aber nicht her, dass es soweit kommt.

«Das Chaos, das ist Macron», hält Mélenchon im Interview mit der Zeitung «Le Parisien» dem Präsidenten und seinem alarmistischen Auftritt entgegen. Er verspricht eine «Reparlamentarisierung des politischen Lebens». Davon profitieren könnte nicht nur die Opposition, sondern auch das Regierungslager mit seinen verschiedenen Gruppierungen, analysierte die Zeitung «Le Monde». Macrons Sorge aber sei, dass mit Linkspolitikern in sensiblen Positionen wie dem Vorsitz des Haushaltsausschusses permanent medial inszenierte Schaukämpfe drohten. «Man wird einen neuen Modus Vivendi im Parlament erfinden müssen», sagte der Soziologe Étienne Ollion der Zeitung.

«Die Abwesenheit der Parteien und der parlamentarischen Kultur im politischen Leben in Frankreich kann in der Tat zu einer Situation der Unregierbarkeit führen, die darin mündet, dass autoritäre Vorschläge favorisiert werden», sagte der Generaldirektor des Think Tanks Fondapol, Dominique Reynié, zu «Le Monde». Die beispiellose Personalisierung der Parlamentswahl mit Mélenchon verheisse auch keinen schnellen Wandel, sagte Verfassungsrechtlerin Marie-Anne Cohendet. «Das ist erneut ein Zeichen der Personalisierung von Macht, die das politische Leben in Frankreich vergiftet.» Mélenchon schaffe eine Art Oppositionsmonarchie.

Und worum geht es beim Kräftemessen der zwei Politiker, die selber gar nicht auf dem Wahlzettel stehen? Was bewegt die Franzosen? Überragendes Thema ist die Kaufkraft, die mit dem Ukraine-Krieg und der Inflation schwindet. Oben an steht auch der Zustand der Schulen und des Gesundheitswesens. In dem nur spärlich geführten Wahlkampf gab es Versprechen von mehr Sozialleistungen auf der einen und einer Belebung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt auf der anderen Seite. Knackpunkt ist die Rente, Macron will das Eintrittsalter auf 65 Jahre anheben, Mélenchon auf 60 Jahre senken. Dieser Streit aber wird wohl nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Strasse ausgetragen.