Polen und EU streiten Nationales Recht oder EU-Recht – was geht vor?

SDA/tgab

10.6.2021 - 18:50

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki spricht in Brüssel mit den Medien.
Polens Premierminister Mateusz Morawiecki spricht in Brüssel mit den Medien.
Bild: Keystone/Francsico Seco

Die EU-Kommission drängt Polen, den Vorrang von EU-Recht vor nationalen Vorschriften anzuerkennen – und trifft damit auf heftigen Widerspruch in Warschau. «Die polnische Verfassung ist dem EU-Recht übergeordnet», sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am Donnerstag. Damit stellte er sich offen gegen Brüssel.

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EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte zuvor an Polens Europaminister Konrad Szymanski geschrieben. Konkret forderte Reynders, die Regierung solle ihre Vorlage beim polnischen Verfassungsgericht vom 29. März zurückziehen. Das Gericht soll klären, welches Recht vorgeht. Morawiecki erteilte Reynders' Anliegen eine Absage: Dies werde er nicht tun, sagte der Regierungschef.

Erst am Mittwoch hatte die Kommission ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil zur Europäischen Zentralbank 2020 über einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs hinweggesetzt hatte. Der von Reynders beschriebene Sachverhalt in Polen liegt ähnlich.

Morawiecki habe das polnische Verfassungsgericht gebeten, ein Urteil des EuGH vom 2. März 2021 zu überprüfen, heisst es in dem Schreiben des EU-Justizkommissars, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. In dem Urteil hatten die obersten EU-Richter festgestellt, dass EU-Recht Mitgliedsstaaten zwingen kann, einzelne Vorschriften im nationalen Recht ausser Acht zu lassen, selbst wenn es sich um Verfassungsrecht handelt.



Die Vorlage Morawieckis an das polnische Verfassungsgericht «scheint fundamentale Prinzipien des EU-Rechts in Frage zu stellen, insbesondere das Prinzip, dass EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht hat und dass Urteile des Europäischen Gerichtshofs für alle nationalen Gerichte und andere staatliche Stellen in Mitgliedsstaaten bindend sind», schrieb Reynders. Die Vorlage verstosse auch gegen das Prinzip der treuen Zusammenarbeit in der EU. Reynders forderte eine Antwort Szymanskis binnen eines Monats. Man behalte sich vor, nötigenfalls die in den EU-Verträgen vorgesehenen Schritte einzuleiten, heisst es weiter.

Die EU-Kommission liegt seit Jahren mit der national-konservativen Regierung in Polen im Streit wegen des dort eingeleiteten Umbaus der Justiz. Unter anderem hat die Brüsseler Behörde Zweifel an der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts.

Polens Justizminister Zbiegniew Ziobro sagte, der Brief von Reynders zeige den antidemokratischen und nicht-rechtsstaatlichen Charakter der EU. «Dies ist ein Beweis für die Unverschämtheit, die Aggression und den kolonialen Blick auf Polen», sagte Ziobro. Kein anderes Land und keine Organisation könnten Polens Regierungschef verbieten, eine Vorlage beim polnischen Verfassunggericht einzureichen, damit eine strittige Frage geklärt werde.