Afroamerikaner tot Polizeigewalt in den USA eskaliert weiter

Von Jan-Niklas Jäger

27.1.2023

Familienmitglieder und Unterstützer präsentieren ein Foto, das Tyre Nichols im Spital zeigt.
Familienmitglieder und Unterstützer präsentieren ein Foto, das Tyre Nichols im Spital zeigt.
Bild: Gerald Herbert/AP/dpa

Die Praktiken von US-Polizisten rücken wieder in den Fokus, seit ein junger Mann in Memphis nach seiner Festnahme gestorben ist. In Atlanta eskalieren Proteste gegen eine Militär-Trainingsanlage für Polizisten.

Von Jan-Niklas Jäger

27.1.2023

In den USA macht das Thema Polizeigewalt einmal mehr Schlagzeilen. Wegen «rücksichtsloser Fahrweise» war Tyre Nichols am 7. Januar in Memphis von der Polizei angehalten worden. Nach einer «Konfrontation» sei der 29-Jährige zu Fuss geflohen, heisst es in einer Polizeimitteilung.

Als die Beamten ihn eingeholt hatten, sei es erneut zur Konfrontation gekommen. Für Nichols endete diese zweite Auseinandersetzung im Spital.

Drei Tage später erlag der junge Mann dort seinen Verletzungen. Seine Familie veranlasste eine Autopsie, die zu dem Ergebnis kam, dass sein Tod die Folge der massiven Blutungen gewesen sei, die er infolge «starker Prügel» erlitten hatte.

Anklage: Mord zweiten Grades

Fünf inzwischen entlassene Polizisten müssen sich nun vor Gericht wegen Mord zweiten Grades verantworten. Als Mord zweiten Grades gilt in den USA eine vorsätzliche Tötung ohne Heimtücke, eine Art Zwischenstufe zwischen Mord und Totschlag. Wie das Opfer auch sind die fünf Beamten Afroamerikaner.

Nichols' Tod ist die jüngste Tragödie, die das Thema Polizeigewalt in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Eine von der gemeinnützigen Initiative Mapping Police Violence durchgeführte Studie kam Anfang des Jahres zu dem Schluss, dass in keinem der letzten zehn Jahre mehr Menschen in den USA bei Polizeieinsätzen ums Leben gekommen sind als 2022.

Biden ruft zu friedlichen Protesten auf

Laut der Studie töteten Polizist*innen im Dienst 1176 Menschen, wobei Schwarze überproportional oft betroffen seien. Nur bei rund einem Drittel der Einsätze habe ein Verdacht auf ein Gewaltverbrechen bestanden.

Sowohl rechtmässige als auch rechtswidrige Fälle wurden von der Initiative in die Statistik miteinbezogen. Aktivist*innen gegen Polizeigewalt kritisieren, dass viele rechtswidrige Fälle als rechtmässig eingestuft würden, um Beamte zu schützen.

US-Präsident Joe Biden rief im Zusammenhang mit dem Tod von Tyre Nichols zu friedlichen Protesten auf.

Nationalgarde in Alarmbereitschaft

Noch am heutigen Freitag sollen Videoaufnahmen des Vorfalls veröffentlicht werden. Die Behörden in Tennessee, dem Bundesstaat, in dem Memphis liegt, fürchten, die Veröffentlichung könne zu gewaltsamen Protesten führen.

Die Furcht vor Ausschreitungen treibt derzeit auch Brian Kemp um, der Gouverneur des Bundesstaates Georgia. Der Republikaner hat am gestrigen Donnerstag den Ausnahmezustand erklärt und 1000 Einheiten der Nationalgarde in Alarmbereitschaft versetzt. Der Ausnahmezustand gilt vorerst bis 9. Februar.

Auch Kemps Furcht steht in Verbindung mit einem Fall von Polizeigewalt. Am 18. Januar war der Demonstrant Manuel Esteban Paez Teran in Atlanta von der Polizei erschossen worden.

Polizisten, die von Soldaten trainiert werden

Anders als im Fall Nichols soll Teran die Situation allerdings selbst provoziert haben, indem er einem Bundespolizisten in das Bein schoss, als er und andere Demonstrierende gewaltsam vom Gelände entfernt werden sollten.

Teran gehörte zu den zahlreichen Menschen, die derzeit gegen die Errichtung des Atlanta Public Safety Training Center protestieren, einer Trainingsanlage, in der Polizist*innen eine Militärausbildung erhalten sollen. Aktivist*innen gaben der Anlage den Übernamen «Cop City».

Kritiker*innen befürchten, dass eine militärische Ausbildung das Gewaltproblem der Polizei noch verschlimmern wird. «Cop City ist nicht nur eine kontroverse Trainingsanlage», schreiben die Aktivist*innen auf ihrer Website. «Es ist ein Kriegsstützpunkt, in dem die Polizei Militärmanöver lernen wird, um schwarze Menschen zu töten sowie unsere Körper und Bewegungen zu kontrollieren.»

Eskalierende Proteste

Die Proteste dauern bereits Monate an, seit Terans Tod eskalieren sie. Am 21. Januar wurden sechs Personen verhaftet, als es bei Demonstrationen zu Sachbeschädigungen kam. Ein Polizeiwagen wurde angezündet.

«Die Menschen von Georgia respektieren friedliche Demonstrationen, tolerieren aber keine Gewalthandlungen gegen Personen oder Eigentum», sagte Kemp in seiner Ankündigung des Ausnahmezustands.

Polizei von Atlanta besorgt

Zusätzlich zu den Entwicklungen rund um «Cop City» bereitet der Polizei von Atlanta die Situation in Memphis Sorgen. «Wir beobachten die Vorgänge in Memphis genau und sind darauf vorbereitet, friedliche Proteste in unserer Stadt zu unterstützen», sagte ein Sprecher dem Sender CBS News. «Wir verstehen und teilen die Empörung über den Tod von Tyre Nichols.»

Des Weiteren erwarte das Police Department von seinen Beamten, sich «mitfühlend, kompetent und im Einklang mit der Verfassung» zu verhalten. In den Worten schwingt die Angst vor weiteren Eskalationen mit.

Auch an die Protestierenden wendet sich die Polizei: «Wir bitten darum, Demonstrationen sicher und friedvoll zu gestalten.»