Polnische Zivilisten stürmen Kriegskurse «Ich möchte, dass ihr so viel wie möglich schiesst!»

Von Herbert Aichinger

31.10.2022

Polen auf den Ernstfall einer russischen Invasion vorbereiten: Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei einem Besuch in einem militärischen Trainingscamp in Torun am 14. Oktober 2022.
Polen auf den Ernstfall einer russischen Invasion vorbereiten: Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak bei einem Besuch in einem militärischen Trainingscamp in Torun am 14. Oktober 2022.
EPA/Tytus Zmijewski/Keystone

Polen bietet seinen Bürger*innen Crashkurse in Kriegsführung an. Die eintägigen Camps sollen die Bürger*innen auf den Ernstfall vorbereiten.

Von Herbert Aichinger

Sofia zielt auf den Panzer auf dem Bildschirm. Stabsoffizierin Magdalena gibt Anweisungen: «Beim Schiessen einfach ruhig weiteratmen.»

Neuerdings bietet Polens Militär Schiessübungen für normale Bürgerinnen und Bürger an – im Rahmen einer eintägigen militärischen Schulung, die das richtige Verhalten in Gefahrensituationen, die Orientierung im Gelände und den Umgang mit Waffen lehren soll. «Das gibt einem ein grösseres Sicherheitsgefühl», sagt Sofia.

Mit Sofia Adach finden sich im Ausbildungszentrum für Luftfahrttechniker der polnischen Streitkräfte in Deblin hundert Frauen und Männer zusammen, um den Kurs «Trainiere mit der Armee» zu absolvieren. Ähnliche Angebote gibt es an 17 Militärstandorten in ganz Polen.

Angst vor dem russischen Aggressor

Viele Menschen in Polen befürchten, dass sich der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine auch auf ihr Territorium ausweiten könnte. Das EU- und NATO-Land Polen rüstet massiv gegen eine Bedrohung durch Moskau auf. Es hat zuletzt mit den USA und Südkorea Milliardendeals über die Lieferung neuer Panzer, Haubitzen und Kampfflugzeuge abgeschlossen.

Aktuell zählt das polnische Militär 110'000 Soldatinnen und Soldaten. Diese Truppenstärke soll in nächster Zeit verdoppelt werden. Verstärkt wird das Militär durch 30'000 Mitglieder des freiwilligen Heimatschutzes WOT.

Insgesamt strebt man für die kommenden Jahre eine Truppenstärke von 250'000 Berufssoldaten und 50'000 Heimatschützern an.

Polen führt derzeit verstärkt militärische Übungen durch, um auf eventuelle Angriffe russischer Truppen optimal reagieren zu können. Neben der Anwerbung von Berufssoldat*innen soll ein freiwilliger Heimatschutz mit etwa 50'000 Kämpfern aufgebaut werden.
Polen führt derzeit verstärkt militärische Übungen durch, um auf eventuelle Angriffe russischer Truppen optimal reagieren zu können. Neben der Anwerbung von Berufssoldat*innen soll ein freiwilliger Heimatschutz mit etwa 50'000 Kämpfern aufgebaut werden.
EPA/MARCIN BIELECKI/Keystone

Zu diesem Zweck hat Polen nach der Abschaffung der Wehrpflicht wieder einen freiwilligen Grundwehrdienst eingeführt.

«Wir wollen Voraussetzungen dafür schaffen, dass möglichst viele Menschen im Umgang mit Waffen, in Erster Hilfe und in Überlebensfertigkeiten geschult werden, also zum Beispiel in der Fähigkeit, ein Feuer zu machen oder Wasser aufzubereiten», so Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak.

Training im Simulator soll Ängste abbauen

Im Schiesssimulator in Deblin ermuntert Stabsunteroffizierin Porowska die Teilnehmer. «Ich möchte, dass ihr so viel wie möglich schiesst!» Das Training sei nützlich, um in einer Notsituation nicht in Panik auszubrechen, glaubt sie.

«Ich fürchte, der Ukraine-Krieg ist der Anfang von etwas Grösserem. Und bei einem bewaffneten Konflikt will ich nicht weglaufen», sagt Adam Krakowiak. Der 28-jährige Staplerfahrer überlegt, ob er Berufssoldat werden oder dem freiwilligen Heimatschutz beitreten soll. Das Training soll ihm bei der Entscheidung helfen.

Draussen auf dem Übungsgelände erklärt Feldweibel Mariusz Starosz, wie man mit einer Handgranate umgeht: «Nach dem Werfen sofort in Deckung gehen, nicht gucken, wo sie landet!», schärft er den Teilnehmern ein.

Pfadfinder-Romantik inklusive

Ein Ausbilder für Fallschirmspringer zeigt, wie sich mit Messerrücken, Feuerstahl und Birkenrinde ein Lagerfeuer entfachen lässt. In der Mittagspause bekommen die Teilnehmer eine Ration Einsatzverpflegung – komplett mit chemischem Erhitzer, der nur mit Wasser vermischt werden muss. Nach zehn Minuten kocht das Essen in der Aluschale.

«Natürlich kann man Leute nicht an einem Tag zu Soldaten ausbilden», sagt Stabsadjutant Marcin Chruscicki, der den Kurs begleitet. Aber im Konfliktfall könne es nicht schaden, wenn möglichst viele Bürger wüssten, wie man mit einer Waffe umgeht. Ausserdem sei das Ganze auch eine Imagekampagne: «Wir möchten den Menschen ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, dass die Armee da ist.»

Mit Material der Nachrichtenagentur DPA.