Nach Behandlung in Berlin Pussy-Riot-Aktivist Wersilow will zurück nach Russland

dpa

28.9.2018

«Sie werden mich nicht los», sagt Pjotr Wersilow. Der Pussy-Riot-Aktivist befindet sich nach der Behandlung seiner Vergiftungserscheinungen noch in Berlin unter Polizeischutz. Schon bald will Wersilow aber wieder neue Aktionen in Moskau starten.

Pussy-Riot-Aktivist Pjotr Wersilow will nach einer erfolgreichen Behandlung von Vergiftungssymptomen in Berlin in wenigen Tagen nach Moskau zurückkehren. «Wir machen mit unserer Arbeit weiter», kündigte Wersilow am Donnerstag im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur an. «Oppositionspolitik in Russland ist riskant. Aber sie werden mich nicht los.»

Wersilow verdächtigt den russischen Geheimdienst, ihn am 11. September in Moskau vergiftet zu haben. Er sei danach rund zwei Wochen lang ohne volles Bewusstsein gewesen. Noch immer habe er leichte Sehprobleme. Russland kommentierte den Fall bisher nicht.

Pjotr Wersilow kündigte seine baldige Rückkehr nach Moskau an. 
Pjotr Wersilow kündigte seine baldige Rückkehr nach Moskau an. 
Bild: Keystone/Archiv

Wersilow ist Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot. Die Gruppe ist mit spektakulären Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption weltweit bekannt geworden. Wersilows Partnerin, Nadeschda Tolokonnikowa, wurde 2012 wegen einer Protestaktion in einer Kirche zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

Wersilow selbst lief beim Finalspiel der Fussball-WM mit drei Mitstreitern in Uniformen auf das Feld, um unter anderem gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Er wurde daraufhin zu einer Arreststrafe verurteilt.

Er hielt den Spital-Chef am für einen Gefängniswärter

Wersilow war am Mittwochabend nach mehr als einwöchiger Behandlung aus der Berliner Charité entlassen worden. Den Flug nach Berlin und den Aufenthalt in der Uni-Klinik hatten der Cinema-for-Peace-Gründer Jaka Bizilj und Unterstützer auf Wunsch von Wersilows Familie organisiert und finanziert. Bizilj hatte bereits zuvor Kontakte zu PussyRiot.

Charité-Ärzte halten eine Vergiftung Wersilows für wahrscheinlich. Die toxikologischen Untersuchungen hätten bislang aber keinen eindeutigen Hinweis auf die auslösende Substanz erbracht. «Es war vermutlich ein flüssiges Nervengift, denn es gab keine Chance, mir eine Spritze zu setzen», sagte Wersilow.

Am 11. September sei er vor einem Besuch in einem Gerichtsgebäude in einem Café gewesen. Dort habe er sich etwas zum Essen und Trinken gekauft. Rund zwei Stunden später habe er kaum noch etwas sehen können und die Kontrolle über seine Bewegungen verloren. Am Abend habe ihn seine Familie bereits bewusstlos mit einer Ambulanz in eine Moskauer Klinik bringen lassen.

Erst in Berlin habe er langsam und bruchstückhaft sein Erinnerungsvermögen wiedergewonnen. «Ich habe den Charité-Chef am Anfang für einen Gefängniswärter gehalten», sagte Wersilow.

Ärzte konnten toxischen Stoff nicht identifzieren

Seine Vermutung, dass der russische Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte, sieht Wersilow durch die Untersuchungen an der Charité gestützt. «Die Ärzte hier haben gesagt, dass es Vergiftungserscheinungen waren. Aber mit einem Stoff, den sie nicht erkennen können. Etwas sehr Ungewöhnliches. Bekanntermassen können nur wenige Organisationen auf der Welt solche Stoffe herstellen.»

Russische Behörden kommentierten Wersilows Behauptungen bisher nicht. Der Fall spielt in russischen Medien kaum eine Rolle.

Pjotr Wersilow bei seiner Verlegung  in die Charité in Berlin. 
Pjotr Wersilow bei seiner Verlegung  in die Charité in Berlin. 
Bild: dpa/Archiv

Für ihn sei die Möglichkeit einer Vergiftung kein Schock gewesen, sagte Wersilow. «Wenn man ein Jahrzehnt lang mit Oppositionspolitik in Russland zu tun hat, gewöhnt man sich einfach dran», sagte er. Er sehe sich nicht als Helden. «Aber wenn man den Wunsch, die Fähigkeit und die Stärke für Oppositionspolitik in Russland hat, dann sollte man das auch tun.» Anders kämen Veränderungen nicht in Gang.

Wersilow soll Verbindungen zu russischen Investigativjournalisten gehabt haben, die in der Zentralafrikanischen Republik über den angeblichen Einsatz von russischen Söldnern recherchiert hatten. Die Reporter waren bei ihrer Recherche Anfang August getötet worden. Die Hintergründe der Tat sind weiter unklar. Zurück in Moskau wolle er sich neben Kunstprojekten weiter diesem Thema widmen.

Immer wieder werden prominente Kremlkritiker getötet

Gefängnisaufenthalte für seine Arbeit nimmt Wersilow dafür in Kauf. «Die Bedingungen für Aktivisten sind im Gefängnis ganz in Ordnung. Für normale Bürger sind sie viel schlimmer», berichtete er. «Für jeden Gefängnisboss, der mich oder andere Aktivisten in Obhut bekommt, ist das ein Alptraum. Er muss sich plötzlich Buchstabe für Buchstabe an die Regeln erinnern.»

In Berlin hat Wersilow Polizeischutz. Und in Moskau? «Da ist das nicht nötig. Wenn sie dir in Russland was antun wollen, dann machen sie das, egal, wie viele Leibwächter du hast.»

Immer wieder sind in der Vergangenheit prominente Oppositionelle und Kremlkritiker getötet worden, die Hintergründe wurden meist nicht aufgeklärt. Der ehemalige Vize-Ministerpräsident Boris Nemzow wurde 2015 unweit des Roten Platzes erschossen. Der Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko wurde 2006 in London mit dem radioaktiven Stoff Polonium 210 vergiftet und starb. Aktuell sorgt der Skripal-Fall für internationale Schlagzeilen. London behauptet, dass der Ex-Spion Sergej Skripal und dessen Tochter im Auftrag des Kremls vergiftet worden sei. Beide überlebten knapp. Moskau bestreitet jede Verbindung.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite