ReferendumPutin forever – Russlands Wahl, die keine ist
Von Philipp Dahm
1.7.2020
Pandemie und sinkende Erdölerträge kratzen an Wladimir Putins Nimbus. Zeit für Russlands Präsidenten, seine Macht per Verfassungsreferendum abzusichern – inklusive Wahl-Lotterie, Angstmache und quid pro quo.
Theoretisch ist die Macht des russischen Präsidenten begrenzt: Nach zwei Amtszeiten à 6 Jahre ist eigentlich fertig, wenn man es mit der russischen Verfassung nimmt. Wladimir Putin könnte jedoch noch bis 2036 regieren, wenn die Ergebnisse einer aktuellen russischen Wahl vorliegen – der amtierende Präsident wäre dann 84 Jahre alt.
Möglich würde das, weil die Wählenden bei Putin den Zähler wieder auf Null setzen könnten: Dann stünden dem St. Petersburger bei den kommenden Wahlen im Jahr 2024 noch einmal zwölf Jahre als Staatsoberhaupt offen. Obwohl: Eine Wahl hat das Volk eigentlich nicht, denn die Abstimmung ist kein Urnengang, sondern lediglich eine Befragung. Was den Vorteil hat, dass der Kreml auf internationale Wahlbeobachter verzichten kann.
Die hätten allerdings auch eine mühsame Aufgabe: 110,5 Millionen Wahlberechtigte haben vom 25. Juni bis zum 1. Juli Zeit, ihre Stimme abzugeben, wobei der letzte Tag des Referendums in Russland ein Feiertag ist. Die Bürger können online oder in Wahllokalen abstimmen. Und auch wenn sich 427'000 Russen als nationale Wahlbeobachter haben registrieren lassen, ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet – weil beispielsweise Urnen über Nacht nicht eingeschlossen werden.
Der Journalist Pavel Lobkov berichtete, dass er ohne Probleme gleich zweimal abstimmen konnte: sowohl online als auch in einem Wahllokal. Kremlkritiker Alexej Nawalny veröffentlichte auf Social Media Bilder, die ein Wahllokal in Omsk in Sibirien zeigen sollen. Darauf sind zwei Tische mit Gartenstühlen im Freien zu sehen – ohne eine geschützte Wahlkabine.
Moskau will alles dafür tun, dass das Referendum sauber über die Bühne geht. Einerseits wegen der Pandemie: «Masken, Handschuhe und sogar Einmal-Kugelschreiber gibt es für alle», erklärt Ella Pamfilowa der deutschen Nachrichtenagentur «dpa». Auf der anderen Seite mahnt Wladimir Putin zur politischen Hygiene: Es sollte keinen Zwang zur Stimmabgabe geben – «geschweige denn Fehler bei der Auszählung von Stimmen».
Los-Gewinne fürs Stimmvolk
Die Wahlbeteiligung dürfe nicht geschönt werden, sagte der 67-Jährige am Donnerstag im Staatsfernsehen. «Es kommt darauf an, dass niemand die Position der Bürger Russlands in Zweifel ziehen kann», fügte er hinzu. Die Ergebnisse müssten «absolut zuverlässig und legitim» sein.
Das tönt ganz gut, doch in der Praxis sind die Umstände des Referendums «unkonventionell», wenn nicht «fragwürdig», wie es die «Tagesschau» von SRF ausdrückt.
Das liegt an den Sachpreisen, die unter den Wählenden verlost werden, die sich nach der Stimmabgabe ein entsprechendes Los holen. Die Gewinne reichen vom Haartrockner übers Handy bis zum Auto. Der Grund für den Rummel: Legitimität kann eine Abstimmung nur dann verleihen, wenn ein gewisses Mass an Wahlbeteiligung erreicht wird.
«Zufall» – Wahlleiterin gewinnt Wohnung
Die Behörden machen Werbung für die Preise. In der Stadt Omsk freute sich die Leiterin eines Wahllokals über eine neue Wohnung als Gewinn: Die 59-Jährige sprach von einem «glücklichen Zufall», dass ausgerechnet ihr Los gezogen wurde.
Kritik, dass durch die Lotterie das erwünschte Ergebnis erkauft würde, hatten die Behörden zurückgewiesen – die Gewinnspiele seien absolut legal. Und natürlich kann sich daran auch beteiligen, der bei der Befragung das Massnahmenbündel abgelehnt hat.
Und das ist der zweite, schwerwiegendere Kritikpunkt am Referendum. Die «Los Angeles Times» bringt es auf den Punkt: «Obwohl die Russen aufgefordert sind, über ein Paket von 206 Änderungen an der russischen Verfassung abzustimmen, sind 205 davon bloss Blendwerk für die eine, die Putin wichtig ist: eine Änderung des Artikels 81, Absatz 3»: die Begrenzung auf zwölf Jahre Amtszeit für den Präsidenten.
Quid pro quo
Versüsst wird Putins Amtszeitverlängerung mit Rentenanpassungen, Mindestlohn-Anhebung, dem «Schutz der Sprache und Kultur» oder Mitteln für das Gesundheitswesen – beworben mit Clips von Ärzten, die heldenhaft gegen das Coronavirus kämpfen und appellieren, dafür zu stimmen. Das Staatsfernsehen wirbt ganz offen in den Hauptnachrichten für das neue Grundgesetz: Moderator Kirill Klejmjonow vom Ersten Kanal spricht bewundernd von «unserem Präsidenten» Wladimir Wladimirowitsch.
Es geht auch um die «Bewahrung von Familienwerten» – und im Internet häufen sich Videos, die mit Minderheiten Angst schüren vor einem Nein: Ein Clip zeigt ein schwules Paar, das einen tieftraurigen Jungen adoptiert und ihm ein Kleid schenkt – mit dem Aufruf, Russland vor solchen Zuständen zu bewahren.
Die Plattform Youtube sperrte das Video, weil es Hass verbreite. Putin hat im neuen Grundgesetz die Ehe zwischen Mann und Frau verankern lassen. Solange er regiere, werde es nie eine gleichgeschlechtliche Ehe in Russland geben, versprach er.
Trübe wirtschaftliche Aussichten
Der Kremlchef hat diese Abstimmung durchgedrückt, weil ihm die Zeit davonläuft: Die schon vor der Pandemie schlechten Umfragewerte sinken genau so weiter wie der Ölpreis – und mit ihm die Mittel der Staatskasse. Obwohl das neue Coronavirus als besiegt erklärt wurde, gibt es noch immer täglich über 7'000 Neuinfektionen.
«Die Situation ist unberechenbar: Viele haben ihre Jobs verloren oder könnten sie zukünftig wieder verlieren», erklärte Polit-Analystin Tatjana Stanowaja dem «Guardian». «Je länger [die Regierenden] warten, desto schwerer würde es, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die richtigen Ergebnisse zu erzielen.»
Ein Szenario wie bei der Wahl 2001, die wegen Unregelmässigkeiten Proteste auslöste, muss aus Sicht des Kreml unbedingt vermieden werden. Moskau hat damals durchgegriffen, verdeutlichte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen im «Bluewin»-Gespräch: «Unmittelbar nach Putins Wiederwahl wurde die Versammlungsfreiheit beschnitten. Organisationen, die Geld aus dem Westen erhalten, wurden zu ausländischen Agenten erklärt. Es gibt also ein ganzes Instrumentarium, um den organisierten Protest einzudämmen.»
Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, wird offenbar Druck auf Staatsbedienstete ausgeübt: Unabhängige Wahlbeobachter und besonders auch die kremlkritische Zeitung «Nowaja Gaseta» berichten seit Tagen, dass etwa Lehrer, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und andere Beschäftigte des öffentlichen Diensts sowie Beamte gedrängt würden, am Referendum teilzunehmen.
Druck auf Staatsdiener
Wahlleiterin Pamfilowa räumte laut Agentur Interfax am Samstag in Moskau ein, es gebe bisher 105 Mitteilungen über einen möglichen Druck, von denen 75 ernst genommen werden müssten. Die Wahlleiterin sagte aber auch, dass es viele anonyme Beschwerden vorlägen, die die Bürger aber erst offiziell machen müssten.
«Das ist keine Abstimmung, kein Referendum, sondern eine Show, die Wladimir Putin braucht», sagt die Oppositionspolitikerin Ljubow Sobol in Moskau. Weil Strassenproteste wegen der Pandemie seit Monaten verboten sind, bricht sich der Zorn im Internet Bahn. In der Kampagne «Njet!» – «Nein dem ewigen Putin» – bietet die Opposition auf einer Plattform fertige Protest-Flugblätter und Plakate zum Ausdrucken an. Es gibt eine Online-Petition mit Zehntausenden Unterschriften gegen Putins Pläne.
Если ваша вечеринка не выглядит так, как этот "избирательный участок" в городе Торжок, то даже не думайте меня приглашать. pic.twitter.com/OU0uyZXJqR
Davon unbenommen liegt die geänderte Fassung der Verfassung in Buchläden aber schon vor der Stimmenzählung aus, und unterschrieben hat Moskaus Machthaber das Dokument in der Theorie übrigens auch schon. In Kraft setzen will er sie, wenn die Befragung im Volk eine Mehrheit findet. Das wäre – in der Praxis – dann ja auch nur legitim.