Angriff bei Tschernobyl Russen fuhren ahnungslos und ungeschützt durch die Todeszone

tafi

1.4.2022

Einige russische Soldaten sollen bei der Besetzung von Tschernobyl nicht gewusst haben, wie gefährlich die AKW-Ruine ist. (Archivbild)
Einige russische Soldaten sollen bei der Besetzung von Tschernobyl nicht gewusst haben, wie gefährlich die AKW-Ruine ist. (Archivbild)
KEYSTONE

Russische Soldaten sollen völlig ungeschützt durch besonders verstrahlte Zonen in Tschernobyl gefahren sein und radioaktiven Staub eingeatmet haben. Mitarbeiter der AKW-Ruine sprechen von «selbstmörderischem» Verhalten.

tafi

1.4.2022

Unweit der Ruine des Atomkraftwerks Tschernobyl gelegen, gilt der «Rote Wald» als eines der am stärksten kontaminierten Gelände der Welt. Nach der Reaktorkatastrophe bekam das Gebiet die höchste Strahlendosis ab: Die Bäume starben ab und nahmen eine rostbraune Farbe an, bevor sie gerodet wurden.

Noch heute ist der Rote Wald derart verseucht, dass nicht einmal die regulären Mitarbeiter der Atomruine das Gebiet betreten dürfen. Russlands Armee hingegen schickte Soldaten mit schwerem Gefährt offenbar mitten durch die besonders kritische Zone, als die Truppe am 24. Februar die Kontrolle über das AKW-Gelände übernahm.

Dabei sei jede Menge radioaktiver Staub aufgewirbelt worden, den die Soldaten auch eingeatmet haben dürften. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich auf Protokolle und Aussagen von ukrainischen Mitarbeitern der AKW-Ruine, die zu dieser Zeit Dienst hatten und das Verhalten der Russen als «selbstmörderisch» beschrieben.

Reuters hatte die Mitarbeiter der AKW-Ruine am Telefon befragt, nachdem sie nach einem Monat Dauereinsatz abgelöst worden waren. Die Agentur konnte ihre Angaben nicht überprüfen. Das russische Verteidigungsministerium war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Soldaten wussten nicht einmal, wo sie waren

Vorbereitet auf einen Einsatz in einer radioaktiv kontaminierten Umgebung seien die russischen Truppen dabei nicht gewesen. Die Soldaten waren nach Angaben der Tschernobyl-Mitarbeiter ohne Schutzanzüge unterwegs, auch die Panzer und gepanzerten Fahrzeuge der russischen Armee waren nicht entsprechend ausgerüstet.

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Die einfachen Soldaten hätten nicht einmal gewusst, in welcher Art von Anlage sie sich befinden. «Als sie gefragt wurden, ob sie von der Katastrophe von 1986, der Explosion des vierten Reaktorblocks, wussten, hatten sie keine Ahnung», zitiert Reuters einen der beiden Mitarbeiter.

Den Soldaten sei lediglich gesagt worden, es handle sich um «kritische Infrastruktur». Speziell geschulte russische Soldaten erreichten das Kernkraftwerk erst eine Woche, nachdem die Russen das Gelände am ersten Tag ihrer Invasion besetzt hatten und dort Waffen und Munition lagerten.

Gesundheitsschäden nicht absehbar

«Es ist immer gefährlich, wenn sich Menschen auf einem Gebiet mit radioaktiven Materialien aufhalten, ohne zu verstehen, was sie da wirklich tun», schätzt Balthasar Lindauer von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) beim Südwestdeutschen Rundfunk ein. Die EBRD finanziert und überwacht die Sicherung des havarierten Reaktors.

Das musst du über Jodtabletten wissen

  • Jodtabletten kommen zum Einsatz, wenn zu viel radioaktives Jod in der Luft ist, etwa nach einem Störfall in einem AKW. Bei entsprechenden Messwerten wird die Einnahme auch bei einer Atomexplosion im Ausland angeordnet.
  • Jodtabletten sättigen die Schilddrüse mit nicht radioaktivem Jod. Dadurch verhindern sie, dass sich radioaktives Jod ansammelt und Schilddrüsenkrebs verursacht.
  • An alle Menschen, die sich regelmässig im Umkreis von 50 Kilometern zu einem der Schweizer Kernkraftwerke aufhalten, werden alle zehn Jahre Jodtabletten verteilt. Dies geschah zuletzt 2014. Damals wurden 4,9 Millionen Menschen versorgt. Wer seine Jodtabletten verloren oder verlegt hat, kann sie im Umkreis von 50 km um ein Schweizer Kernkraftwerk für fünf Franken in Apotheken und Drogerien nachkaufen.
  • Für die Bevölkerung in allen anderen Gebieten halten die Kantone ausreichend Jodtabletten vor, die innert zwölf Stunden ab Anordnung verteilt werden können.
  • Jodtabletten schützen nicht vor direkter radioaktiver Strahlung oder anderen radioaktiven Substanzen wie Cäsium und Strontium. Im Fall eines Nuklearereignisses gibt die Nationale Alarmzentrale (NAZ) Verhaltensanweisungen.

Wie viel Radioaktivität die russischen Soldaten tatsächlich ausgesetzt waren, ist unklar. Wenn sie tatsächlich durch das stark verseuchte Gebiet gefahren sind, könnte ihre Ahnungslosigkeit erhebliche gesundheitliche Folgen haben: von der Strahlenkrankheit über ein erhöhtes Krebsrisiko bis hin zu Schäden am Erbgut.

Im Detail sind mögliche Schäden kaum vorherzusagen. Hohe Dosen radioaktiver Strahlung können unterschiedliche Probleme verursachen. Es kommt immer darauf an, über welchen Zeitraum der menschliche Körper der Strahlung ausgesetzt ist. Wird in kurzer Zeit eine hohe Dosis aufgenommen, schädigt das den Körper mehr als eine geringe Dosis über einen längeren Zeitraum.