Angst vor Nuklear-TsunamiRussland stellt erstmals Atom-Torpedos her
Von Gabriela Beck
21.1.2023
Russland hat angeblich eine erste Charge seiner neuartigen Atomwaffe «Poseidon» fertiggestellt. Trotz gigantischer Zerstörungskraft dürfte das Geschoss vor allem auf die abschreckende Wirkung abzielen.
Von Gabriela Beck
21.01.2023, 00:00
Gabriela Beck
Er wird von einem U-Boot aus abgefeuert und soll dann automatisch auf ein zuvor ausgewähltes Ziel zuschiessen – unaufhaltsam, in bis zu tausend Metern Wassertiefe und bis zu 200 Stundenkilometer schnell. Mit einer Reichweite von bis zu 10'000 Kilometern. Seine Nuklearsprengköpfe könnten eine Sprengkraft von bis zu 100 Megatonnen erreichen und einen radioaktiven Tsunami auslösen.
So lauten zumindest die russischen Angaben zur neuen Nuklearwaffe «Poseidon». Und die können – zwecks Drohkulisse – auch übersteigert sein.
Zum Vergleich: Die Atombombe, die von den USA über Hiroshima abgeworfen worden war, hatte eine Sprengkraft zwischen 12 und 16 Kilotonnen.
Nun hat Russland laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, die sich wiederum auf eine dem russischen Militär nahestehende Quelle bezieht, den Bau einer ersten Charge des Monstertorpedos abgeschlossen. Demnach soll er in Russlands neuem Atom-U-Boot Belgorod eingesetzt werden.
«Poseidon» ist der NATO-Name für Russlands Status-6 Oceanic Multipurpose System, eine neue Art von Unterwasserdrohne, die sowohl nukleare als auch konventionelle Sprengköpfe tragen kann. Sie soll so gross und schwer sein, dass die Belgorod nur sechs Stück auf einmal tragen kann. Damit wäre die neuartige Waffe der grösste Torpedo, der jemals von irgendeinem Land der Welt entwickelt und eingesetzt worden wäre.
Stimmen die Angaben, wäre die Sprengkraft des Poseidon-Torpedos tatsächlich so gross, dass die Küsten eines Kontinents über Jahrzehnte hinweg verstrahlt und unbewohnbar gemacht werden könnten. «Es ist eine wahnsinnige Waffe in dem Sinne, dass sie wahrscheinlich so wahllos und tödlich ist, wie man eine Atomwaffe nur herstellen kann», sagte Hans Kristensen, der Direktor des Nuclear Information Project bei der Federation of American Scientists, zu «Business Insider».
Auf der Belgorod seien Abschusstests mit «Poseidon»-Attrappen abgeschlossen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Tass bereits vergangene Woche. Ziel der Tests sei gewesen, «den Betrieb des Poseidon-Startsystems zu überprüfen». Das sei gelungen. Diese Woche hiess es dann, dass damit auch die Tests der wichtigsten Waffenkomponenten der «Poseidon»-Waffe abgeschlossen seien.
Einsatzreife steht in den Sternen
Wann genau die Torpedos nun aber tatsächlich einsatzbereit sind, ist nicht klar. Denn Moskau lässt schon seit Jahren immer wieder Informationen zum Entwicklungsstand durchsickern.
«Das Projekt profitiert von all den Unsicherheiten und Spekulationen. Poseidon ist in erster Linie eine psychologische Waffe», sagt Ina Holst-Pedersen Kvam, Forscherin an der Norwegischen Marineakademie, dem «Barents Observer». Ein Test mit scharfer Munition werde dann wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem die potenzielle Abschreckungswirkung am dringendsten benötigt werde.
Erste Lieferungen seien nach ihrem Wissensstand frühestens für 2027 geplant, so Ina Holst-Pedersen Kvam. «Aber wenn die Erfolgsbilanz von Russlands berüchtigt leistungsschwachem Industrie-Militär-Komplex ein Hinweis ist, wird ‹Poseidon› wahrscheinlich viel später Einsatzreife erreichen.»