Kompromiss nicht in Sicht Scheitert die Unionsehe? Von Szenarien und Spekulationen

Von Marco Hadem und Jörg Blank, dpa

26.6.2018

Woche der Entscheidung im Asylstreit zwischen Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer: Weil beide Seiten ihre Glaubwürdigkeit in die Waagschale geworfen haben, ist ein Kompromiss nicht in Sicht. Ob es noch eine gesichtswahrende Lösung geben kann?

Es ist im Moment die wichtigste politische Frage in Berlin und München überhaupt: Was passiert, wenn es bis diesen Sonntag keinen Kompromiss zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer in der Asylfrage gibt? Platzt die grosse Koalition, weil der CSU-Chef und Bundesinnenminister im Alleingang die Zurückweisung von bereits in Europa registrierten Flüchtlingen anordnet? Zerbricht die Fraktionsgemeinschaft von CSU und CDU im Bundestag? Endet die Amtszeit der Kanzlerin oder kann sich ihre CDU noch in ein anderes Regierungsbündnis retten?

Und was passiert mit Europa? Zerbricht die grenzenlose Gemeinschaft ausgerechnet an Grenzfragen? Und das in einer Zeit, in der Donald Trump als unberechenbarer US-Präsident den Multilateralismus in Frage stellt, stramm in Richtung Handelskrieg marschiert und sich China und Russland auf alte Stärke besinnen. Merkels Credo in dieser Situation: Deutschland ist nur in einem vereinten Europa stark - und kann auch seinen Wohlstand letztlich nur in diesem Rahmen verteidigen.

Doch die Krise des Internationalen ist seit Tagen überlagert vom erbitterten Gezänk der schwarzen Schwestern. Und niemand kann derzeit seriös voraussagen, in welche Richtung sich in den kommenden Tagen der politische Kompass dreht - selbst Merkel und Seehofer nicht, die beide ihre Positionen zur Grundsatzfrage gemacht haben.

Angela Merkel und ihr Innenminister, Heimatminister und Bauminister in einem: Horst Seehofer bei einer CDU/CSU-Fraktionssitzung.
Angela Merkel und ihr Innenminister, Heimatminister und Bauminister in einem: Horst Seehofer bei einer CDU/CSU-Fraktionssitzung.
Kay Nietfeld

Seehofer hat sich in den vergangenen Tagen wiederholt zu seinen nächsten Schritten geäussert: «Aber wenn es bis zum EU-Gipfel keine Regelung gibt, beginne ich mit den Zurückweisungen an der Grenze», sagte er jüngst der «Süddeutschen Zeitung» und fügt hinzu: «Dann wird es schwierig.» Merkel bliebe dann, so geht eine Einschätzung, nur die Möglichkeit, Seehofer das Vertrauen zu entziehen und ihn zu entlassen. Damit wäre wohl die schwarz-rote Koalition am Ende, denn mit Seehofer würde die gesamte CSU das Regierungsbündnis verlassen.

Übrig blieben die CDU und SPD - gemeinsam kämen sie auf 353 Sitze - zur einfachen Mehrheit im 709 Parlamentarier grossen Bundestag fehlen Christ- und Sozialdemokraten zwei Stimmen. Eine Berliner Spekulation vermutet, die Kanzlerin könne dann versuchen, die Grünen in die Regierung zu ziehen - doch das würde wohl erneut langwierige Verhandlungen nach sich ziehen. Wahrscheinlichste Konsequenz wäre wohl eine baldige Neuwahl. Ob Merkel dabei erneut antreten würde oder ob ihr politisches Schicksal in diesem Fall besiegelt wäre - keiner kann es derzeit sagen.

Doch im Moment könnten solche Spekulationen noch verfrüht sein. Merkel und Mitglieder der CDU-Spitze betonen jedenfalls bei jeder Gelegenheit, für wie wichtig sie die Unions-Fraktionsgemeinschaft halten. Und auch aus der CSU-Spitze heisst es, niemand wolle eigentlich die Zusammenarbeit mit der CDU beenden. Wie das gehen soll, wenn keine Seite von ihrer Position abgeht, weiss allerdings auch niemand.

Dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU 42 Jahre nach dem legendären Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 ihr Ende findet, kann sich aber dieser Tage auch in der sich so kämpferisch gebenden CSU kaum jemand so richtig vorstellen. «Dann wird es eher auf Neuwahlen mit neuem Spitzenpersonal hinauslaufen», heisst es rund um das Machtzentrum der Partei im Landtag, der Herzkammer, wie die Fraktion sich selbst nennt. Solche Gedankenspiele lösen schon jetzt bei den auf Eigenständigkeit bedachten Christsozialen Rhythmusstörungen aus.

Denn für die CSU würde nicht nur eine Regierungsbeteiligung enden. Für das Landtagswahljahr wäre es das denkbar schlechteste Signal, immerhin hat Seehofer lange Monate die Meinung, ohne einen Erfolg im Bund werde es auch keinen Erfolg in Bayern geben, wie eine tibetanische Gebetsmühle vor sich hergetragen. CSU-Spitzenkandidat Markus Söder, selbst einer der eifrigsten Unterstützer eines notfalls deutschen Alleingangs, müsste bis zur Wahl mit massiven Verschiebungen im CSU-Wählerklientel rechnen. Denn selbst wenn die Geschlossenheit demonstrativ zur Schau gestellt wird: Auch in Bayern gibt es noch immer viele Merkel-Anhänger. Am Montag attestierte eine Umfrage der Kanzlerin gar mehr Zuspruch als Seehofer und Söder.

Scheitert die Unionsehe krachend, schwebt die Frage der bundesweiten Ausdehnung der CSU im Raum - genauso wie die Gründung eines CDU-Landesverbandes Bayern. Für beide würde das erhebliche Risiken bergen: Der Nimbus der CSU als Regionalpartei mit bundesweitem Einfluss könnte dann schnell futsch sein - genauso wie etliche der angestammten Direktmandate der CDU in den Ländern. Denn nicht nur Merkel hat noch etliche Anhänger in Bayern - umgekehrt dürften auch viele Wähler in den anderen Bundesländern der harten Haltung von Seehofer und Söder viel abgewinnen und der CDU den Rücken kehren.

Eine Brücke zwischen Merkel und Seehofer, so hört man, könne das im CSU-Beschluss zu Merkels Frist bis zum EU-Gipfel enthaltene Wörtchen «wirkungsadäquat» werden. In ihrer bewegten Geschichte haben CSU und CDU immer wieder inhaltliche Probleme über wohl formulierte Hintertürchen lösen können, sei es in der Maut-Debatte oder im Obergrenzenstreit vergangenen Sommer. So gesehen könnte der politische Super-GAU am Ende durchaus noch abgewendet werden, etwa wenn Merkel bis zu einer gesamteuropäischen Lösung mittels bi- oder trilateralen Abkommen Zeit gewinnen könnte.

Ob Söder dies unter dem «Kleingedruckten» versteht, welches die CSU nach dem EU-Gipfel in ihrer Vorstandssitzung am Sonntag genau studieren müsse, ist unklar. Fest steht aber, dass Seehofer und Merkel schon aus eigenem Machterhalt in ihren wohl am Samstag unvermeidlich anstehenden Telefonaten genau darüber sprechen werden.

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