Deutscher Wahlkampf Selbst Horst Seehofer wird der Shitstorm um Annalena Baerbock zu viel

Von Sven Hauberg

8.7.2021

Annalena Baerbock will für die Grünen das deutsche Kanzleramt erobern.
Annalena Baerbock will für die Grünen das deutsche Kanzleramt erobern.
Bild: Keystone

Ende September entscheidet sich, wer Angela Merkel ins Kanzleramt nachfolgt. Vielleicht ja Annalena Baerbock. Doch die Grünen-Politikerin sieht sich schmutzigen Attacken ausgesetzt.

Von Sven Hauberg

Was soll man machen, wenn man sich plötzlich inmitten eines Shitstorms wiederfindet – Augen zu und durch? Oder zurückschlagen, mit allen Mitteln, die man hat? Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen, hat sich für letztere Methode entschieden. Und man kann festhalten: Das war keine gute Idee.

Rückblick: Mitte April hatten die Grünen, denen Umfragen seinerzeit so gute Chancen auf das Kanzleramt einräumten wie nie zuvor in der Parteigeschichte, Baerbock als ihre Spitzenkandidatin präsentiert. Am 26. September, so die Hoffnung der Öko-Partei, solle die 40-Jährige auf Angela Merkel ins Kanzleramt nachfolgen.

Baerbocks Co-Parteichef Robert Habeck hatte zugunsten Baerbocks darauf verzichtet, diese historisch einmalige Chance wahrzunehmen. Die Wählerbefragungen gaben den Grünen Recht mit ihrer Personalentscheidung, sie stiegen in den Umfragen in bislang nicht gekannte Dimensionen auf.



Doch auf den Höhenflug folgte schnell eine schmerzhafte Landung auf dem Boden der bundesdeutschen Realitäten. Baerbock und ihr Team machten einen Fehler nach dem nächsten, und die Boulevardpresse stürzte sich wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe auf die Frau aus Hannover.

Gefundenes Fressen

Zunächst war bekannt geworden, dass Baerbock Sonderzahlungen in Höhe von rund 25'000 Euro, die sie als Bundesvorsitzende der Grünen erhalten hatte, nicht an die Bundestagsverwaltung gemeldet hatte. Baerbock sprach daraufhin von einem «Fehler».

Wenig später dann nahm die grüne Kanzlerkandidatin mehrere Änderungen an ihrem Lebenslauf vor. So wurde etwa präzisiert, sie sei inzwischen aus dem Europa/Transatlantik-Beirat der Heinrich-Böll-Stiftung ausgeschieden. Allesamt Lappalien, sollte man meinen. Doch die Pannen waren nur der Anfang.



So richtig dick kam es Ende Juni, als ein selbst ernannter «Plagiatsjäger» in Baerbocks Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» Passagen entdeckte, die offenbar aus anderen Publikationen übernommen worden waren. Teils wortwörtlich, immer aber ohne Quellennachweis.

Zwar erwiesen sich bei genauerer Betrachtung auch diese Vorwürfe als denkbar unspektakulär – mal hatte Baerbock schlicht Zahlen und andere Fakten kopiert, mal aus Dokumenten ihrer eigenen Partei «abgeschrieben». 

Spätestens jetzt aber nahm die Anti-Baerbock-Kampagne der «Bild»-Zeitung so richtig Fahrt auf. Das rechtskonservative Boulevardblatt aus dem Hause Springer ist berüchtigt dafür, ein einmal gefundenes Opfer mit aller Härte zu verfolgen. Dass dabei auch mal unfair gespielt wird, ist Mittel zum Zweck. Und so folgt seit Tagen eine niederträchtige Schlagzeile auf die nächste, oftmals mit einer Wortwahl, deren Zitierung sich an dieser Stelle verbietet.

Abgebrochene Promotion – na und?

Nun muss man aber auch festhalten: Ein bisschen selbst schuld ist Annalena Baerbock schon an dem medialen Shitstorm, der da über ihr tobt. Nicht nur, weil sie Fehler gemacht hat, die einer erfahrenen Politikerin, die einen ganzen Parteiapparat im Rücken hat, nicht passieren dürfen. Sondern vor allem, weil sei auf die weit hergeholten Plagiatsvorwürfe reichlich dünnhäutig reagiert hat: mit einem Anwalt nämlich. Und so hat Baerbock selbst mitgeholfen, aus einer medialen Mücke einen polternden Elefanten zu machen. Sozialwissenschaftler nennen so etwas den «Streisand-Effekt».

Wer nun meint, der deutsche Wahlkampf habe tiefstes US-Niveau erreicht, der irrt allerdings. Denn während neben «Bild» und «Welt» auch die «Frankfurter Allgemeine» munter auf Baerbock eindrischt, bekommt die Grünen-Politikerin aus dem Lager des politischen Gegners allenthalben Schützenhilfe.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte unlängst über den Wahlkampf, er «habe Sorge, dass es eine Schlammschlacht werden könnte». Und CSU-Innenminister Horst Seehofer, beileibe kein Freund der Grünen, liess sich in der «Süddeutschen Zeitung» mit den Worten zitieren, er halte die Attacken auf Baerbock «einfach für übertrieben».



Alles gut also bei den deutschen Nachbarn? Kurz bevor man meinen könnte, der Wahlkampf wende sich endlich den wirklich wichtigen Themen zu (als da wären: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Corona-Pandemie, ...), grub der Berliner «Tagesspiegel» am Mittwoch den vermeintlich nächsten Baerbock-Skandal aus.

Mehr als 40'000 Euro habe die Politikerin einst aus Stiftungsmitteln für eine Promotion erhalten, die sie schliesslich abbrach. «Warum?», fragte das Blatt empört. «Warum nicht?», mag man entgegnen. Mehr als ein Fünftel aller Promotionsstudenten, so ergab einst eine Studie, brachen ihre Arbeit entweder ab – oder waren auch nach zehn Jahren noch immer nicht fertig. Baerbock befindet sich also in guter Gesellschaft.