Hinrichtungen im Irak So geht es IS-Terroristen an den Kragen: Gerichte urteilen im Akkord

Maya Alleruzzo und Salar Salim, AP

2.5.2018

In irakischen Antiterror-Prozessen fallen die Urteile im Eiltempo. Fast alle mutmasslichen IS-Mitglieder müssen in Haft oder sogar in die Todeszelle. Menschenrechtler kritisieren die Verfahren scharf.

Die gesamte Verhandlung hat kaum länger als eine halbe Stunde gedauert. Ein grauhaariger Mann wurde in den Gerichtssaal geführt. Er zappelte unruhig, während der Richter die Vorwürfe verlas: der Terrormiliz Islamischer Staat die Treue geschworen zu haben und als Angestellter der Gruppe an einer Wasserstelle gearbeitet zu haben.

«Nicht schuldig», erklärt der Angeklagte Abdullah al-Dschaburi vor dem irakischen Antiterror-Gericht, das in den vergangenen Tagen etliche Prozesse gegen mutmassliche IS-Mitglieder verhandelte. Er habe mehr als 20 Jahre lange für die Wasserbehörde der Provinz Ninive gearbeitet und seine Stelle auch behalten, als der IS 2014 dort die Macht übernahm, sagt der Beschuldigte. Er habe aber nie der Organisation die Treue geschworen.

«Alle Regierungsangestellten haben weiter in ihren Jobs an der Wasserstation gearbeitet», erklärt der 47-jährige sunnitische Araber. «Ich fordere Sie auf, nur für sich selbst zu sprechen», unterbricht ihn der Richter. Kurz darauf zieht er sich mit seinen beiden Beisitzern zur Beratung zurück. Nach nur acht Minuten kehren sie mit ihrem Urteil zurück: schuldig, 15 Jahre Haft. Al-Dschaburi wird rasch mit gesenktem Kopf abgeführt, und das nächste mutmassliche IS-Mitglied in den Saal gebracht.

Nach irakischem Terrorrecht nur drei Strafen möglich

Der Irak hält eine grosse Zahl von Gefangenen unter dem Vorwurf in Haft, Verbindungen zum IS zu haben, nach Behördenangaben sind es etwa 11'000 Verdächtige. Ihre Verfahren vor dem Antiterror-Gericht werden so schnell durchgezogen, dass Zweifel an der Verlässlichkeit der Urteile aufkommen. Angehörige erfahren oft nicht einmal, ob beschuldigte Familienmitglieder festgenommen wurden oder was ihr Schicksal war.

Reporter der Nachrichtenagentur AP nahmen in der vergangenen Woche an mehreren Prozessen in der Stadt Tel Keif nördlich von Mossul teil. Die Verfahren laufen durchgängig ungewöhnlich schnell ab und dauern oft weniger als 30 Minuten. Urteile beruhen auf Geständnissen, die der Geheimdienst nach Angaben von Menschenrechtlern durch Einschüchterung, Folter und Missbrauch erzwungen hat.

Als Beweise werden auch Berichte von anonymen Informanten herangezogen, die möglicherweise aus Rache an Rivalen falsche Anschuldigungen erheben. Jeder Verteidiger ist für Dutzende Fälle zuständig und weiss nur wenig über die Angeklagten. Schon lose Verbindungen zum IS können zu harten Urteilen führen. Nach irakischem Terrorrecht sind nur drei Strafen möglich: 15 Jahre Gefängnis, lebenslange Haft oder Hinrichtung durch Erhängen.

Etwa 250 Hinrichtungen seit 2014

«Das System beruht auf einer ungerechten Grundlage», sagte Verteidiger Mahfudh Hamad Ismael. «Die Fälle dieser Verdächtigen sind schon am ersten Tag abgeschlossen, an dem sie ein Gefangenenlager oder eine Einrichtung des Geheimdienstes betreten.»

Die verkürzten Verfahren spiegeln zum Teil die Überforderung des irakischen Justizsystems wider, nachdem im vergangenen Jahr bei der Rückeroberung der Stadt Mossul im Norden des Landes tausende IS-Verdächtige festgenommen wurden. Menschenrechtsorganisationen stellen aber schon seit längerem in Frage, ob an irakischen Gerichten ordnungsgemässe Verfahren gewährleistet sind.

Viele Iraker wünschen sich auch eine rasche Vergeltung gegen die Terrormiliz. Ministerpräsident Haidar al-Abadi, der bei der Parlamentswahl im Mai auf eine Wiederwahl hofft, hat wiederholt gefordert, Todesurteile schneller zu vollstrecken. Seit 2013 wurden mehr als 3000 Terrorverdächtige zum Tode verurteilt. Etwa 250 Hinrichtungen wurden seit 2014 vollstreckt. Allein am 16. April wurden nach Angaben der Regierung elf Extremisten hingerichtet.

Sunniten am meisten betroffen

Die unbeholfen und vereinfachend wirkende Abfertigung in den Gerichtssälen droht die sunnitisch-arabische Minderheit im Irak weiter zu verstimmen. Sunniten waren die grösste Gruppe unter der Herrschaft des IS. Sie bildeten dessen Rekrutierungsbasis, litten aber zugleich auch am meisten unter dem Terror.

Einige unterstützten die Organisation aktiv und schlossen sich ihr als Kämpfer oder in einer zivilen Funktion in der IS-Regierung an. Doch Zehntausende andere arbeiteten mit der Terrormiliz zusammen, weil sie keine andere Wahl hatten: Entweder wurden sie vom IS zur Kooperation gezwungen oder waren von ihren Jobs im öffentlichen Dienst abhängig, die dann unter die Kontrolle der Extremisten fielen.

Während des Besuchs der AP im Strafgericht von Ninive in Tel Keif hasten Polizisten mit Bergen von Aktenordnern über die Flure. Eine Reihe von Männern kauert auf dem Boden. Mit dem Gesicht zur Wand und in Handschellen warten sie auf ihr Verfahren.

Mit verbundenen Augen Geständnis unterschrieben

Im vergangenen Jahr fällte das Gericht mehr als 815 Urteile in Terrorprozessen, wie Gerichtssprecher Abdul Satar Bairakdar sagt. Dabei wurden 112 Angeklagte freigesprochen, 201 zum Tode verurteilt, 150 zu lebenslanger Haft und 341 zu 15 Jahren Gefängnis. 1715 Gefangene wurden ohne Prozess freigelassen. Das jüngste Todesurteil sprachen die Richter dem Sprecher zufolge am 19. April. Der Angeklagte sei schuldig gesprochen worden, als Richter für den IS gearbeitet zu haben.

Einer derjenigen, die in der vergangenen Woche vor Gericht standen, war Salim Ahmed. Sein Verfahren lief ähnlich ab wie das Al-Dschaburis. Richter Junus al-Dschumaili bezog sich unter anderen auf einen «geheimen Informanten Nummer 130», der bestätigt habe, dass Ahmed für die Verkehrspolizei des IS gearbeitet habe. Laut Geheimdienstangaben habe er sich der Gruppe angeschlossen.

Ahmed beteuerte zitternd seine Unschuld und erklärte, während der IS-Herrschaft auf dem Bau gearbeitet zu haben. Er sei gezwungen worden, mit verbundenen Augen ein Geständnis zu unterzeichnen. Die Aussage des geheimen Informanten «könnte von jedem geschrieben worden sein, der mich hasst», sagte er. Nach wenig mehr als 20 Minuten lautete das Urteil: schuldig, 15 Jahre Haft.

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