Prozess Schweizer Reeder kämpft vor Obergericht gegen Freiheitsstrafe

sr, sda

16.5.2022 - 09:42

Der Verhandlungsort Berner Obergericht oberhalb des Hauptbahnhofs Bern.
Der Verhandlungsort Berner Obergericht oberhalb des Hauptbahnhofs Bern.
Keystone

Ein ehemaliger Reeder der Schweizer Hochseeflotte kämpft gegen seine Verurteilung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, welche das Berner Wirtschaftsstrafgericht 2020 aussprach. Am Montag begann vor dem bernischen Obergericht der Berufungsprozess

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Reeder Hans-Jürg Grunder aus dem Kanton Bern wurde im Juli 2020 vom kantonalen Wirtschaftsstrafgericht unter anderem wegen Betrugs, mehrfacher qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung und wegen Leistungsbetrugs verurteilt. Das ist ein Straftatbestand im Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung.

Ausser zu einer Freiheitsstrafe verurteilte das Gericht den 68-Jährigen auch, dem Kanton Bern eine sogenannte Ersatzforderung in Höhe von 1,2 Millionen Franken zu leisten. Zudem verfügte es, dass Grunder mehreren Privatklägern Entschädigungen in Millionenhöhe zahlen muss.

Mehrere Verfahrensbeteiligte legten gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein, so der Verurteilte selber, aber auch die Staatsanwaltschaft und das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) im Namen der Eidgenossenschaft.

Am 3. Juni will das Gericht das Urteil bekanntgeben. Beim erstinstanzlichen Prozess forderte ein Berner Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 7,5 Jahren, der Verteidiger des Reeders einen Freispruch von allen Vorwürfen.

Es geht um Millionenbeträge

Der Berner Reeder war bis 2017 mit einem Dutzend Schiffen auf den Weltmeeren unterwegs. 2015 stellte das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) fest, dass die Reederei und die einzelnen Schiffbetreibergesellschaften finanzielle Schwierigkeiten hatten, worauf es zu Sanierungsversuchen kam.

Diese scheiterten nach etwa einem Jahr und die Schiffe mussten verkauft werden.

Weil die Banken die Bürgschaften zogen, mit welchen der Bund die Schiffe gesichert hatte, entstand der Eidgenossenschaft nach Angaben der Finanzdelegation der Eidgenössischen Räte (FinDel) von 2018 ein Schaden von rund 200 Millionen Franken. Dies durch den Verkauf von insgesamt 15 Schiffen.

Das erstinstanzliche Gericht hielt 2020 fest, für einen Schaden in so grosser Höhe sei Grunder nicht verantwortlich. Innerhalb seines Firmengeflechts habe Grunder aber mehrere Schweizer Gesellschaften zugunsten von ausländischen Tochtergesellschaften geschädigt. Dies, indem er Gelder hin und her verschoben und sogenannte Intercompany-Darlehen gewährt habe.

Der Deliktsbetrag für diese ungetreue Geschäftsbesorgung betrage rund 30 Millionen Franken, sagte die vorsitzende Richterin im Sommer 2020. Sie führte weiter aus, Grunder habe dem Bund 56 falsche Jahresrechnungen der Schiffsbetreibergesellschaften eingereicht.

Auch habe er bei einem Gesuch um eine Bundesbürgschaft für ein neues Schiff dem BWL einen höheren Kaufpreis angegeben als mit dem chinesischen Verkäufer vereinbart. So habe er eine um 2,7 Millionen Franken höhere Bürgschaft herausgeholt und den späteren Schweizer Käufer des Schiffs um etwas über drei Millionen Franken betrogen

Die vorsitzende Richterin des Obergerichts betonte am Montag, nach wie vor gelte für Grunder die Unschuldsvermutung. Sie und zwei weitere Oberrichter befragten Grunder am Montag ausführlich zu den umstrittenen Geschäften.

Problematische Bundesbürgschaften

Die Bundesbürgschaften zugunsten der Hochseeschifffahrt wurden 1959 eingeführt, um Schweizer Reedern die Finanzierung von Schiffen zu sehr günstigen Konditionen zu ermöglichen. Zuerst ging es um die wirtschaftliche Landesversorgung, später auch um die Stärkung des Dienstleistungs- und Industriestandorts Schweiz.

2019 stellte die Finanzdelegation der Eidgenössischen Räte fest, Solidarbürgschaften zu vergeben, komme dem Ausstellen eines Blankochecks gleich. Der Bund gebe damit Steuermöglichkeiten aus der Hand und für die Banken handle es sich um ein äusserst risikoarmes Geschäft. Die Finanzdelegation empfahl deshalb, dieses Instrument nicht mehr zu verwenden.

Vor einem Jahr kam die Eidgenössische Finanzkontrolle zum Schluss, in der Hochseeschiffahrt habe sich die Zusammenarbeit zwischen den involvierten Bundesämtern verbessert, doch bestünden weiterhin Mängel in der Aufsicht. Dem Bund seien bisher Verluste von rund 350 Millionen Franken entstanden.

Wie Thomas Baumeler vom Generalsekretariat des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) am Rand des Prozesses auf Anfrage sagte, verkehren derzeit noch fünfzehn mit Bundesbürgschaften ausgestattete Schiffe auf den Weltmeeren. Diese Bürgschaften stellten für den Bund derzeit keine Probleme mehr dar, weil sich die wirtschaftliche Lage verändert habe.

Anders als zur Zeit, als Reeder Grunder in Schwierigkeiten geriet, seien Schiffsfrachten derzeit sehr gefragt und es würden hohe Frachterträge erzielt. Die letzten Bürgschaften laufen im Jahr 2032 aus.