Myanmar Schweizerin zur Lage: «Ich denke, die Armee ist sehr überrascht»

AP/phi

4.3.2021

Einen Tag nach dem Tod von 38 Menschen durch Polizeigewalt in Myanmar haben am Donnerstag erneut Menschen gegen das Militär demonstriert. Eine Schweizerin klärt über die Lage auf.

AP/phi

4.3.2021

Erneut Demonstrationen in Myanmar: In mindestens drei Bezirken der grössten Stadt Rangun formierten sich Demonstrationszüge. Auch in der zweitgrössten Stadt Mandalay gab es erneut Proteste gegen den Militärputsch und die Absetzung der demokratisch gewählten Regierung vom 1. Februar.

Am Mittwoch waren nach Angaben der UN-Sondergesandten Christine Schraner Burgener bei harten Polizeieinsätzen gegen Demonstranten 38 Menschen getötet worden. Nach Einschätzung der Schweizer Diplomatin ist das Militär vom Ausmass des Widerstands gegen seine Machtergreifung überrascht worden.

In Yangon eskalieren am 4. März die Proteste.
In Yangon eskalieren am 4. März die Proteste.
KEYSTONE

In einer Videokonferenz mit UN-Journalisten in New York sagte sie am Mittwoch, die Militärführung habe damit gerechnet, die Lage wie bei der früheren Niederschlagung von Demokratisierungsbestrebungen unter Kontrolle zu bringen. Doch inzwischen sei eine junge Generation herangewachsen, die die in den vergangenen Jahren erfolgte, wenn auch langsame Demokratisierung verteidigen wolle.

«Die Armee hat mir den Plan geschildert: Menschen bedrohen, Verhaftungen zu machen», sagte Schraner Burgener, die per Video-Link von Bern aus sprach. Nach dem Kalkül des Militärs würde dann die Mehrheit der Leute aus Angst nach Hause gehen.

«Wir müssen lernen»

«Ich denke, die Armee ist sehr überrascht, dass das nicht wie in der Vergangenheit – 1988 und 2007 und 2008 – funktioniert», sagte sie und stützte sich bei dieser Einschätzung auf Gespräche mit dem stellvertretenden Chef der Militärjunta. Mit dem habe sie erstmals am 4. Februar telefoniert.

Die UN-Sondergesandte für Myanmar Christine Schraner Burgener.
Die UN-Sondergesandte für Myanmar Christine Schraner Burgener.
Archivbild: KEYSTONE

Sie habe in diesen Gesprächen gesagt, dass der Weltsicherheitsrat wegen der Absetzung der demokratisch gewählten Regierung «starke Massnahmen» ergreifen könnte, sagte Schraner Burgener. «Und die Antwort war: ‹Wir sind Sanktionen gewöhnt und haben Sanktionen in der Vergangenheit überlebt›».

Auf die Gefahr hingewiesen, Myanmar könnte international isoliert werden, sei die Antwort gekommen: «Wir müssen lernen, mit nur wenigen Freunden zu gehen.» Schraner Burgener zufolge wird die Widerstandsbewegung von jungen Leuten getragen, die zehn Jahre in Freiheit gelebt hätten. Sie seien «gut organisiert und sehr entschlossen, dass sie nicht zurück zur Diktatur und Isolation wollen».

Weltsicherheitsrat tagt Freitag

Sie erhalte täglich 2000 Botschaften von Menschen in Myanmar, von denen viele verzweifelt auf eine internationale Reaktion auf den Putsch warteten. Die Sondergesandte sprach sich dafür aus, dass der UN-Sicherheitsrat «die richtigen Massnahmen ergreift». Eine gemeinsame internationale Reaktion wäre effektiver als Sanktionen einzelner Länder.

Die Taktik des Militärs sei, gegen Friedensnobelpreisträgerin und De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und Mitglieder ihrer Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) zu ermitteln, ihnen Wahlbetrug, Verrat und andere Straftaten vorzuwerfen und zu Gefängnisstrafen zu verurteilen. «Und dann wird die NLD verboten, dann werden sie Neuwahlen haben, die sie gewinnen wollen und dann können sie an der Macht bleiben.»

Tausende versammeln sich in Mandalay am 4. März bei einem Begräbnis.
Tausende versammeln sich in Mandalay am 4. März bei einem Begräbnis.
KEYSTONE

Am Freitag sollte der Weltsicherheitsrat hinter verschlossenen Türen über die Lage in Myanmar beraten, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Das Grossbritannien habe die Sitzung beantragt. Am Dienstag rief der Verband der südostasiatischen Nationen (Asean) zum Ende der Gewalt auf.

Indes klagten die myanmarischen Behörden den AP-Journalisten Thein Zaw und fünf weitere Medienmacher an. Ihnen werde zur Last gelegt, gegen ein Gesetz zur öffentlichen Ordnung verstossen zu haben. Sie könnten im Falle einer Verurteilung mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden, sagte ein Anwalt. Die sechs waren verhaftet worden, als sie über Proteste gegen den Militärputsch und die Absetzung von Suu Kyi berichteten.