USASelbstjustiz im Internet — Ex-Polizist als Angreifer verleumdet
AP/toko
12.6.2020
Der gewaltsame Tod George Floyds bei einem Polizeieinsatz hat die USA aufgewühlt — und selbst ernannte Ordnungshüter im Internet auf den Plan gebracht. Ein ehemaliger Polizist und seine Familie bekommen das leidvoll zu spüren.
John Damskey ist ein pensionierter Polizeibeamter. Sein Alptraum begann mit E-Mails von Fremden an seine Frau. Darin hiess es, dass sie sich schämen müsse, einen solchen Mann zu haben. Dann klingelten bei ihnen daheim die Telefone pausenlos, sie kamen von Nummern, die sie nicht kannten. Sogar Damskeys 74-jährige Mutter erhielt solche Anrufe.
Geschockt und überrascht von einer derartigen Hasswelle googelte der Amerikaner im Internet, gab seinen Namen ein — und fiel entsetzt aus allen Wolken. Scharen von Twitter-Nutzern beschuldigten ihn, jener Radfahrer zu sein, der kürzlich auf einem Radweg im Staat Maryland drei junge Leute teils gewaltsam konfrontiert hatte. Das Trio war dabei, Flugblätter an Bäume zu heften, auf denen Gerechtigkeit für den Afroamerikaner George Floyd gefordert wurde. Dieser war in Minneapolis gestorben, nachdem ein Polizist mehr als acht Minuten lang sein Knie in dessen Nacken gedrückt hatte.
Der Vorfall auf dem Radweg, dem Capital Crescent Trail in Bethesda, am Montag vergangener Woche war mit einem Handy gefilmt worden, Millionen Nutzer hatten es sich im Internet angeschaut. So auch Damskey, der wusste, dass er damit nichts zu tun hatte.
«Meine Mutter steht Todesängste aus»
Der 53-jährige Ex-Polizist ist einer von mindestens zwei Männern, die von Cyber-Vigilanten — also Leuten, die übers Internet Selbstjustiz üben — fälschlicherweise als Angreifer auf dem Trail identifiziert und gebrandmarkt worden sind. Ihre Fotos und persönlichen Daten wurden auf Twitter gepostet, und die falschen Beschuldigungen zogen immer weitere Kreise, bis die Polizei dann am vergangenen Freitag einen anderen Mann im Zusammenhang mit dem Vorfall festnahm — einen 60-Jährigen, der sich nun wegen tätlichen Angriffs gegen die drei jungen Leute verantworten soll.
Damskey, der 2018 nach fast 30 Jahren als Polizeibeamter in den Ruhestand ging, beschreibt seine Erfahrung als unwirklich und erschreckend. «Ich habe eine Frau, die in Tränen aufgelöst ist. Meine Mutter steht Todesängste aus», sagte Damskey der Nachrichtenagentur AP. «Es ist traurig. Es ist angsterregend. Es ist etwas, das ich nie wieder durchmachen möchte.»
Echter Radfahrer «krank vor Reue»
Der von den Behörden als der aggressive Radfahrer identifizierte Mann hat inzwischen über seine Anwälte eine Erklärung herausgegeben. Darin heisst es, er sei «krank vor Reue über den Schmerz und die Angst, die ich den Opfern auf dem Trail zugefügt habe». Die Firma, bei der anscheinend beschäftigt war, twitterte, sie habe einen Angestellten entlassen, der «sich beunruhigend, falsch und völlig unakzeptabel gegenüber friedlichen Demonstranten verhalten hat».
Die zuständige Polizei in der Region vor den Toren von Washington hat nach eigenen Angaben Hunderte von Hinweisen aus der Öffentlichkeit erhalten, bevor sie den mutmasslichen Angreifer, der bei dem Vorfall einen Helm und eine grosse Sonnenbrille trug, identifizierte. Einer Polizei-Mitteilung zufolge entriss der Festgenommene einer der beiden jungen Frauen in der Gruppe die Flugblätter und schubste einen Mann mit seinem Fahrrad zu Boden. Die zwei Frauen sind 19, der Mann ist 18 Jahre alt.
Unschuldiger postet Polizeibericht
Vor der Festnahme war neben Damskey ein anderer Mann zu Unrecht im Netz als Täter an den Pranger gestellt worden. Er postete dann einen Polizeibericht, um zu beweisen, dass sich bei Untersuchungen seine völlige Unschuld herausgestellt habe.
Damskey hat derweil Unterstützung von Rene Sandler, einer befreundeten Rechtsanwältin, erhalten. Sie nahm Kontakt zu Twitters Rechtsabteilung auf und meldete nach eigenen Angaben so viele «gefährliche, belästigende, gezielte» Tweets, wie sie finden konnte. Twitter habe viele, wenn nicht sogar alle, von ihnen entfernt: «Sie haben schnell reagiert und es unglaublich ernst genommen.»
Die Anwältin und Damskey erwägen aber rechtliche Schritte gegen Twitter-Nutzer wegen Verleumdung. «Wir beobachten die sozialen Medien weiter und werden nicht zögern, gegen jede Person vorzugehen, die falsche Informationen über John und seine Familie verbreitet», sagt Sandler. Damskey hat nach eigenen Angaben im Kurznachrichtendienst Tweets gesehen, die seinen Sohn Michael, einen Polizisten, und andere Polizeibeamte und Feuerwehrleute unter seinen Angehörigen in Gefahr gebracht hätten.
Damskey selbst hatte nie ein Twitter-Konto, aber war - wie auch seine Frau - ein Facebook-Nutzer. Beide haben ihre Accounts dort nun gelöscht. Aber der Ex-Polizist fürchtet, dass der Schaden bereits entstanden ist. «Ich weiss nicht, wer es gesehen hat und wer nicht, aber mein Ruf ist kaputt. Wenn sie einmal so etwas wie dies gesehen haben, wird das immer im Raum stehen.»