International Selenskyj fordert Russlands Rückzug aus AKW – Die Nacht im Überblick

SDA

16.8.2022 - 05:52

Ein Mann reinigt eine nach russischem Beschuss zerstörte Wohnung. Foto: Kostiantyn Liberov/AP/dpa
Ein Mann reinigt eine nach russischem Beschuss zerstörte Wohnung. Foto: Kostiantyn Liberov/AP/dpa
Keystone

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland erneut mit Nachdruck zum Rückzug aus dem Atomkraftwerk Saporischschja aufgefordert. Er warnte einmal mehr auch vor den Folgen einer möglichen nuklearen Katastrophe. «Jeder radioaktive Zwischenfall im Atomkraftwerk Saporischschja könnte auch zu einem Schlag gegen die Staaten der Europäischen Union und gegen die Türkei und gegen Georgien und gegen die Staaten weiter entfernter Regionen werden», sagte der Staatschef in seiner Videobotschaft am Montagabend. «Alles hängt nur von der Richtung und der Stärke des Windes ab», sagte Selenskyj.

Der Dienstag ist Tag 174 des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Das von Russland besetzte grösste Kernkraftwerk Europas wird seit Tagen beschossen. Die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Selenskyj sagte, dass Russland sich ohne Bedingungen aus dem AKW zurückziehen müsse. Zugleich bekräftigte er seine Forderungen vom Wochenende nach Sanktionen gegen den russischen Atomkonzern Rosatom und die gesamte Nuklearindustrie des «Terrorstaates».

Selenskyj fordert internationale Gemeinschaft zum Handeln auf

Die internationale Gemeinschaft müsse handeln, weil sie durch Russlands Terror in Gefahr sei, betonte er. «Wenn die Welt jetzt nicht die Kraft aufbringt und die Entschlossenheit, um eine Atomanlage zu schützen, dann heisst das, dass die Welt verliert», sagte Selenskyj. Wenn Russland gewinne, würden andere «atomare Terroristen» ermutigt, ebenso zu handeln. Es gehe um den Schutz vor radioaktiver Verstrahlung. Nach Angaben der Besatzungsvertreter werden bisher keine erhöhten Strahlenwerte gemessen.

Die Ukraine wirft Russland vor, mit dem Beschuss «atomaren Terror» zu betreiben. Besatzungsvertreter Wladimir Rogow wiederum hatte mitgeteilt, ukrainische «Terroristen» würden die Schüsse abfeuern. Er hatte auch eine Feuerpause vorgeschlagen. Eine von 42 Staaten geforderte Übergabe des Kernkraftwerks an die Ukraine lehnt Russland aber ab. Kiew hat das Kraftwerksgelände nach eigenen Angaben auch selbst bereits mit Kampfdrohnen angegriffen.

Die Ukraine beschuldigt die russischen Truppen, das AKW als Festung zu nutzen, um von dort auf die am anderen Ufer des Dnipro-Stausees liegenden Kleinstädte Nikopol und Marhanez zu schiessen. Russland hingegen behauptet, die Ukraine beschiesse die Anlage mit Drohnen, schwerer Artillerie und Raketenwerfern. In den meisten Fällen fange die russische Luftabwehr die Geschosse ab. Dennoch sei bereits Infrastruktur auch im Bereich des dortigen Atommülllagers getroffen worden. Eine erhöhte Radioaktivität wurde nach Angaben von Experten bisher nicht registriert.

Russischer Verteidigungsminister und UN-Chef Guterres telefonierten

Die Lage um das Kraftwerk war auch Thema eines Gesprächs von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und UN-Generalsekretär António Guterres. Dabei seien die Bedingungen für einen sicheren Betrieb des AKW erörtert worden, teilte das Ministerium am Montag in Moskau mit. Die Vereinten Nationen in New York bestätigten das Telefonat. Details wurden nicht genannt.

Russland hatte den UN vorgeworfen, einen bereits vereinbarten Besuch von Experten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) im letzten Moment gestoppt zu haben. Die Vereinten Nationen wiesen die Behauptung Moskaus nun offiziell zurück. Anders als von Moskau dargestellt hätten die UN eine Operation der IAEA weder verhindert noch blockiert. «Das UN-Sekretariat ist nicht befugt, Aktivitäten der IAEA zu blockieren oder abzubrechen», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric am Montag in New York. Die IAEA handle unabhängig.

Dujarric betonte, dass die Ukraine eine IAEA-Mission von ukrainisch kontrolliertem Gebiet aus beschützen könne. Dennoch müsse es eine Einigung zwischen Russland und der Ukraine geben, schliesslich befinde sich das Kraftwerk derzeit auf russisch kontrolliertem Territorium. Zuletzt hatte es Unstimmigkeiten darüber gegeben, wie ein Reiseweg der IAEA-Experten aussehen könnte. Die Ukraine würde eine Mission ausschliesslich durch von Russland besetztes Gebiet – etwa über die Schwarzmeer-HalbinselKrim oder auf anderem Wege über die russisch-ukrainische Grenze – nicht erlauben.

Lettland liefert vier Militärhubschrauber an die Ukraine

Die Kämpfe in der Ukraine mit Schwerpunkten im Donbass und im Süden in den Regionen Cherson und Saporischschja dauerten an. Die Ukraine setzt auf die Lieferung schwerer Waffen aus dem Westen, um den russischen Vormarsch zu stoppen, die Angreifer zurückzudrängen und besetzte Gebiete zu befreien. Nun erhielt die Ukraine von dem EU- und Nato-Mitgliedsstaat Lettland vier Hubschrauber als Militärhilfe. Jeweils zwei Helikopter vom Typ Mi-17- und Mi-2 seien teils zerlegt an die ukrainische Luftwaffe geliefert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Riga am Montag mit.

Die gespendeten Hubschrauber würden dabei helfen, «Militäroperationen durchzuführen und Leben zu retten», sagte Verteidigungsminister Artis Pabriks einer Mitteilung zufolge. «Die Unterstützung der westlichen Länder für die Ukraine darf nicht enden, bis sie ihr gesamtes Territorium von der russischen Besatzungsmacht befreit hat».

Selenskyj beklagte in seiner Rede, dass Russlands Aggression für eine Vielzahl von Krisen in der Welt verantwortlich sei, darunter im Energie- und im Ernährungssektor. Trotzdem zeigte er sich einmal mehr sicher, dass die Ukraine am Ende siegen werde.

Was am Dienstag wichtig wird

Am zweiten Tag seiner Skandinavien-Reise trifft Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Schwedens Hauptstadt Stockholm Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Bei dem Antrittsbesuch wird es auch um die Lage in der Ukraine gehen. Zudem dürfte der geplante Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands Thema sein. 23 von 30 Mitgliedstaaten haben schon zugestimmt, darunter auch Deutschland. Unter anderem fehlt noch die Türkei, die den Aufnahmeprozess lange blockiert hatte.