Machtkampf eskaliert «Sie feuern auf ihre eigenen Leute» – Chaos und Tote an Venezuelas Grenze

AP

24.2.2019

Die Lage an der venezolanischen Grenze ist explosiv. Die Opposition will Hilfslieferungen ins Land holen, doch die Regierung schiesst scharf. Es gab erste Tote und ernste Drohungen aus Washington.

Die Kraftprobe um humanitäre Hilfe für Venezuela hat sich an den Grenzen des Krisenlandes in massiver Gewalt entladen. Venezolanische Sicherheitskräfte feuerten am Samstag an mindestens zwei Grenzübergängen mit Tränengas und Schrotkugeln auf Anhänger der Opposition, die Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten von Kolumbien und Brasilien aus ins Land schaffen wollten. Mindestens zwei Menschen kamen bei den Zusammenstössen um, rund 285 wurden kolumbianischen Behördenvertretern zufolge verletzt.

US-Aussenminister Mike Pompeo forderte Sicherheitskräfte in Venezuela auf, die Hilfe durchzulassen. Zudem bekräftigte er eine Warnung der Regierung in Washington: Wer sich der friedlichen Wiederherstellung der Demokratie in dem Land entgegenstelle, werde zur Rechenschaft gezogen.

Oppositionsführer Juan Guaidó wandte sich angesichts der jüngsten Eskalation an die Weltgemeinschaft. Diese solle sich in seinem Machtkampf mit Präsident Nicolás Maduro «alle Optionen offenhalten», um sein geplagtes Land zu befreien, twitterte der selbst erklärte Interimspräsident. Am Montag will er in Bogotá bei einer Sitzung der Aussenminister der Lima-Gruppe aus überwiegend konservativen Staaten in Lateinamerika mit US-Vizepräsident Mike Pence zusammenkommen.

Maduro bricht Beziehungen zu Kolumbien ab

Maduro gab sich kämpferisch und brach die Beziehungen zum Nachbarn Kolumbien ab. Der Regierung in Bogotá warf er vor, sich als Schauplatz für US-geführte Bemühungen herzugeben, ihn von der Macht zu verdrängen und möglicherweise eine Militärinvasion in Venezuela vorzubereiten. «Meine Geduld ist am Ende», erklärte Maduro bei einer Grosskundgebung vor Anhängern in Caracas. Kolumbianischen Diplomaten gab er 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.

Die Unruhen begannen am Samstag lange vor einer Zeremonie, bei der Guaidó von der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta aus einen Lastwagen mit Hilfsgütern auf den Weg schickte. In der Grenzstadt Ureña auf der venezolanischen Seite entfernten Anwohner Barrikaden aus Metall und Stacheldraht, die die Santander-Brücke abriegeln sollten. Dabei gab es erste Zusammenstösse.

Zu einem dramatischen Höhepunkt bei der Konfrontation kam es, als Aktivisten unter Führung von venezolanischen Exil-Abgeordneten drei beladene Tieflader an einem Grenzposten ins Landesinnere bringen konnten, jedoch von Sicherheitskräften zurückgedrängt wurden. Die Fracht fing Feuer.



Einige Augenzeugen berichteten, Nationalgardisten hätten eine Plane, die die Kisten mit den Gütern bedeckte, mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt. Aktivisten hielten sich zum Schutz vor dem schwarzen Rauch essiggetränkte Stofftücher vor die Gesichter und entluden die Kisten mit blossen Händen, indem sie eine menschlichen Kette bildeten, die zurück auf die kolumbianische Seite reichte.

«Das ist die Definition von Diktatur»

«Sie verbrennen die Hilfe und feuern auf ihre eigenen Leute», sagte ein Aktivist, der 39-jährige David Hernandez, der an der Stirn von einem Tränengaskanister getroffen wurde. «Das ist die Definition von Diktatur.»
Guaidó betonte am Abend, er werde seinen Kampf um die Lieferung humanitärer Hilfsgüter nicht aufgeben.

Zwar rief er seine Anhänger nicht länger auf, ihr Leben mit dem Versuch zu riskieren, die Grenzbarrikaden zu durchbrechen. Doch richtete er wieder einen Appell an die Sicherheitskräfte, sich auf die Seite der Opposition zu schlagen: «Wie viele von euch Nationalgardisten haben kranke Mütter? Wie viele haben Kinder in der Schule, die kein Essen haben?», fragte Guaidó in Cúcuta neben einem Lagerhaus mit rund 200 Tonnen schweren Kisten mit Lebensmitteln und Medikamenten, die vor allem die USA gespendet haben.

Seinem Aufruf folgten nach kolumbianischen Angaben mehr als 60 Soldaten. Einer von ihnen war ein Major. Die meisten Soldaten gehören unteren Rängen an, die mächtigen Generäle scheinen nach wie vor hinter Maduro zu stehen. Vor gut einem Monat hatte sich Guaidó zum Interimspräsidenten erklärt und dies damit begründet, dass der Wahlsieg von Maduro 2018 eine Farce gewesen sei und ihm als Parlamentspräsident daher qua Verfassung das Amt zustehe.

Der Machtkampf in Venezuela

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