Ein Jahr nach Charlottesville «Lizenz zum Hassen»: Trumps rechter Flirt

AP

13.8.2018

Ein Jahr nach Charlottesville: Wie steht Donald Trump zu rechtem Hass?
Ein Jahr nach Charlottesville: Wie steht Donald Trump zu rechtem Hass?
Bild: KEYSTONE/AP/CAROLYN KASTER

Donald Trumps Reaktion auf die Gewaltexzesse von Charlottesville brachte vor einem Jahr selbst politische Verbündete gegen ihn auf. Geändert hat sich an der Rhetorik des Präsidenten nicht viel - ganz im Gegenteil, klagen Angehörige von Minderheiten und Demokraten.

Auch ein Jahr nach Charlottesville gibt es keinen Neuanfang in Amerika, keinen Moment der nationalen Heilung. Am 12. August 2017 steuerte ein Neonazi in der Stadt im US-Staat Virginia während Ausschreitungen bei einem Aufmarsch von Rechten ein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten, eine Frau kam dabei um. Der Präsident der Vereinigten Staaten sprach von Gewalt auf «beiden Seiten». Bis heute flirtet Donald Trump mit einer Rhetorik, die mit ethnisch gefärbten Untertönen spielt.

Gegenwind bekommt er dafür von der Führung und den Wählern der Republikaner kaum. Dabei klagen führende schwarze Aktivisten und Demokraten, dass Trumps Tonlage und Aktionen rund um Fragen von ethnischer Herkunft sich seit Charlottesville sogar verschärft hätten. Das Ergebnis: Eine zutiefst gespaltene politische Landschaft, in der rassistisch aufgeladene Sprüche ungestraft bleiben - und gar mitunter noch belohnt werden.

Die Demokraten setzen nun darauf, bei den Zwischenwahlen im November die Kontrolle über den Kongress zurückzuholen. Gelingen soll dies durch eine Mobilisierung von Liberalen und Angehörigen von Minderheiten, vor allem schwarzen Wählern. Die Republikaner sehen wiederum in einer starken Wahlbeteiligung konservativer Trump-Fans das grösste Bollwerk gegen eine demokratische Welle. Oft scheint seine Basis den Präsidenten gerade für seine Bereitschaft zu lieben, sich zu den brisanten Gesellschaftsthemen in Amerika mit Anspielungen auf Hautfarbe und Herkunft zu äussern.

Trump übt Kritik an NFL-Spielern

Tatsächlich soll Trump Mitarbeitern gesagt haben, dass er mindestens eines dieser heissen Eisen - etwa seine Kritik an den vielbeachteten Kniefall-Protesten dunkelhäutiger Footballspieler - als politische Trumpfkarte betrachtet. Denn das elektrisiere seine Basis, die sich überwiegend aus weissen Wählern zusammensetzt. Erst am Freitag heizte er die Kontroverse um die Aktionen von NFL-Spielern erneut an: Die Sportler drückten ihre Entrüstung über «etwas aus, das die meisten nicht definieren können», meinte Trump auf Twitter. Die Footballer wenden sich nach eigenen Angaben mit dem Niederknien während dem Abspielen der Nationalhymne gegen tödliche Polizeigewalt gegen schwarze Männer, soziale Ungerechtigkeit und Rassismus in den USA.

Wer Trumps Aufstieg zur Macht zurückverfolgt, stösst auf eine Serie von Aussagen, die ethnisch motivierte Vorurteile bedienen. Im Jahr 1989 forderte der damalige Immobilienunternehmer die Todesstrafe für die Central Park Five - eine Gruppe von fünf afroamerikanischen und hispanischstämmigen Teenagern, denen damals zur Last gelegt wurde, eine weisse Frau vergewaltigt und verprügelt zu haben. Später wurden sie durch DNA-Beweise entlastet. Doch Trump hat erkennen lassen, dass er die Jugendlichen weiterhin für schuldig hält. Und jahrelang befeuerte er die Lüge, dass sein Amtsvorgänger Barack Obama in Kenia geboren worden sei.

Im Weissen Haus angekommen, stellte er im Lauf der vergangenen Monate wiederholt die Intelligenz prominenter Figuren der schwarzen Gemeinde in den USA infrage. Die kalifornische Abgeordnete Maxine Waters gehörte ebenso zu seinen Zielscheiben wie Basketballstar LeBron James und CNN-Moderator Don Lemon. Letzteren beschimpfte der Präsident als «den dümmsten Mann im Fernsehen».

«Es ist einfach traurig und furchtbar»

Mitch Landrieu, demokratischer Ex-Bürgermeister von New Orleans, sieht hinter Trumps Attacken ein nur allzu bekanntes System. «Eine der ältesten Strategien ist es, den Intellekt von Afroamerikanern zu hinterfragen», sagte er. «Es ist einfach traurig und furchtbar.»

Der Präsident der Bürgerrechtsorganisation NAACP, Derrick Johnson, sieht gar einen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Afroamerikanern und ihrem Staatsoberhaupt. «Noch nie» habe die schwarze Gemeinde «dieses Ausmass an Abgestumpftheit oder dieser totalen Geringschätzung» bei einem modernen amerikanischen Präsidenten erlebt, resümiert er.

In Anbetracht all dessen stach Trumps Reaktion auf die Gewalt von Charlottesville heraus. Seine damalige Schuldzuweisung an «beide Seiten» ergänzte er mit der Behauptung, dass es «auf beiden Seiten sehr feine Leute gegeben» habe. Zwei Tage später las Trump vom Blatt eine Stellungnahme ab, in der die Gewalt vom Ku-Klux-Klan, weissen Rassisten und Neonazis verurteilt wurde - nur um tags darauf, diesmal ohne Skript, erneut zu erklären, dass «beide Seiten Schuld» gewesen seien. Zum Jahrestag von Charlottesville schrieb der Präsident auf Twitter, dass die Zusammenstösse dort in «sinnlosem Tod und Spaltung resultiert» hätten. Er verurteile «alle Arten von Rassismus und Akte der Gewalt». Seinen Tweet beendete Trump, indem er «ALLEN Amerikanern Frieden» wünschte.

Charlottesville brachte Trump vor einem Jahr massive Kritik auch aus den Reihen der republikanischen Führung ein. Einige Wirtschaftsbosse verabschiedeten sich aus Protest aus einem Beirat im Weissen Haus. Und nicht wenige Mitarbeiter im Regierungsapparat liessen durchblicken, dass sie an Rücktritt dächten.

Doch letztlich legte sich in diesen Ecken die Empörung. Washington wandte sich anderen Dingen zu. Jene Republikanergranden, die den Präsidenten vor einem Jahr noch scharf angingen, stehen im Grossen und Ganzen hinter seiner Agenda. Sie wissen nur zu gut, dass Trumps Umfragewerte bei den Parteianhängern nach Charlottesville kaum nennenswert Schaden nahmen.

Haben Trumps Attacken Folgen?

«Wenn es überhaupt irgendetwas gemacht hat, hat es Meinungen verstärkt», sagt Whit Ayres, ein republikanischer Meinungsforscher. «Es bestätigte, was Leute über Trump dachten. Es änderte nichts an ihren Sichtweisen.»

Und in der Tat: Laut einer nach der Gewalt von Charlottesville erhobenen Umfrage meinten sieben von zehn Demokraten, dass Trumps Politik einer Spaltung entlang ethnischer Linien Vorschub leiste. Dies wich nur geringfügig von einer bereits zuvor in jenem Jahr erfolgten Befragung ab. Zum Vergleich: Mehr als acht von zehn Republikanern gaben an, dass die Politik des Präsidenten keine Auswirkungen auf das Verhältnis der Ethnien im Land habe oder sie die Einheit eher fördere.

Eine Umfrage lässt allerdings den Schluss zu, dass Charlottesville sich für Trump doch als Bumerang erweisen könnte. Der Demoskop Henry Fernandez von der Denkfabrik African-American Research Collaborative meldet, dass gerade Afroamerikanerinnen sich von Trump «respektlos» behandelt fühlten. Es waren schwarze Frauen, die in den vergangenen Monaten mit ihren Stimmen zu Erfolgen der Demokraten bei Vorwahlen in Alabama und Virginia beitrugen. Schwarze stellen zwar einen kleinen Anteil an der Wählerschaft im Herbst, gelten aber als motiviert: In mehr als einem Drittel der engsten Abgeordnetenrennen in Wahlkreisen könnten sie mindestens sieben Prozent der Stimmen ausmachen, erklärt Fernandez.

Cory Booker, demokratischer Senator von New Jersey und nur einer von drei Afroamerikanern im Senat, befürchtet, dass Trumps Rhetorik und Handeln Folgen haben könnte, die über politische Rechenspiele weit hinausreichen könnten. «Die entwertenden, erniedrigenden und gemeinen Attacken des Präsidenten auf Minderheiten geben Leuten das Gefühl, dass sie eine Lizenz zum Hassen haben», warnt er. «Sie geben Leuten das Gefühl, dass sie die Lizenz haben, andere zu verletzen.»

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