«Gravierendste humanitäre Krise» So schlimm ist die Situation im Kongo – eine Übersicht

Lea Oetiker

8.2.2025

Der Konflikt im Kongo fordert tausende Todesopfer.
Der Konflikt im Kongo fordert tausende Todesopfer.
Bild: KEYSTONE

Die Rebellengruppe M23 hat Ende Januar die Stadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo eingenommen. Worum es im Konflikt geht, wer involviert ist und wie die humanitäre Situation vor Ort ist.

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ende Januar hat die Rebellengruppe M23 die Stadt Gomo im Osten der Demokratischen Republik Kongo eingenommen.
  • Die Vereinten Nationen sprechen seither von der «langwierigsten, komplexesten und gravierendsten humanitären Krisen der Welt».
  • Was ist los im Kongo? blue News erklärt es dir.

Die Situation im Kongo verschlimmert sich von Tag zu Tag. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, Tausende Menschen sind tot. Doch: Was ist da eigentlich los und wer ist in diesen Konflikt involviert? Eine Übersicht:

Was ist im Kongo passiert?

Nach wochenlangen Kämpfen hat die Rebellengruppe M23 die Millionenstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo Ende Januar eingenommen. Grosse Teile des Militärs wurden entwaffnet. 

Die M23-Rebellen kämpfen seit Jahren gegen das kongolesische Militär, um sich den Zugang zu Bodenschätzen in der rohstoffreichen Region zu sichern. Seit etwa zwei Jahren kontrolliert die M23 grosse Teile Nord-Kivus. Hier werden einige der seltensten und wertvollsten Metalle der Welt in grossen Mengen angebaut: Unter anderem Coltan, Gold, Nickel, Kobalt und Kupfer.

Die Rebellen rücken am Wochenende auf eine weitere Provinzhauptstadt vor: Bukavu in der benachbarten Provinz Süd-Kivu. Zudem drohten die Rebellen einen Marsch auf die Hauptstadt Kinshasa im Westen des Landes an, um die Regierung zu stürzen.

Wer sind diese M23?

Die M23 ist die stärkste bewaffnete Gruppe in der ostkongolesischen Grenzregion und besteht grösstenteils aus Tutsi, einer in den ostafrikanischen Staaten Ruanda und Burundi sowie eben im östlichen Grenzgebiet der Demokratischen Republik Kongo lebenden Volksgruppe. Seit 2021 kämpfen sie gegen die kongolesische Armee, mit Unterstützung von Ruanda und Uganda.

Bei den Kämpfen zwischen den M23-Rebellen und Regierungstruppen im Ost-Kongo hat es viele Opfer gegeben.
Bei den Kämpfen zwischen den M23-Rebellen und Regierungstruppen im Ost-Kongo hat es viele Opfer gegeben.
Moses Sawasawa/AP/dpa

Die Miliz nennt sich «Mouvement du 23-Mars» («Bewegung des 23. März»). Der Grund: Am 23. März 2009 unterschrieb die Regierung einen Friedensvertrag, der der Vorgängergruppierung «Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes» (CNDP) den Status einer politischen Partei verleihen sollte.

 Die aus der CNDP entstandene M23 wirft der Regierung vor, sich nicht an die Vereinbarungen des Friedensvertrags gehalten zu haben und die kongolesischen Tutsi nicht in die Armee und Regierung integriert zu haben.

Wie kam es zur Eskalation?

Die Gruppe M23 verkündete in der Nacht auf den 27. Februar, sie hätten die Stadt Goma eingenommen. Das taten sie kurz vor Ablauf eines Ultimatums an Soldaten der kongolesischen Armee, die sie aufgefordert hatten, ihre Waffen niederzulegen. Die Regierung bestritt die Einnahme zunächst.

Die Einwohnerinnen und Einwohner sollen Ruhe bewahren und die Soldaten der kongolesischen Armee sollen im zentralen Stadion ihre Waffen abgeben, forderten die Rebellen in einem Statement.

Bereits am Sonntag vor dem Einmarsch war der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zusammengekommen, um die eskalierende Lage zu besprechen. «Die Strassen sind blockiert und der Flughafen kann nicht mehr für Evakuierungen oder humanitäre Hilfe genutzt werden», berichtete Bintou Keita, Leiterin der UNO-Mission im Kongo, dem Sicherheitsrat.

Kongos Aussenministerin Thérèse Kayikwamba Wagner sprach von einer «Kriegserklärung» Ruandas gegen ihr Land. Sowohl die kongolesische Regierung in Kinshasa als auch UNO-Experten werfen Ruanda vor, die Rebellengruppe M23 unter anderem mit Waffen zu unterstützen.

Worum geht es im Kongo-Konflikt?

Die Wurzeln des Konflikts im Ostkongo reichen bis in die Kolonialzeit zurück, als Belgien Tutsi aus Ruanda als Arbeitskräfte in den Kongo brachte. Dies führte zu ethnischen Spannungen zwischen Tutsi und Hutu, die im Genozid von 1994 in Ruanda gipfelten. Nach dem Ende des Völkermords durch den Tutsi-Präsidenten Paul Kagame flohen viele Hutu in den Ostkongo, was die Region destabilisierte.

Zahlreiche Zivilisten sind auf der Flucht.
Zahlreiche Zivilisten sind auf der Flucht.
Moses Sawasawa/AP/dpa

Heute beschuldigen die M23-Rebellen und Ruanda die kongolesische Regierung, die Tutsi bedrohen zu wollen. Die M23 sieht sich als Beschützer der Tutsi-Bevölkerung im Ostkongo. Kritiker werfen Ruanda jedoch vor, die M23 zur Ausbeutung kongolesischer Bodenschätze zu instrumentalisieren.

Trotz politischer Stabilität in der Hauptstadt Kinshasa unter Präsident Tshisekedi bleiben die Ostprovinzen von Krisen geprägt. Die kongolesischen Sicherheitskräfte können das Gebiet nicht kontrollieren, was über 100 Rebellengruppen Raum gibt.

Wie schlimm ist die Situation für die Menschen vor Ort?

Leichen liegen auf den Strassen. Medizinische Fachkräfte behandeln in überfüllten Spitälern Hunderte von verwundeten Zivilisten, im Hintergrund sind Schüsse und Explosionen zu hören. Sexualisierte Gewalt gehört zum Alltag. Diese Szenen meldeten UNO-Vertreter aus Goma.

Es gibt weder Strom noch Wasser, die Internetverbindung ist ebenfalls gekappt. Es fehlt auch an sanitären Anlagen, Krankheiten verbreiten sich. Medikamente und Lebensmittel werden aus Lagerhäuser geplündert. Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag.

Die Vereinten Nationen sprechen von einer der «langwierigsten, komplexesten und gravierendsten humanitären Krisen der Welt». Die Spitäler sind komplett überlaufen. Der Flughafen wurden angesichts der anhaltenden Kämpfe geschlossen und Strassen gesperrt.

Plünderer stehlen Gegenstände aus einer UNHCR-Einrichtung in Goma.
Plünderer stehlen Gegenstände aus einer UNHCR-Einrichtung in Goma.
KEYSTONE

Bei den Kämpfen zwischen der kongolesischen Regierungstruppen und den Rebellen in der Stadt sind in den vergangenen Wochen nach UNO-Angaben Tausende Menschen getötet worden. Die Zahl ist auf 2900 Personen gestiegen. 

Hunderttausende sind auf der Flucht. Vor allem viele Familien mit Kindern. Zahlreiche Kinder werden auf der Flucht von ihren Familien getrennt und sind sich selbst überlassen. Die Not in den Aufnahmegemeinden und in den provisorischen Flüchtlingscamps ist gross. 

Immer häufiger wird von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen berichtet. Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass bei einem Gefängnisausbruch 160 Frauen vergewaltigt wurden.  Es handelte sich dabei um weibliche Insassen des Gefängnisses, wie die Vizechefin der in Goma stationierten UNO-Friedensmission Monusco, Vivian van de Perre, berichtete. Schliesslich wurde der Frauentrakt in Brand besetzt. Wie viele Tote es gab, ist aktuell unklar.

Mitglieder des kongolesischen Roten Kreuzes und Freiwillige begraben Opfer des jüngsten Konflikts auf einem Friedhof in Goma.
Mitglieder des kongolesischen Roten Kreuzes und Freiwillige begraben Opfer des jüngsten Konflikts auf einem Friedhof in Goma.
KEYSTONE

Auch die Basen der UNO-Friedenstruppe Monusco sind nicht mehr sicher. In den Tagen seit der Offensive auf Goma sind die Gebäude beschossen worden. Auch drei Mitarbeiter eines Schweizer Hilfswerks wurden getötet.

Ein Lagerhaus des IKRK, in dem sich Medikamente befanden, ist geplündert worden. Auf das Personal und den Krankenwagen wurde geschossen. Das Büro von Save the Children in Goma wurde am Dienstag von einer Explosion getroffen, wie die Gruppe mitteilte.

Was hat Ruanda und die Rohstoffe mit dem Konflikt genau zu tun?

Im Nachbarland Ruanda, das seit Jahrzehnten die M23 finanziell und logistisch unterstützt und mit Soldaten im Ost-Kongo verstärkt, reiben sich die Verantwortlichen dagegen die Hände.

Im Dezember wurde in einem Expertenbericht der Vereinten Nationen klar dargelegt, wie Ruanda unter der Führung von Präsident Paul Kagame gemeinsam mit den M23-Rebellen wertvolle Rohstoffe wie Gold und Coltan im Osten des Kongo abbaut. Coltan wird vor allem in der Elektroindustrie nachgefragt, unter anderem für die Herstellung von Mobiltelefonen und Laptops.

M23-Kämpfer versammeln sich mit neuen Rekruten an einer Polizeistation in Goma, Nord-Kivu, am 6. Februar 2025.
M23-Kämpfer versammeln sich mit neuen Rekruten an einer Polizeistation in Goma, Nord-Kivu, am 6. Februar 2025.
sda

Die M23 haben im vergangenen Jahr die grösste Coltanmine in der Region im ostkongolesischen Rubaya erobert, heisst es in dem Bericht. In Rubaya habe die Miliz eine eigene Verwaltung geschaffen, die unter anderem den Abbau, Handel und Transport von Rohstoffen kontrolliere, heisst es weiter. Mindestens 150 Tonnen Coltan seien so illegal aus dem Kongo nach Ruanda gebracht worden, wo der Rohstoff mit ruandischem Coltan vermischt worden sei.

Ruanda exportiere mittlerweile Rohstoffe im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar pro Jahr, sagte der frühere UNO-Experte und Politikwissenschaftler Jason Stearns der Nachrichtenagentur Reuters. Das sei ungefähr doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Man wisse nicht, wie viel, aber ein grosser Teil davon stamme aus der Demokratischen Republik Kongo.

Was meint Ruanda dazu?

In den vergangenen Jahren haben sowohl die US-Regierung unter Joe Biden als auch die EU versucht, durch Sanktionen Druck auf Ruanda auszuüben. Auch wenn Kritiker die Sanktionen als halbherzig bezeichnen, ist das Verhältnis zwischen den USA und Ruanda dadurch deutlich abgekühlt.

Kagame habe auf den Machtwechsel in Washington gewartet, um mit dem Vormarsch auf Goma zu beginnen. «Die USA sind gerade mit sich selbst beschäftigt, Europa zerstritten und der Nahe Osten in Aufruhr», zitiert Reuters einen westlichen Diplomaten. «Kagame hat den Moment genutzt», so der Diplomat.

Ruandas Präsident Paul Kagame.
Ruandas Präsident Paul Kagame.
Lee Jin-man/AP/dpa

Dass jetzt mehr diplomatischer Druck aufgebaut werden kann, der die M23 und Ruanda dazu bewegen könnte, aus dem Ost-Kongo abzuziehen, gilt als unwahrscheinlich. In den europäischen Hauptstädten hat sich Kagame als Partner im Bereich Migrations- und Sicherheitspolitik Freunde gemacht.

In Mosambik stellt die ruandische Regierung tausende Truppen, die die Sicherheit eines Gas-Projektes im Norden des Landes sichern sollen. Ohne wirkliche Hilfe aus dem Ausland und sowohl innenpolitisch als auch militärisch geschwächt, hat Präsident Tshisekedi schlechte Karten im Ost-Kongo.

Kigali sei entschlossen, sich den vollständigen Einfluss über die Provinz Nord-Kivu und die dortigen Rohstoffe zu sichern und jeden bewaffneten Widerstand zu unterdrücken, schreibt die Denkfabrik International Crisis Group in einem Bericht.

Ruanda selbst hat bislang nicht bestätigt, direkt an dem Konflikt beteiligt zu sein, eigene Truppen entsandt zu haben und die M23 zu unterstützen. Aber Präsident Kagame formuliert in einem anderen Kontext sein Interesse an der Entwicklung im Nachbarland.