Trotz enttäuschendem Verlauf Ukrainische Gegenoffensive hat wohl die nächste Phase erreicht

tjnj/dpa

27.7.2023

New York Times: Ukraine wagt wichtigen Vorstoss

New York Times: Ukraine wagt wichtigen Vorstoss

Im Rahmen der Gegen-Offensive haben die Streitkräfte der Ukraine ihren wichtigsten Vorstoss begonnen, berichtet die New York Times unter Berufung auf zwei ungenannte Pentagon-Beamte.

27.07.2023

Ist die ukrainische Offensive gegen den russischen Aggressor gescheitert? Wladimir Putin will das der Welt Glauben machen. Tatsächlich ist sie in vielerlei Hinsicht enttäuschend verlaufen – aussichtslos ist sie aber nicht.

tjnj/dpa

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Beim Krieg in der Ukraine ist die ukrainische Gegenoffensive ins Stocken geraten.
  • Zahlreiche Materialschäden sind zu beklagen, darunter auch der Verlust mehrerer Panzer. Die Anzahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt.
  • Das zurückgewonnene Gebiet bleibt deutlich hinter den Erwartungen vor dem Start der Offensive zurück.
  • Kiew setzt auf einen Strategiewechsel und greift immer mehr Ziele aus der Ferne an, statt mit der Infanterie vorzurücken.
  • Vermutlich hat gestern die zweite Phase der Gegenoffensive begonnen.

So viel ist sicher: Die ukrainische Gegenoffensive ist ins Stocken geraten. Seit ihrem Beginn am 4. Juni sind nur ungefähr 200 Quadratkilometer der von Russland besetzten Gebiete zurückerobert worden.

Die aus dem Westen gelieferten Materialien sind zu einem grossen Teil verschlissen oder zerstört – darunter auch Dutzende Panzerfahrzeuge, wie die NZZ schreibt. Zu Verletzten und Toten gibt es noch keine belastbaren Angaben.

Ukrainische Soldaten am 24. Juni 2023 an der Front in der Region Saporischschja.
Ukrainische Soldaten am 24. Juni 2023 an der Front in der Region Saporischschja.
Archivbild: Keystone

Ziele wie die Blockierung einer für die Versorgung der russischen Truppen wichtige Eisenbahnlinie konnten nicht erreicht werden. Von zwei Ausgangspunkten aus ist die Gegenoffensive gestartet: bei Orichiw und bei Welika Nowosilka.

Hat diesmal Kiew den Gegner unterschätzt?

Doch die Gebietsgewinne sind mit Vorstössen von fünf respektive zehn Kilometern kaum erwähnenswert. Anders als bei den ukrainischen Erfolgen in der Gegenabwehr 2022 konnte sich Moskau diesmal lange auf die Angriffe vorbereiten.

Das russische Informationsnetzwerk läuft wie geschmiert, sodass jede ukrainische Offensive sofort gemeldet und die Verteidigung koordiniert werden kann. Hat Moskau vor Kriegsbeginn die Stärke der Ukraine unterschätzt, so ist Kiew nun eventuell das Gleiche passiert.

Da die erste Bodenoffensive verpufft ist, setzt man nun auf eine neue Strategie: Strategisch wichtige Ziele wie Kommandoposten oder Versorgungslinien werden aus der Ferne attackiert, um die Erfolgschancen einer zweiten Offensive zu verbessern. Da die Ukraine über keine geeigneten Kampfflugzeuge verfügt, muss sie dabei stattdessen auf Raketen und Drohnen setzen.

Hier gibt es durchaus Erfolge zu vermelden: Russische Artilleriestellungen wurden ausgeschaltet, ebenso zwei Generäle. Munitionsdepots und Lager mit weiterem Kriegsmaterial konnten ebenfalls zerstört, die strategisch wichtige Versorgungsbrücke auf die Krim zumindest beschädigt werden.

Zweite Phase hat wohl begonnen

Wenn die Gegenoffensive ihren Erwartungen auch lange nicht gerecht geworden ist, so ist es doch falsch, sie als «gescheitert» zu bezeichnen, wie es Wladimir Putin tut: Sie ist noch nicht vorbei und aussichtslos ist die Lage nicht.

Am vergangenen Mittwoch scheint eine neue Phase des Gegenangriffs begonnen zu haben, die den Fokus der Operation in Richtung der Krim verlegen soll. Der «New York Times» berichteten zwei anonyme Beamte des Pentagon, dass Kiew Washington darüber bereits ins Bild gesetzt habe.

Es gelte, durch von Russland gelegte Minenfelder und andere Barrieren in Richtung Süden zur Stadt Tokmak und, wenn möglich, bis ins etwa 40 Kilometer von der Küste entfernte Melitopol vorzudringen.

Krim als neues Ziel

Ziel sei es, die Landbrücke zwischen der russisch-besetzten Ukraine und der Halbinsel Krim zu durchtrennen oder zumindest so weit vorzurücken, dass die strategisch wichtige Halbinsel in Reichweite der ukrainischen Artillerie gerate.

Ein Mehrfachraketenwerfer der ukrainischen Armee feuert Raketen auf russische Stellungen im Gebiet Oblast Donezk.
Ein Mehrfachraketenwerfer der ukrainischen Armee feuert Raketen auf russische Stellungen im Gebiet Oblast Donezk.
Bild: Roman Chop/Roman Chop/AP

Der Vorstoss könne bei einem erfolgreichen Verlauf bis zu drei Wochen dauern, hiess es unter Berufung auf ukrainische Beamte weiter. 

Demnach würden nun auch Reservisten eingesetzt – diese haben eine westliche Spezialausbildung erhalten. Die Gegenoffensive ist also noch lange nicht vorbei. Ein neuer Anfang ist bereits gemacht.