Anschläge in besetzten Gebieten So tragen Partisanen zu Erfolgen der Ukraine bei

Von Stefan Michel

4.11.2022

Am 25. Oktober explodiert eine Autobombe vor dem Gebäude des TV-Senders Za-TV im russisch besetzten Melitopol und verletzt mindestens fünf Personen.
Am 25. Oktober explodiert eine Autobombe vor dem Gebäude des TV-Senders Za-TV im russisch besetzten Melitopol und verletzt mindestens fünf Personen.
KEYSTONE/EPA/STRINGER

Seit der Invasion verüben ukrainische Widerstandskämpfer Anschläge auf Vertreter Russlands sowie auf russische Nachschublinien. Damit schwächen sie die Besatzungstruppen nachhaltig, wie eine Analyse zeigt.

Von Stefan Michel

Wenn die russischen und pro-russischen Truppen ein Gebiet erobert haben, gehen die Probleme erst los. Grund dafür sind nicht nur die immer effektiveren Waffen der ukrainischen Armee, sondern auch ukrainische Widerstandskämpfer in den russisch besetzten Regionen.

Das Institute for the Study of War ISW hat Anschläge und Sabotageakte durch ukrainische Partisanen untersucht. Darunter sind gezielte, tödliche Anschläge auf Vertreter der russischen Besatzungsmacht und auf deren ukrainische Verbündete.

Partisanen hätten seit der russischen Invasion Dutzende Anschläge verübt. In die Liste der näher untersuchten Attacken haben die ISW-Forschenden jene 34 Vorfälle aufgenommen, die bestätigt und öffentlich diskutiert worden sind. Ein Teil der Anschläge ist zudem geo-lokalisiert, ihr Tatort also präzise bestimmt.

Die meisten Anschläge richten sich gegen Einzelpersonen

Auffällig ist, wie die Häufigkeit der Anschläge über die Monate zugenommen hat: Von März bis Mai waren es zwei Vorfälle pro Monat, im Juni fünf, Juli sechs, August neun und im September sieben. Im Oktober ist nur eine Attacke verzeichnet, was auch daran liegen könnte, dass weitere noch nicht verifiziert sind.

Die ukrainischen Widerstandskämpfer greifen nicht die Invasionstruppen direkt an, sondern entweder deren zivile Vertreter in den besetzten Gebieten oder sie stören den Nachschub der feindlichen Armee, indem sie etwa Eisenbahnlinien sabotieren.

Dazu ist zu sagen, dass in der Liste des ISW Sabotageakte einen kleinen Teil aller Angriffe ausmachen. Die überwiegende Mehrheit ist gezielte Gewalt («targeted violence») gegen Einzelpersonen. Der jüngste vom ISW in die Analyse einbezogene Anschlag hat einem pro-russischen TV-Sender in Melitopol gegolten.

Ausdrücklich nicht in die Analyse einbezogen sei die Aufklärungsarbeit zugunsten der ukrainischen Armee durch Zivilpersonen in den besetzten Gebieten. Die Studie bezieht sich zudem nur auf die besetzten Gebiete und lässt beispielsweise die nicht geklärten Anschläge in der Grenzstadt Belgorod und Moskau aussen vor.

Partisanen-Angriffe schwächen die russischen Truppen

Dass es Russland nicht schafft, seine Vertreter in den eroberten Gebieten zu schützen, erzürnt russische Blogger, die die Invasion unterstützen. Einer von ihnen, Valeri Kuleschow, ist selber einem Anschlag zum Opfer gefallen.

Das ISW schreibt in seinem Bericht, dass Russland es wohl nicht einmal versuche, die Sicherheit seiner Vertreter zu erhöhen und stattdessen immer wieder Anschläge auf sie totschweige oder als normale Kriegshandlungen darstelle.

Ziel der Anschläge sei, den Besatzern das Leben unerträglich zu machen, zitiert PBS News Hour einen anonymen Widerstandskämpfer. Der Effekt geht aber über Angst und Schrecken unter den zivilen Mitarbeitenden der Invasoren hinaus. Die ukrainischen Partisanen schaffen es gemäss ISW auch, dass die russischen Truppen ihre Nachschublinien und Depots stärker schützen und weiter von der Front weg verlegen müssen.

Es ist derselbe Effekt, den auch die reichweitenstarken und präzisen Mehrfachraketenwerfer haben, die der Ukraine seit einigen Monaten zur Verfügung stehen. Wie gross der Anteil der Partisanen am Vorrücken der ukrainischen Truppen ist, beziffert aber auch das ISW nicht.

Ukrainische Partisanenangriffe hätten dazu geführt, dass russische Ressourcen von der Front abgezogen würden und zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt würden, so die Schlussfolgerung des ISW-Berichts. «Das beeinträchtigt die Fähigkeiten Russlands, sich gegen die ukrainische Gegenoffensive zu verteidigen, geschweige denn selber in die Offensive zu gehen.»