5-Prozent-RegelDiese Schlupflöcher nutzen Nato-Staaten für Trumps Milliarden-Ziele
Stefan Michel
27.6.2025
Die Nato-Mitglieder haben sich geeinigt, ihre Verteidigungsausgaben von 2 Prozent des BIP auf 5 Prozent zu erhöhen – ein Kraftakt für die Staatshaushalte der Mitglieder. (Archivbild)
Bild:Keystone
Die Nato beugt sich der Forderung Trumps, künftig 5 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in ihre Verteidigung zu investieren. Die Armeen würden damit zu ihrem grössten Budgetposten. Es gibt aber Schlupflöcher.
Stefan Michel
27.06.2025, 04:30
27.06.2025, 04:31
Stefan Michel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Nato-Mitglieder haben vereinbart, ihre Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen.
Das setzt die Staatshaushalte dieser Staaten unter Druck. 2024 hätte Deutschland bei strikter Auslegung der 5-Prozent-Regel 45 Prozent des Staatshaushalt für Verteidigung ausgeben müssen.
Es gibt aber Auswege: Beispielsweise können Mitglieder auch Infrastrukturprojekte den Verteidigungsausgaben anrechnen. Die Staaten haben schon eine Reihe von Ideen.
Die Nato-Verbündeten der USA haben eingewilligt, ihre Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. Sie täten dies, um der verschärften Bedrohungslage gerecht zu werden. Die europäischen Staatsoberhäupter geben sich zudem gewillt, sich selber verteidigen zu können und weniger abhängig von den USA zu sein.
Dass sie diese seit vielen Jahren bestehende Forderung der USA jetzt erfüllen, hat freilich mit der Person Donald Trumps zu tun. Er hat im ersten Halbjahr seiner zweiten Amstzeit klar gemacht, dass er nicht bloss droht, sondern auch handelt, wenn er es als nötig erachtet. Den Austritt der USA aus der Nato hat er schon 2018 an die Wand gemalt. Die Verbündeten wollen offensichtlich nicht herausfinden, ob er tatsächlich so weit geht.
Seit 2014 gilt die «Nato-Regel», dass zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung in die Verteidigung fliessen sollen. Auch diese Marke erreichen nicht alle Mitgliedsländer. Deutschland hat sie 2024 erstmals geknackt. Eine Erhöhung auf 5 Prozent, also das Zweieinhalbfache, ist für alle Staaten ein Kraftakt.
Deutschland beispielsweise hätte 2024 statt knapp 52 Milliarden Euro 225 Milliarden Euro dem Wehretat zuweisen müssen. Frankreich hätte im vergangenen Jahr 150 Milliarden Euro für die Verteidigung ausgeben müssen, statt 50. Italiens Militärhaushalt hat 2024 35 Milliarden Euro betragen, 5 Prozent des BIP wären 118 Milliarden Euro.
Wie gravierend sich die 5-Prozent-Regel auswirkt, wird deutlich, wenn man die Verteidigungsausgaben zum gesamten Staatshaushalt in Beziehung setzt.
45 Prozent des deutschen Staatshaushalts an die Armee
In Deutschland wären es 2024 45 Prozent sämtlicher Staatsausgaben gewesen, die für die Verteidigung hätten ausgegeben werden sollen, wie die «Tagesschau» der ARD errechnet hat. Die öffentlich verfügbaren Zahlen zu Frankreich und Italien gehen zu weit auseinander, um die gleiche Rechnung auf verlässlicher Basis anzustellen.
Deutschland hat sich bereits die Erlaubnis gegeben, in den kommenden Jahren neue Schulden zu machen. Doch selbst das Sondervermögen wird kaum reichen, um den Verteidigungshaushalt zu erhöhen, ohne an anderen Stellen Abstriche machen zu müssen.
Italien und Frankreich kämpfen ebenfalls mit klammen Staatskassen und zu hohem Schuldenstand. Wo das zusätzliche Geld für die Verteidigung herkommen soll, war am Nato-Gipfel kein Thema.
5 Prozent sind eigentlich 3,5 Prozent
Etwas Entlastung bieten zwei zusätzliche Vereinbarungen im Zusammenhang mit der 5-Prozent-Regel. Die Erste: Die Erhöhung muss nicht sofort erfolgen. Die Zweite: Nur 3,5 Prozent des BIP müssen direkt an die Armee fliessen. Die verbleibenden 1,5 Prozent dürfen beispielsweise auch in zivile Infrastruktur investiert werden, die die Verteidigungsfähigkeit erhöht. Das ermöglicht es, Ausgaben, die sowieso anfallen, dem Verteidigungshaushalt anzurechnen.
Die zeitliche Staffelung erlaubt, dass die Nato-Staaten erst 2035 bei 5 Prozent des BIP angelangt sein müssen. Deutschland plant, bis 2029 die Wehrausgaben schrittweise auf 153 Milliarden Euro zu erhöhen, wie das Verteidigungsministerium mitteilt. Der grössere Teil der Erhöhung um 173 Milliarden wäre dann geschafft.
Wobei der Betrag, der zusätzlich ins Verteidigungsbudget fliessen soll, Spekulation ist. Denn niemand weiss, wie hoch das BIP der einzelnen Staaten in fünf oder zehn Jahren sein wird. Erlebt ein Nato-Staat ein Wirtschaftswunder, wird es noch teurer.
Bleibt der Ausweg, andere Ausgaben als Teil der Verteidigung zu deuten. Schon länger weisen Expert*innen darauf hin, dass die europäischen Nato-Staaten bei einem Angriff Russlands schon deshalb unter Druck gerieten, weil ihre Verkehrsinfrastruktur es nicht zulassen würde, in kurzer Zeit grosse Kampfverbände an die Ostgrenze zu verlegen.
Es ergibt also Sinn, Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur auch als Stärkung der Verteidigungsfähigkeit zu verbuchen. Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni erwägt laut «Spiegel», die seit eineinhalb Jahrhunderten diskutierte Brücke zwischen dem Festland und Sizilien zu bauen und als Investition in die Verteidigung zu verbuchen.
Auch weitere Länder haben laut «Spiegel» Ideen, wie sie Infrastruktur-Vorhaben, die sie ohnehin umsetzen müssen, in ihre Nato-Bilanz einrechnen könnten: In den Niederlanden soll der Hochwasserschutz eine militärische Bedeutung erhalten. Deutschland und Frankreich wollen im Rahmen ihrer Nato-Verpflichtungen in Strassen und Brücken, Spanien, Schweden, Dänemark, Finnland und weitere Staaten in Häfen investieren. Pipelines, Stromnetze, Bahnlinien und vieles mehr sollen von den 1,5 Prozent «ziviler Verteidigungsausgaben» profitieren.
Bereits am Nato-Gipfel in Brüssel hat die US-Regierung laut der «Tagesschau» der ARD Deutschland zugestanden, ihre Ukraine-Hilfe ihren Verteidigungsausgaben anzurechnen – was sie nach Ansicht des deutschen Verteidigungsministeriums auch sind.
Unklar bleibt dabei, ob das auch für die seit Februar 2022 ausgegebenen 48 Milliarden Euro gilt oder erst für das seit Einführung der 5-Prozent-Regel übergebene Kriegsgerät und die weiteren Aufwendungen zugunsten der Ukraine.
Die Nato-Staaten können also ihr Ausgabenwachstum, das sie Trump zugesichert haben, abfedern, indem sie bisher rein zivile Budgetposten umdeuten. Offen ist, ob auch bei den 3,5 Prozent Spielraum besteht, die in «Hard Defense» – sozusagen harte Verteidigungswährung – investiert werden müssen.
Dabei ist auch den europäischen Nato-Verbündeten der USA klar, dass sie mit kreativer Buchhaltung allein ihre Abschreckung gegen potenzielle Feinde nicht verstärken. Und abhängig sein von den sich rasch ändernden Präferenzen des US-Präsidenten wollen sie auch nicht.
Wo stehen die USA und die Schweiz?
Die USA gehören zu der kleinen Zahl der Nato-Staaten, die Vorgaben schon jetzt so gut wie erfüllen. Auf 3,38 Prozent des BIP schätzt die Nato selber die Militärausgaben der USA 2024. Am meisten gibt Polen für die Verteidigung aus: 4,1 Prozent des BIP wendet der westliche Nachbar der Ukraine für seine Wehrfähigkeit auf. Budgetär zwischen Polen und den USA liegt Estland mit 3,43 Prozent.
Die Schweiz kommt – je nachdem wo man die Grenze zieht – auf einen Verteidigungsanteil von 0,7 bis 1,7 Prozent des BIP. Die Unterschiede ergeben sich aus dem System der Milizarmee, das weit über das reine Armeebudget hinaus Kosten verursacht. Auch die Schweiz will mehr für ihre Wehrfähigkeit ausgeben. Von 3,5 Prozent, geschweige denn 5 Prozent, bleibt sie weit entfernt.
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