Putins Probleme häufen sich Stockender Nachschub, selbst gekappte Leitungen und ein toter Generalmajor

Von Philipp Dahm

8.3.2022

Ausländische Kämpfer: Dienst an der Seite ukrainischer Soldaten

Ausländische Kämpfer: Dienst an der Seite ukrainischer Soldaten

Die ukrainische Armee gab am Montag Bilder heraus, die einen Briten und einen mexikanischen Staatsbürger in Kiew beim Dienst an der Waffe zeigen sollen.

08.03.2022

Russlands Armee hat offenbar ein Nachschubproblem. Und nicht nur das: Ein zweiter hochrangiger Offizier wurde getötet. Die Nachricht ist dank einer bizarren Kommunikationspanne publik geworden.

Von Philipp Dahm

8.3.2022

Christo Grozev ist fassungslos. «Die Ukraine hat gerade Generalmajor Witali Gerasimow getötet, den Stabschef der 41. Armee. In Charkiw», twittert der ausgezeichnete Journalist der Investigativ-Plattform «Bellingcat». Das habe Kiews Militärgeheimdienst gemeldet, und Moskau soll das bestätigt haben.

Witali Gerasimow soll am 7. März in Charkiw gefallen sein. Der Generalmajor wurde mehrfach mit Medaillen ausgezeichnet.
Witali Gerasimow soll am 7. März in Charkiw gefallen sein. Der Generalmajor wurde mehrfach mit Medaillen ausgezeichnet.
Bild: Commons

Doch wie die Information publik geworden ist, spricht für sich: Der der 41. Armee zugeteilte Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB hat seinen Vorgesetzten im russischen Tula angerufen, erklärt Grozev. Dafür wurde eine lokale SIM-Karte benutzt, weshalb das Gespräch abgefangen worden sei.

Die sichere Kommunikation sei zusammengebrochen, wird zuerst nach Tula rapportiert – dann wird Gerasimows Tod gebeichtet, so Grozev. Der Vorgesetzte macht eine lange Pause, bevor er flucht: Es handelt sich um Dmitri Schewtschenko, einen höheren FSB-Offizier, wie der Abgleich von Informationen gezeigt habe, die der ukrainische Militärgeheimdienst öffentlich gemacht habe.

Doch das Beste kommt noch: Schewtschenko fragt angeblich im Telefonat, warum die Meldung nicht via Era gemacht wurde. Das sei das Kryptotelefon, das 2021 mit viel Tamtam eingeführt worden, das absolut sicher sei und «unter allen Bedingungen» funktioniere, erklärt Grozev. In Charkiw habe sich jedoch herausgestellt, dass zumindest 3G-Masten vorhanden sein müssen – und die Armee habe bei der Belagerung alle zerstört.

Probleme beim Nachschub

Gerasimow ist damit der zweite hochrangige Militär, der in Putins Krieg gefallen ist: Vergangene Woche ist bereits Generalmajor Andrej Sukovetski von einem Scharfschützen getötet worden. Das Kommunikationsdilemma der russischen Armee dürfte auch der Grund dafür sein, dass Experten bisher wenig Offensive im Verbund gesehen haben, bei dem verschiedene Truppenteile verzahnt angreifen.

Neben der Nachrichtenübermittlung hapert es offenbar bei der Logistik: Das erklärt auch, warum Moskaus Militär im Norden so viel schlechter vorankommt als im Süden. Denn zum Ersten haben die Ukrainer nach Kriegsausbruch alle Eisenbahnverbindungen nach Belarus und Russland zerstört: Die Eisenbahn ist die wichtigste Nachschublinie der Armee des Kreml. 

Der russische Nachschub ist auf die Eisenbahn zugeschnitten: Die Lastwagenflotte hat das Nachsehen. Das Foto entstand im April 2021 während eines russischen Manövers auf der Krim.
Der russische Nachschub ist auf die Eisenbahn zugeschnitten: Die Lastwagenflotte hat das Nachsehen. Das Foto entstand im April 2021 während eines russischen Manövers auf der Krim.
Bild: EPA

Alternativ haben Putins Generäle wahrscheinlich geplant, den Flughafen Hostomel vor Kiew als Brückenkopf einzunehmen, um dann Truppen über den Flughafen einzufliegen. Doch die Luftlande-Einheiten konnten die Stellung bei einem ukrainischen Gegenangriff nicht verteidigen.

Schleusen geöffnet – Panzer gestoppt

Was bleibt, sind Fahrzeuge, die allerdings die Strasse nehmen müssen: Der Boden in mit Flüssen durchzogenen Norden ist zu dieser Zeit viel zu weich, um durchs Gelände zu fahren. In Kiew wurden Wasserreservoirs geöffnet, um das Aufmarschgebiet zu fluten. Das macht berechenbar, welche Wege die Lastwagen nehmen, die die Soldaten mit Munition, Nahrung und Treibstoff versorgen müssen.

Tanklaster werden so zum bevorzugten Ziel: Ein Treffer sorgt für ein lange brennendes Feuer, das weiterhin andere Fahrzeuge behindert. Der fehlende Treibstoff bremst Panzer aus – und stehende Panzer sind unbrauchbar. Zudem rächt sich jetzt, dass Moskau die eigene Logistik augenscheinlich sträflich vernachlässigt hat.

«Die logistischen Kräfte der russischen Armee sind nicht für grossflächige Offensiven fernab der Eisenbahnen gemacht», analysiert ein Veteran der US Army bei «War in the Rocks». Die russischen Einheiten seien zwar kleiner als jene der USA, doch die massive Artillerie und Luftabwehr, die sie auszeichnet, bedeuteten hohen logistischen Aufwand.

Fahrzeugpark vernachlässigt

Hinderlich sei der kleine Fuhrpark, so die Analyse: «Die russische Armee hat nicht genug Trucks, um logistische Anforderungen zu erfüllen, die weiter als [144 Kilometer] vom Nachschubzentrum entfernt liegen.» Anderswo wird ergänzt, Moskau verfüge über rund 4'000 Lastwagen: Die Zahl ist nicht nur verglichen mit den USA gering, die über rund 100'000 Trucks verfügen.

Eine Salve eines Raketenwerfers kann bis zu eine Lastwagenladefläche in Anspruch nehmen. (Archivbild)
Eine Salve eines Raketenwerfers kann bis zu eine Lastwagenladefläche in Anspruch nehmen. (Archivbild)
Bild: EPA

Wer bedenkt, dass die Salve eines Raketenwerfers eine ganze Lastwagenladung in Anspruch nimmt oder liest, dass in Grosny täglich bis zu 50 Trucks vonnöten waren, um 4'000 Granaten in die tschetschenische Hauptstadt zu schiessen, versteht, weshalb die russische Offensive nur stockend vorankommt – und da ist die Logistik für die Versorgung der Crews mit Treibstoff noch gar nicht einberechnet.

Was zu diesem Bild der Versorgungskrise passt, sind Videos in sozialen Netzwerken, die belegen sollen, wie auf Russlands Schienen jede Menge zivile Tanklaster und Busse ins Kriegsgebiet gebracht werden. Ob diese auf den zerschossenen Strassen in der Ukraine wirklich nützlich sind, muss sich erst noch zeigen.