EuropaStreit mit EU um Nordirland: Bricht Johnson den Brexit-Vertrag?
SDA
11.5.2022 - 15:43
Der Streit um Brexit-Regeln für Nordirland droht zu einem Handelskrieg zwischen der EU und Grossbritannien zu werden. Die britische Aussenministerin Liz Truss wies EU-Vorschläge zur Änderung des sogenannten Nordirland-Protokolls am Mittwoch brüsk zurück.
11.05.2022, 15:43
SDA
Damit rückt eine einseitige Aufkündigung des mühsam ausgehandelten Vertragswerks immer näher. Die EU drohte, dann sei auch das Brexit-Handelsabkommen in Gefahr. Die Folge könnte ein Handelskrieg zwischen den wirtschaftlichen Schwergewichten sein – ausgerechnet während des russischen Kriegs gegen die Ukraine, der die Lebenshaltungskosten ohnehin in die Höhe treibt.
Ein EU-Diplomat warnte vor einem Bruch des Völkerrechts. Die westliche Einheit zu untergraben, während eben dieses Recht gegen Russland verteidigt werde, wäre «ein absolut unverantwortlicher Schritt». Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin fügte er hinzu: «Putin wäre begeistert.»
Zuvor hatten der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Belgiens Regierungschef Alexander de Croo davor gewarnt, die Regeln für Nordirland ohne Absprache zu ändern.
Die konservative britische Regierung, gebeutelt von Skandalen und Wahlschlappen, gibt sich jedoch stur. Aussenministerin Truss kritisierte: «Die aktuellen EU-Vorschläge gehen nicht angemessen auf die wirklichen Probleme ein, die Nordirland betreffen, und würden uns in einigen Fällen zurückwerfen.» Ihr Ministerium warnte, die Handelsbeziehungen könnten sich verschlechtern und Waren des täglichen Bedarfs aus den Regalen in Nordirland verschwinden. Premierminister Boris Johnson nannte die Lage «sehr schwierig».
Das Nordirland-Protokoll, das Johnson selbst vereinbart hatte, soll nach dem Brexit Kontrollen an der Grenze zum EU-Mitglied Republik Irland vermeiden und neue Konflikte zwischen Befürwortern und Gegnern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands verhindern. Dafür müssen nun aber Waren kontrolliert werden, wenn sie von Grossbritannien nach Nordirland gebracht werden. Im Oktober hatte die EU-Kommission deutliche Erleichterungen für den Warenverkehr in Aussicht gestellt, stösst damit – wie nun klar wird – aber auf taube Ohren.
«Wir haben immer eine Verhandlungslösung bevorzugt, aber werden nicht davor zurückschrecken, Massnahmen zur Stabilisierung der Situation in Nordirland zu ergreifen, wenn keine Lösungen gefunden werden können», betonte Truss. Zwar besteht leise Hoffnung, dass Truss und EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic bei einem für diesen Donnerstag geplanten Telefonat die Wogen glätten. Doch in London mehren sich Anzeichen, dass Truss schon kommende Woche mit einem Gesetzentwurf den einseitigen Bruch des Protokolls vorbereiten könnte.
Experten wundern sich über die britische Taktik. Zwar hatte Johnson die Parlamentswahl 2019 auch dank des Versprechens «Get Brexit done» (in etwa: «Den Brexit zu Ende bringen") haushoch gewonnen. Doch der Slogan zieht nicht mehr. Vielmehr nervt das Thema viele Menschen – vor allem in Nordirland. Anders als von der britischen Regierung behauptet stösst das Protokoll bei der Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich nicht auf Widerstand. Im Gegenteil: Die Mehrheit der neu gewählten Abgeordneten bei der Wahl zum Regionalparlament vorige Woche unterstützt die Regelung.
Der Streit um das Protokoll hemmt nun auch die Bildung einer neuen Regierung in der früheren Bürgerkriegsregion. Dabei hat sich die Wirtschaft dort schneller von der Pandemie erholt als in anderen Landesteilen. Nordirische Unternehmen können ohne Zollhürden mit der EU handeln. Die Region gehört de facto weiterhin der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt an – dank des Protokolls. Nordirische Wirtschaftsvertreter fordern die Parteien deshalb mit Nachdruck auf, zügig im Parlament die Arbeit aufzunehmen.
Doch der Verweis auf die angebliche Unzufriedenheit im pro-britischen Lager dient Johnsons populistischer Regierung zunehmend dafür, sich als Retter der Verbraucher zu geben. Dabei sind seine Aussichten auf eine Neuverhandlung des Protokolls gleich null. In Brüssel ist man sich einig, dass es dazu nicht kommen wird.
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