Streit ums Wasser Irans Präsident droht den Taliban wegen Grenzfluss

Von Arne Bänsch, Johannes Sadek und Anne-Sophie Galli, dpa

2.7.2023 - 22:01

Die iranische Provinz Sistan und Belutschistan ist von Trockenheit und Wasserknappheit betroffen. (Archivbild)
Die iranische Provinz Sistan und Belutschistan ist von Trockenheit und Wasserknappheit betroffen. (Archivbild)
Mohammad Dehdast/Keystone

Glühende Hitze, Trockenheit und Sandstürme plagen die Bewohner im Grenzgebiet von Afghanistan und dem Iran. Ende Mai gab es blutige Zusammenstösse. Brechen bald die ersten Kriege um Wasser aus?

Keystone-SDA, Von Arne Bänsch, Johannes Sadek und Anne-Sophie Galli, dpa

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ende Mai wurde die Grenzregion zwischen Afghanistan und Iran Schauplatz eines blutigen Schusswechsels. Weil ein Staudamm auf afghanischer Seite gebaut wurde, nimmt die Trockenheit in Iran zu und damit auch Auseinandersetzungen um Wasser.
  • Welche Sprengkraft das Thema Wasser entwickeln kann, zeigt sich auch in Nordostafrika, wo sich Äthiopien mit Ägypten ebenfalls wegen eines Staudamms streitet. 
  • Zwischen Indien und Pakistan schwelt ein Streit um mehrere gemeinsame Flüsse, deren Füllstand aufgrund sich zurückziehender Gletscher schwindet.
  • Fazit: Wasser hat das Potenzial künftig Kriege auszulösen.

Wasser ist in den Provinzen im Grenzgebiet von Afghanistan und dem Iran zeitweise so knapp, dass es mit Tankwagen in die Dörfer gebracht werden muss. Ende Mai wurde die Gegend Schauplatz eines blutigen Scharmützels. Ein Schusswechsel verwandelte die Grenzregion in ein Schlachtfeld. Nur wenige Tage zuvor hatte Irans Präsident Ebrahim Raisi den Taliban im Streit um das Wasser eines wichtigen Grenzflusses gedroht.

Unweit der Grenzposten liegt das Biosphärenreservat des Hamun-Sees. Alte Fotos des Ökosystems mit glitzernder Wasseroberfläche und Flamingos erinnern an die Schönheit des einst drittgrössten Sees im Iran. Heute zeigen Bilder der Gegend vertrocknete Fische und verlassene Boote. Inmitten des Sees liegen sagenumwobene Ruinen, in denen einst ein deutscher Archäologe über das alte Persien forschte.

Afghanischer Staudamm heizt Streit um Wasser an

Ein Grund für die Trockenheit: das Wasser des mehr als 1000 Kilometer langen Flusses Helmand im Nachbarland Afghanistan, das im Hamun-See mündet, wird auf afghanischer Seite gestaut. «Viele Jahre lang profitierten die Menschen im Norden der Provinz vom Helmand-Wasser und betrieben Ackerbau, Fischerei und Viehzucht», sagt der iranische Abgeordnete Mohammed Sargasi. Viele Bewohner seien inzwischen weggezogen.

Der Helmand-Fluss mäandert wie eine grüne Schlange durch die ausgedörrte afghanische Landschaft.
Der Helmand-Fluss mäandert wie eine grüne Schlange durch die ausgedörrte afghanische Landschaft.
imago/Richard Wareham

Ein Abkommen aus dem Jahr 1973 soll die Nutzung des Helmand-Wassers regeln. Im Zuge der Erderwärmung ist aber auch Afghanistan von Trockenheit betroffen. «Wir haben nicht einmal genug Wasser zum Trinken», klagt ein Bewohner der Provinz Nimrus. Das 2021 fertiggestellte Staudamm-Prestigeprojekt versorgt die Provinz mit Strom und dient der Bewässerung der Landwirtschaft.

Umweltforscherin sieht Potenzial für mehr Kooperation

Lena Partzsch, Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, sieht aber auch Potenzial für Kooperation. «Wenn Wasserkriege eintreten, ist es eher eine selbst erfüllende Prophezeihung», warnt die Umweltforscherin. «Ich bin nicht pessimistisch, weil ich denke, dass Wasser in erster Linie eine Ressource ist, die Kooperation fördert», bekräftigt sie.

Ein Zeichen dafür sei, dass die Taliban im Streit um den Helmand bereits vergangenes Jahr im Iran waren. «Es wäre wichtig, dass ein Raum geschaffen wird für Verhandlungen und Institutionen, anstatt in Rüstung zu investieren», sagt Partzsch. Klimawandel, veränderte Wasservorkommen – daran müssen wir uns anpassen, sagt Partzsch. «Nicht nur technisch, sondern im Einklang von Mensch und Natur.»

Auch ein afghanischer Wasserexperte hofft auf mehr Kooperation. «In Sistan und Belutschistan ist die Verdunstungsrate hoch», sagt Nadschibullah Sadid. Denkbar wäre eine Zusammenarbeit vor allem im Bereich der Landwirtschaft. «Es ist sinnvoll, dass man dort anbaut, wo es funktioniert. Wasserverschwendung muss verhindert werden.»

Äthiopiens Staudamm und seine politische Sprengkraft

Welche Sprengkraft das Thema Wasser entwickeln kann, zeigt sich auch in Nordostafrika: Äthiopiens Staudamm, der nach seiner Fertigstellung 2024 oder 2025 der grösste Afrikas werden soll, lässt den Regionalnachbarn Ägypten um seine Wasserversorgung aus dem Nil und um die heimische Landwirtschaft fürchten. Der Streit darum, wie der Stausee zu füllen sein wird und wie viel Wasser künftig den Nil herabfliessen wird, bewegte sich zumindest verbal schon mehrfach in Richtung einer möglichen militärischen Eskalation. Ägypten deckt mehr als 90 Prozent seines Wasserbedarfs aus dem Fluss.

Trotz der Bedenken des vom Nil abhängigen Ägyptens hat sich Äthiopien – dessen Wirtschaft unter häufigen Stromausfällen leidet – dafür ausgesprochen, mit dem Bau des Staudamms fortzufahren, der zum grössten Wasserkraftwerk Afrikas werden soll.
Trotz der Bedenken des vom Nil abhängigen Ägyptens hat sich Äthiopien – dessen Wirtschaft unter häufigen Stromausfällen leidet – dafür ausgesprochen, mit dem Bau des Staudamms fortzufahren, der zum grössten Wasserkraftwerk Afrikas werden soll.
Elias Asmare/KEYSTONE

Der anfangs versöhnlicher klingende ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi scheint in dem jahrelangen Streit langsam auch die Geduld zu verlieren. Aus Sicht Kairos verweigert sich Äthiopien einer Vermittlung und spielt auf Zeit. «Lasst uns keinen Punkt erreichen, an dem (die Brüder in Äthiopien) einen Tropfen des ägyptischen Wassers anrühren, denn alle Optionen sind auf dem Tisch», sagte Al-Sisi. «Undenkbare Instabilität in der Region» könnte sonst folgen.

Der Machtkampf im ebenfalls betroffenen Sudan – zwischen Ägypten und Äthiopien – macht die Vermittlung noch komplizierter. Dort ringen seit April der Präsident mit der Armee und der einstige Vizepräsident mit der RSF-Miliz (Rapid Support Forces) um die Führung. Bei der unübersichtlichen Lage in Khartum ist eine Dreier-Einigung im Gezerre mit Kairo und Addis Abeba so gut wie unmöglich.

Indien und Pakistan: Alte Feinde vor Herausforderungen

Auch zwischen den von Wassermangel und Trockenheit bedrohten Ländern Indien und Pakistan schwelt ein Streit um mehrere gemeinsame Flüsse. Der bekannteste von ihnen ist der Indus – der wichtigste Strom Pakistans, der in Tibet entspringt und durch den indischen Teil der Region Kaschmir fliesst. Seit mehr als 60 Jahren existiert ein von der Weltbank vermitteltes Kooperationsabkommen. Die beiden Atommächte haben wegen anderer Konflikte bereits mehrere Kriege miteinander geführt. Das Abkommen galt vielen Experten als Hoffnungsschimmer und seltener Konsens zwischen den verfeindeten Nationen.

Zusammenfluss der Flüsse Indus and Zanskar in Ladakh, Indien.
Zusammenfluss der Flüsse Indus and Zanskar in Ladakh, Indien.
PantherMedia / Dmitry Rukhlenko

Doch im Januar forderte Indien plötzlich eine Änderung des Abkommens. Im Zentrum des Streits stehen wieder einmal grosse Staudamm-Projekte. Pakistan sieht in den indischen Wasserkraftprojekten in der Kaschmirregion ein Problem für seine Wasserversorgung. «Das Abkommen war eine grossartige Vereinbarung in den Sechzigerjahren», sagt ein Regierungsvertreter in Islamabad. Schliesslich habe es Kriege und politische Spannungen überlebt. Heute gebe es neue Herausforderungen. Indien hingegen wirft dem Nachbarland Kompromisslosigkeit vor.

Pervaiz Amir, Klimaexperte in Pakistan, fordert ein rasches Umdenken. «In Anbetracht der Tatsache, dass alle Gletscher in den nördlichen Regionen Pakistans und Indiens bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwinden werden, wenn sie weiterhin im gleichen Tempo schmelzen, und dass sie die Hauptquelle für das Wasser in den Flüssen sind, müssen Pakistan und Indien jetzt miteinander reden», sagt Amir. «Es ist ein rein technisches Problem, das aber das Potenzial hat, in Zukunft einen Konflikt oder sogar einen Krieg auszulösen.»