Taliban erobern Pandschir Massud ruft zu nationalem Aufstand gegen Islamisten auf

dpa/uri

6.9.2021

Achmad Massud ruft zum Widerstand gegen die Taliban auf. (Archiv)
Achmad Massud ruft zum Widerstand gegen die Taliban auf. (Archiv)
Getty Images

Die Taliban verkünden die Eroberung der letzten nicht von den Islamisten kontrollierten Provinz Pandschir. Zum Widerstand ruft unterdessen der populäre Führer der  Nationalen Widerstandsfront (NRF) Achmad Massud auf. 

dpa/uri

6.9.2021

Der Anführer der der Nationalen Widerstandsfront (NRF) im afghanischen Pandschir-Tal hat zu einem nationalen Aufstand gegen die militant-islamistischen Taliban aufgerufen. «Wir rufen Sie auf, einen allgemeinen Aufstand zu beginnen, um der Ehre, Freiheit und dem Stolz unserer Heimat willen», sagte Achmad Massud, in einer am Montag veröffentlichten Audiobotschaft.

Massud äusserte sich nicht zur aktuellen Situation in Pandschir. Er sagte lediglich weiter, dass die Menschen in jeder möglichen Form kämpfen könnten, sei es durch bewaffneten Kampf oder durch Proteste. Die Nationale Widerstandsfront stünde bis zum letzten Moment an ihrer Seite.

Wenige Stunden davor hatten die Taliban erklärt, die Provinz Pandschir, die als einzige noch nicht unter ihrer Kontrolle gestanden hatte, eingenommen zu haben. Videos und Bilder in sozialen Medien zeigten Taliban-Kämpfer im Gouverneursgebäude der Provinzhauptstadt Basarak.

Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid verkündet am 6. September 2021 die Einnahme des Pandschir-Tals. 
Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid verkündet am 6. September 2021 die Einnahme des Pandschir-Tals. 
Bild: Keystone

Mit Pandschir im Nordosten Afghanistans hätten die Taliban damit auch die letzte Hochburg ihrer Gegner eingenommen. Die Provinz sei unter ihrer Kontrolle, teilte Sabihullah Mudschahid, Sprecher der militant-islamistischen Gruppe, am Montag mit. Auch Augenzeugen aus der Gegend bestätigten der Nachrichtenagentur AP, dass Tausende Taliban-Kämpfer in der Nacht acht Bezirke im nördlich von Kabul gelegenen Pandschir überrannt hätten. Mudschahid sagte den Bewohnern Frieden zu, doch sollen viele Familien schon vor dem Eintreffen der Taliban in die umliegenden Berge geflohen sein.

Pandschir war die einzige Provinz Afghanistans, die die Taliban bei ihrem handstreichartigen Eroberungsfeldzug im vergangenen Monat nicht eingenommen hatten. Dort scharten sich Widerstandskämpfer um den früheren Vizepräsidenten Amrullah Saleh, der sich nach der Flucht von Präsident Aschraf Ghani zum rechtmässigen Staatsoberhaupt erklärt hatte. Anführer der Anti-Taliban-Kräfte in Pandschir war zudem Ahmed Massud, Sohn des legendären Nordallianz-Führers Achmed Schah Massud, der wenige Tage vor den Terroranschlägen im September 2001 in den USA von zwei Al-Kaida-Selbstmordattentätern im afghanischen Tachar getötet wurde.

Widerstandskämpfer haben am 1. September 2021 im Pandschir-Tal Stellung gegen die Taliban bezogen.
Widerstandskämpfer haben am 1. September 2021 im Pandschir-Tal Stellung gegen die Taliban bezogen.
Bild:  Getty Images

Auch die Sowjets konnten das Tal nicht erobern

Unter dem älteren Massud hatten die Kämpfer aus dem Pandschir-Tal in den 1990er Jahren bereits einmal verhindert, dass die Taliban die Region erobern. Auch den Sowjets war es zuvor nicht gelungen, das Tal im Hindukusch einzunehmen, das nur durch einen schmalen Zugang erreichbar ist.



Dass die Taliban diesmal ihr Ziel erreichen würden, hatte sich bereits am Wochenende abgezeichnet. Nur wenige Stunden bevor sie die Eroberung Pandschirs verkündeten, hatte Massud erklärt, seine Kämpfer seien bereit, ihre Waffen niederzulegen, wenn die Taliban ihre Angriffe einstellten.

Die Lage der Provinz Pandschir in Afganistan.
Die Lage der Provinz Pandschir in Afganistan.
Grafik: dpa

Am Sonntagabend berichteten Bewohner der Region dann von Dutzenden Fahrzeugen mit Taliban-Kämpfern, die in das Tal eingedrungen seien. Fahim Daschti, Sprecher einer Anti-Taliban-Fraktion wurde am Sonntag bei Kämpfen getötet, wie seine Gruppe auf Twitter mitteilte. Er war ein Neffe von Abdullah Abdullah, Mitglied der bisherigen Führung in Kabul und Vorsitzender des Rates für Nationale Versöhnung, der mit den Taliban über eine Regierungsbildung verhandelt hatte.

Taliban rechtfertigen gewaltsame Einnahme

Taliban-Sprecher Mudschahid bestritt, dass Daschti im Gefecht mit den Taliban umgekommen sei. Vielmehr sei er bei «internen Streitigkeiten zwischen zwei Befehlshabern in Pandschir» getötet worden. Beweise für seine Darstellung legte Mudschahid nicht vor.

Widerstandskämpfer bei Militärübungen am 30. August 2021 im Pandschir-Tal.
Widerstandskämpfer bei Militärübungen am 30. August 2021 im Pandschir-Tal.
Bild: Keystone

Bei einer Pressekonferenz in Kabul rechtfertigte der Sprecher die gewaltsame Einnahme Pandschirs. «Wir haben unser Bestes versucht, um das Problem über Verhandlungen zu lösen, und sie haben Gespräche verweigert und dann mussten wir unsere Truppen schicken, um zu kämpfen», erklärte er.

Versicherungen an die Bewohner des Tals

Mudschahid versicherte den Bewohnern von Pandschir, dass ihnen nichts geschehen werde. «Sie sind alle unsere Brüder und wir werden einem Land und einem gemeinsamen Ziel dienen.» Der Sprecher sagte auch, dass die Taliban noch «binnen Tagen» eine neue Regierung der Einheit bekanntgeben würden. Sobald sie gebildet sei, würden auch Mitglieder der früheren afghanischen Armee und Sicherheitskräfte zur Rückkehr in den Dienst aufgerufen. «Wir brauchen ihre Expertise», sagte Mudschahid. Sie sollen sich demnach den Taliban-Kämpfern anschliessen und dann mit ihnen eine einzige Armee bilden.

Auf eine Frage nach den Frauenrechten unter den Taliban antwortete Mudschahid, dass letztlich alle Frauen «gebeten» würden, ihre Jobs wieder aufzunehmen. Dass die Zusage bisher nur schleppend umgesetzt wird, haben Taliban mit nicht näher erläuterten «Sicherheitsgründen» erklärt. Auch dass Frauen zu Hause bleiben müssten, sofern sie nicht in männlicher Begleitung seien, habe damit zu tun. Viele Afghaninnen und Afghanen, die noch die drakonische Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 in Erinnerung haben, sind jedoch skeptisch.