«Wir wissen nicht, ob wir morgen noch leben» Teheraner berichten von Angst, vollen Bunkern und kaum Nachrichten

tpfi

18.6.2025 - 23:32

Die Schäden in Teheran und anderen Städten sind unübersehbar. Zivilisten müssen jederzeit damit rechnen, dass ihnen israelische Angriffe das Leben kosten könnten.
Die Schäden in Teheran und anderen Städten sind unübersehbar. Zivilisten müssen jederzeit damit rechnen, dass ihnen israelische Angriffe das Leben kosten könnten.
Archivbild: IMAGO/UPI Photo

Israels Militär und US-Präsident Trump haben die Menschen in Teheran zur Flucht aufgerufen. Doch das ist nicht so einfach. Wer bleibt, ist oft auf sich allein gestellt.

DPA, tpfi

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  • Teheran wird immer wieder von Explosionen erschüttert.
  • Die Flucht aus der iranischen Hauptstadt ist kaum möglich – es fehlt an Benzin und auch anderorts ist die Lage kaum sicherer. 
  • Einwohner*innen der Stadt berichten von dramatischen Szenen auf der Flucht vor dem Bombenhagel.

Die Strassen von Teheran sind verwaist, die Geschäfte geschlossen, Telefon- und Internetverbindungen bestenfalls unbeständig. Seit fast einer Woche greift Israel das iranische Atomprogramm und Militäreinrichtungen des Landes an. Seine Attacken haben das iranische Flugabwehrsystem weitgehend ausgeschaltet. Die israelische Luftwaffe hat nach eigenem Bekunden am Himmel über Teheran freie Bahn. Und am Montag hat US-Präsident Donald Trump die rund zehn Millionen Einwohner aufgefordert, die Stadt zu verlassen.

Tausende versuchten, in die Vororte, ans Kaspische Meer oder sogar nach Armenien oder in die Türkei zu entkommen und standen stundenlang im Stau. Derweil sind ältere und gebrechliche Menschen zurückgeblieben und sitzen jetzt in Hochhäusern fest. Ihre Verwandten sind verzweifelt: Was tun?

Die Nachrichtenagentur AP hat fünf Menschen im Iran und einen mit amerikanischem Pass in den USA zu ihrer Situation befragt. Die meisten Anrufe enden abrupt und nach ein paar Minuten, weil die Gesprächspartner nervös werden oder die Verbindung abbricht.

Kaum noch Treibstoff an den Tankstellen

Die 49-jährige Schirin lebt im Süden der iranischen Hauptstadt und sagt, in den vergangenen Tagen habe sich jeder Anruf und jede SMS an Freunde und Verwandte so angefühlt, als könnte es der letzte Kontakt sein. «Wir wissen nicht, ob wir morgen noch leben werden», sagt sie.

Nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe wurden bei den israelischen Luftangriffen mindestens 585 Menschen getötet und mehr als 1300 verletzt. Schirin sagt, eine Flucht komme für sie nicht in Frage. Ihr Vater sei an Alzheimer erkrankt und müsste im Krankenwagen transportiert werden. Die schwere Arthritis ihrer Mutter mache selbst eine kurze Reise extrem schmerzhaft.

Trotzdem hofft Schirin noch auf eine Fluchtmöglichkeit. Die vergangenen Tage hat sie damit verbracht, Medikamente zu besorgen. Ihr Bruder habe bis 3.00 Uhr morgens an einer Tankstelle gewartet, nur um dann abgewiesen zu werden, weil der Treibstoff ausgegangen seit, berichtet sie. Seit Montag ist das Benzin an Tankstellen im Iran auf weniger als 20 Liter pro Fahrer rationiert worden.

Wohin flüchten?

Einige Menschen wie der 22-jährige Arschia sagen, sie seien einfach müde. «Ich will nicht 40, 30 oder 20 Stunden im Stau stehen, nur um irgendwohin zu kommen, wo dann vielleicht irgendwann auch bombardiert wird», sagt er. Der 22-Jährige wohnt seit dem ersten israelischen Angriff bei seinen Eltern im Haus.

Sein einst lebendiges Viertel Saadat Abad im Nordwesten Teherans sei jetzt eine Geisterstadt, sagt er. Die Schulen seien geschlossen. Nur wenige Menschen gingen noch mit dem Hund raus. Den meisten örtlichen Geschäften seien Trinkwasser und Speiseöl ausgegangen. Andere hätten geschlossen. Die Aussichten, eine andere Bleibe zu finden seien schlecht. «Wir haben im Moment nicht die Mittel, um wegzugehen», sagt Arschia.

Luftschutzsirenen sind unzuverlässig

Einige Familien haben die Entscheidung getroffen, sich zu trennen. Er habe seine Frau und seinen neugeborenen Sohn aus der Stadt geschickt, nachdem am Montag eine nahe gelegene Apotheke getroffen worden sei, sagt ein afghanischer Flüchtling, der seit vier Jahren im Iran lebt. «Es war ein sehr schlimmer Schock für sie», berichtet der 23-Jährige über seine Familie. Er selbst sei geblieben.

Rettungskäfte suchen nach einem israelischen Angriff auf ein Gebäude in Teheran nach Überlebenden.
Rettungskäfte suchen nach einem israelischen Angriff auf ein Gebäude in Teheran nach Überlebenden.
Archivbild: IMAGO/ZUMA Press Wire

Die staatlichen Medien, die ebenfalls Ziel der Bombardierung sind, haben die Berichterstattung über die Angriffe eingestellt und lassen die Iraner im Dunkeln. Es gibt nur wenige sichtbare Anzeichen für staatliche Autorität: Die Polizei scheint weitgehend verdeckt zu arbeiten, die Luftschutzsirenen sind unzuverlässig, und es gibt kaum Informationen darüber, was im Falle eines Angriffs zu tun ist.

Israel hat auch Irans Staatssender IRIB angegriffen und die Ausstrahlung des Programms zwischenzeitlich beendet.
Israel hat auch Irans Staatssender IRIB angegriffen und die Ausstrahlung des Programms zwischenzeitlich beendet.
Archivbild: IMAGO/Middle East Images

Während des iranisch-irakischen Krieges in den 1980er Jahren gab es in Teheran noch Luftschutzübungen und Sirenen. Viele Häuser hatten Keller, in denen man Schutz suchen konnte. Jetzt wimmelt es in der Hauptstadt von dicht gebauten Hochhauswohnungen ohne Schutzräume.

U-Bahn-Stationen als letzte Zuflucht

«Es ist eine Art Versäumnis der Vergangenheit, dass man keine Schutzräume gebaut hat», sagt eine 29-jährige Teheranerin, die am Montag die Stadt verliess. Der Freund ihrer Freundin sei auf dem Weg zum Einkaufen getötet worden. «Man kann doch nicht erwarten, dass der Freund – oder überhaupt jemand – das Haus verlässt und nicht mehr zurückkommt, wenn er nur einen ganz normalen Einkaufsbummel gemacht hat», sagt sie.

Viele fliehen bei Angriffen in U-Bahn-Stationen. Dort liegen dann ganze Familien auf dem Boden. Eine aus einem anderen Land in den Iran geflohene Studentin sagt, sie habe am Freitag zwölf Stunden mit ihren Verwandten in einer Station ausgeharrt. «Alle dort waren in Panik», erzählt sie. «Niemand weiss, was als Nächstes passieren wird, ob es in Zukunft Krieg gibt und was sie tun sollen. Die Menschen denken, dass sie nirgendwo mehr sicher sind.»

Die Behörden haben erklärt, Moscheen, Schulen und U-Bahn-Stationen sollten als Notunterkünfte dienen. Doch einige sind geschlossen, andere überfüllt. Die Regierung hat zugegeben, dass sie den Internetzugang unterbrochen hat. Sie sagte, dies geschehe zum Schutz des Landes. Doch den Durchschnittsiranern wird so der Zugang zu Informationen aus der Aussenwelt versperrt.

«Wenn wir sterben, sterben wir»

Indessen warten Iraner in der Diaspora besorgt auf Nachrichten von Angehörigen. Ein iranisch-amerikanischer Menschenrechtsforscher in den USA sagt, er habe zuletzt von Verwandten gehört, als sie Anfang der Woche versucht hätten, aus Teheran zu fliehen. Er vermute, dass Benzinmangel und der Verkehr sie an der Ausreise gehindert haben.

Seine älteren Cousins – mit denen er im Iran aufgewachsen ist – hätten ihm gesagt: «Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen. Wenn wir sterben, sterben wir», berichtet der Exil-Iraner. Das sei das Schlimmste gewesen. «Sie verspürten einfach nur Verzweiflung», sagt er.

Feuerwehrleute arbeiten nach israelischen Angriffen am Ort einer Explosion in einer Wohnanlage im Norden von Teheran. 
Feuerwehrleute arbeiten nach israelischen Angriffen am Ort einer Explosion in einer Wohnanlage im Norden von Teheran. 
Archivbild: sda

Für Schirin ist der Krieg eine zwiespältige Sache. Einerseits sei sie gegen die theokratische Verfassung, die die Rechte von Frauen missachtet. Doch ihr gefalle der Gedanke nicht, dass Israel die Zukunft bestimmen könnte. «So sehr wir uns auch das Ende dieses Regimes wünschen, wir wollten nicht, dass dies durch eine ausländische Regierung geschieht», sagt sie. «Wir hätten es vorgezogen, dass ein Wechsel durch eine Volksbewegung im Iran herbeigeführt worden wäre.»

Die 29-Jährige, die Teheran verlassen hat, appelliert an die Menschen im Ausland. «Was hier passiert, ist keine Routineangelegenheit», sagt sie. Den Menschen im Iran seien ihr Leben und ihr Lebensunterhalt genauso wichtig, wie anderen Menschen an jedem anderen Ort der Welt. «Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihre Stadt oder Ihr Land von einem anderen Land bombardiert würde und Menschen links und rechts sterben würden?«, fragt sie.

Israel forciert Angriffe auf Iran – Bewegt sich Teheran?

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