Late Night USA Texas, Kälte, Tote – und trotzdem immer Klassenkampf

Von Philipp Dahm

18.2.2021

Weil seit Jahren an der Infrastruktur gespart wird, hat eine Kältewelle in Texas das Stromnetz kollabieren lassen. Doch selbst eine solche Notlage, die schon 30 Tote forderte, artet in den USA zum Richtungsstreit aus.

«Ein mega Wintersturm ist über Texas hereingebrochen und lässt Millionen ohne Strom zurück», erklärt Trevor Noah. Normalerweise würde so ein Problem in Amerika innert Stunden behoben.

«Keine grosse Sache: Man zündet ein paar Kerzen an, schnappt sich eine Taschenlampe und erzählt sich die gruselige Geschichte jener Frau, die den Geist eines kleinen Jungen geheiratet hat», sagt der Gastgeber der «Daily Show» zur Einblendung der Bilder von Ivanka Trump und Jared Kushner grinsend.

Doch was gerade im Süden der USA passiert – Sie ahnen es –, ist nicht normal. Auch drei Tage nach dem Blackout vom Sonntag fliesst vielerorts kein Strom und vor allem keine Wärme. «Es ist schon lange nicht mehr lustig», drückt es der 36-Jährige aus.

«Niemand schuldet euch oder euren Familien irgendwas»

Ein Einspieler nach 30 Sekunden zeigt Texaner ohne Strom und Wasser, die sogar den Grill oder das Auto benutzen, um sich einzuheizen. «Ihr habt den Newsclip gesehen», sagt Noah. «Da hängen Leute mit Tape Laken [vor ihre Tür]. So sollte man nicht die Wärme im Haus halten. So sollte man Marihuana-Geruch verbergen.»

Jared-Kushner-Horrorgeschichten beim Stromausfall? In Texas sind die Probleme gravierender, weiss Märchenonkel Trevor Noah.
Jared-Kushner-Horrorgeschichten beim Stromausfall? In Texas sind die Probleme gravierender, weiss Märchenonkel Trevor Noah.

Und während Wärme, Wasser und Nahrungsmittel fehlen, macht ein Politiker Schlagzeilen, der der Bevölkerung bescheidet, sie solle jetzt mal nicht rumzicken. Tim Boyd hat seinen Job als Bürgermeister von Coloradon City nun jedoch hinwerfen müssen, nachdem er auf Facebook Folgendes geschrieben hatte: «Es ist nicht die Aufgabe der lokalen Regierung, Sie in herausfordernden Zeiten wie diesen zu unterstützen.»

Weiter grantelte Boyd: «Niemand schuldet euch oder euren Familien irgendwas. Geht unter oder schwimmt, es ist eure Wahl. Nur die Starken überleben und die Schwachen vergehen.» Noah fragt sich: «Warum ist der Typ überhaupt Bürgermeister geworden, wenn er Leuten nicht helfen will?» Das sei, als wenn man Arzt werde, um dann zu rufen: «Transplantiert eure Leber doch selbst. Muss ich hier alles machen? Ich bin ein Arzt!»

Allerwertester!

Es sei nur gut, dass Boyd zurückgetreten ist – «denn wenn ihr glaubt, dass Erfrierungen schlecht für eure Nase sind, solltet ihr mal sehen, was sie mit einem exponierten Arschloch machen».

Notfallstation eines Spitals in Austin, Texas, am 17. Februar: Kältewelle und Stromausfall haben bisher mindestens 30 Menschenleben in dem Bundesstaat gefordert.
Notfallstation eines Spitals in Austin, Texas, am 17. Februar: Kältewelle und Stromausfall haben bisher mindestens 30 Menschenleben in dem Bundesstaat gefordert.
KEYSTONE

Aber was ist eigentlich die Ursache dieses epischen Stromausfalls? Ein Clip ab Minute 3:40 erklärt, der lokale Gasversorger sei mit den niedrigen Temperaturen nicht klargekommen. Mehrere Kohle-Kraftwerke hätten deswegen Probleme, doch jene, die mit Gas arbeiten, seien am stärksten betroffen. Sogar ein Atommeiler ist ausgefallen.

Die Infrastruktur leidet offenbar unter einer Liberalisierung des Strommarktes in den 90ern, durch den sich die Energieunternehmen auf Profite konzentriert haben, während sie die Netze vernachlässigten. Der Energiemix von Texas setzt sich aus 40 Prozent Gas, 23 Prozent Windenergie, 18 Prozent Kohle und 11 Prozent Atomstrom zusammen. Eine Regulierung des Netzes gibt es dabei nicht.

Gone with the Wind

Dass bei so einem Extremwetter nun alles zusammenbricht, ist für die Verantwortlichen, die so stolz auf die lokale Öl- und Gasindustrie sind, natürlich unangenehm. Der Schwarze Peter wird aber einfach weitergeschoben, wie die Ausschnitte ab Minute 5:49 zeigen.

Erneuerbare Energien sind schuld: «Fox»-Moderator Tucker Carlson (links) im Gespräch mit Rick Perry, unter Trump von 2017 bis 2019 Energieminister.
Erneuerbare Energien sind schuld: «Fox»-Moderator Tucker Carlson (links) im Gespräch mit Rick Perry, unter Trump von 2017 bis 2019 Energieminister.

Der konservative Sender «Fox» berichtet, die Kälte habe die Hälfte der Windturbinen lahmgelegt, was «Fragen über die gestiegene Abhängigkeit von erneuerbaren Energien» in Texas aufwerfe. Moderator Tucker Carlson tönt: «Die Windmühlen haben versagt, weil sie ein lächerliches Fashion-Accessoire sind, und Menschen sind deswegen gestorben.»

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Die Stimmung ist nach dem Regierungswechsel und dem Sturm aufs Kapitol so aufgeheizt, dass eine Kältewelle, die Infrastruktur-Probleme im Energiesektor offenlegt, mal wieder in einen politischen Richtungskampf ausartet.

Feinbild AOC

«Fox» und mehrere Republikaner blasen zum Angriff auf Alexandra Alexandria Ocasio-Cortez (AOC): Die Demokratin vom linken New Yorker Flügel hatte 2019 den Green New Deal vorgeschlagen, einen Plan für eine umweltfreundliche Umwandlung der Wirtschaft.

«Das ist echt verrückt», meint Noah dazu. «Die Typen sind so verzweifelt, dass sie die fossilen Brennstoffe ausser Acht lassen, und geben AOC und dem Green New Deal die Schuld, den es nur auf dem Papier gibt? Für etwas, das jetzt gerade in Texas geschieht?» Die Konservativen würden immer wieder bei der 31-Jährigen landen, die anscheinend eine Lieblingsfeindin ist.

Und Windturbinen-Ausfälle seien nur für 12 Prozent des Energieausfalls verantwortlich, ergänzt Noah. Und nur weil die Autos in Texas über die Strassen schlittern, weil sie keine Winterreifen hätten, rufe nun auch niemand: «Reifen sind unzuverlässig. Lasst uns wieder Familie-Feuerstein-Autos fahren!»

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