Ökologische Beerdigung Tote kompostieren soll auch in der Schweiz Bestattungsform werden

sda/vs/tpfi

31.10.2021 - 14:35

Bei der sogenannten Humusation zersetzen sich Leichen nach zwölf Monaten in etwa 1,5 Kubikmeter Humus.
Bei der sogenannten Humusation zersetzen sich Leichen nach zwölf Monaten in etwa 1,5 Kubikmeter Humus.
Symbolbild: Keystone

In der Schweiz werden die sterblichen Überreste von Menschen kremiert oder erdbestattet. Eine andere Bestattungsform lässt das Gesetz nicht zu. Doch gäbe es eine Alternative: Die Toten könnten auch kompostiert werden und in fruchtbare Erde verwandelt werden. Eine Bestatterin aus der Westschweiz möchte dazu eine Diskussion anstossen.

Sarah Joliat kennt sich mit Bestattung und Kremation aus, sie leitet ein Bestattungsinstitut in Vevey VD. Sie würde es jedoch vorziehen, beide Praktiken zu vermeiden: «Sie sind sehr umweltschädlich und ich finde die Kremation brutal.» Aber das sei ihre persönliche Sicht, betont sie.

Ihre «Begegnung» mit der sogenannten Humusation, also der eigentlichen Kompostierung von Leichen, liegt zwei Jahre zurück, als sie das Projekt der belgischen Stiftung «Métamorphose pour mourir... puis donner la vie» (Metamorphose zum Sterben... und dann Leben schenken) entdeckte.

«Es entsprach genau dem, was ich suchte: eine sanfte und natürliche Bestattungspraxis; eine langsame Zersetzung des Körpers, im Einklang mit der Natur, die es mir erlaubt, meine fleischliche Hülle auch nach meinem Tod zu pflegen», sagt Joliat im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Auf einem Pflanzenbeet

Die belgische Stiftung beschreibt die Praxis in ihrer Dokumentation folgendermassen: Der in ein biologisch abbaubares Leichentuch gehüllte Verstorbene wird auf ein 20 Zentimeter dickes Pflanzenbeet gelegt, dann in zwei Kubikmetern derselben Mischung – Holzhäcksel und Braunkohle, Regenwasser, natürliche Verwesungsbeschleuniger, Lehm – begraben und der Erdhügel mit Stroh, totem Laub und anderen Pflanzen bedeckt.

Nach zwölf Monaten haben sich die Zellen der Leiche dank der Organismen, die in obersten Bodenschichten wirken, in etwa 1,5 Kubikmeter Humus verwandelt. Der ganze Prozess wird von geschultem Personal überwacht. Ein Prozent dieses Komposts können die Hinterbliebenen dann schliesslich zur Düngung eines Grabfeldes verwenden, der Rest dient der Regenerierung beschädigter Böden.

Die seit 2014 aktive Stiftung setzt sich für eine Änderung der belgischen Gesetzgebung ein, die – wie in der Schweiz – nur Erd- und Feuerbestattungen zulässt. Sarah Joliat weiss, dass auch in der Schweiz «der Weg lang sein wird», um diese Bestattungspraxis hierzulande möglich zu machen. «Ich möchte, dass sie zu einer möglichen Alternative für Menschen wird, die dies wünschen.»

Streng geprüft und überwacht

Im Jahr 2020 kontaktierte Joliat mehrere Gemeinden in der Westschweiz. «Einige waren sehr aufgeschlossen», versichert sie, ohne zu verraten, welche. Doch Covid-19 bremste den Prozess stark aus, bis Sarah Joliat am 1. Oktober letzten Jahres den Verein Humusation Suisse gründete.

Um ihren Ansatz voranzutreiben, traf sich Sarah Joliat auch mit dem Forensiker Vincent Varlet von der Universität Lausanne. Der Spezialist für die Zersetzung von Leichen zeigt Interesse an der menschlichen Humusation, wie er auf Anfrage von Keystone-SDA bestätigt: «Es ist eine schöne und symbolische Alternative, die mit einem erwachenden ökologischen Bewusstsein und einer spirituellen Suche korrespondieren kann.»



Die Humusation entspreche auch den Erfordernissen der forensischen Wissenschaft, der es an Möglichkeiten zur Untersuchung des gesamten Verwesungszyklus' eines Leichnams mangle. Aber der Prozess müsse «unter ethischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht und streng überwacht werden. Wir müssen in der Lage sein, den politischen Entscheidungsträgern objektive und wissenschaftliche Garantien zu geben», sagt Varlet. Und: Die Humusation dürfe nicht «in die Hände von Geschäftemachern fallen».

sda/vs/tpfi