Darum gehts beim «Insurrection Act»Trump kramt das vergessene Gesetz aus dem 18. Jahrhundert hervor – jetzt sorgt es für Angst
Dominik Müller
8.10.2025
Schliesst die Anwendung des «Insurrection Act» nicht aus: US-Präsident Donald Trump.
Bild:Keystone
Donald Trump will die Nationalgarde in mehreren demokratisch regierten Städten einsetzen – gegen den Willen der Gouverneure. Nun droht ein Machtkampf um das selten genutzte Notstandsgesetz «Insurrection Act».
US-Präsident Trump droht mit dem Einsatz der Nationalgarde in demokratisch regierten Städten und erwägt die Anwendung des sogenannten «Insurrection Act».
Mehrere Städte und Bundesstaaten wehren sich juristisch gegen den Einsatz und warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall für militärisches Eingreifen im Inland.
Der «Insurrection Act» erlaubt dem Präsidenten unter vagen Voraussetzungen den Einsatz von Truppen auch gegen den Willen der Bundesstaaten.
In den USA verschärft sich der Streit um den Einsatz der Nationalgarde auf Geheiss von Präsident Donald Trump – und damit um die Grenzen seiner Macht. Der Republikaner will die militärische Reserveeinheit in mehreren demokratisch regierten Städten einsetzen oder hat es bereits getan – mit der Begründung, angeblich ausufernde Kriminalität einzudämmen und Proteste gegen Razzien der Einwanderungsbehörde ICE unter Kontrolle zu bringen.
Mehrere Städte und Bundesstaaten wehren sich mit juristischen Mitteln. Sie sehen ihre Souveränität verletzt und warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall für den Einsatz militärischer Druckmittel im Inland.
Laut US-Medien könnten etwa schon bald Nationalgardisten in der Region Chicago eintreffen, berichtet etwa «Politico». Der Versuch des Bundesstaats Illinois und der Millionenstadt, einen solchen Einsatz zu stoppen, blieb zunächst ohne Erfolg: Die zuständige Richterin wolle frühestens am Donnerstag über eine einstweilige Verfügung entscheiden.
Auch in Portland, Oregon, ist Trump mit demselben Plan vorerst gescheitert: Das Vorhaben ist vorläufig von einem Gericht untersagt worden.
Trump spricht von «Aufständen»
Im rhetorischen Umgang mit dem Konflikt fällt auf: Donald Trump und seine Spitzenberater verwenden das Wort «Aufstand» immer häufiger, um Anti-ICE-Proteste zu beschreiben.
«Ich halte das wirklich für einen kriminellen Aufstand», sagte er am Montag im Weissen Haus über die Proteste in Portland, bevor er versprach, die Stadt «sicher zu machen». Sein Berater Stephen Miller bezeichnete die Anordnung eines Richters, die vorerst den Einsatz von Nationalgardisten in Portland verbietet, als «legalen Aufstand».
In Portland gibt es seit Monaten Proteste rund um eine ICE-Einrichtung – dabei wurde im Juni auch Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt. (Archivbild)
Bild:Keystone/AP/Jenny Kane
So droht Trump mit dem «Insurrection Act»
Vor diesem Hintergrund fragte eine Reporterin Trump, ob er sich auf den sogenannten «Insurrection Act» berufen würde, um einstweilige Verfügungen zu umgehen und Truppen der Nationalgarde dort einzusetzen, wo Gouverneure und Bürgermeister dies nicht wollen.
«Falls nötig, werde ich es tun», so Trumps Antwort. Der «Insurrection Act» existiere nicht ohne Grund. «Wenn Menschen getötet würden und Gerichte uns aufhalten würden oder Gouverneure oder Bürgermeister uns aufhalten würden, würde ich das sicher tun.»
Was ist der «Insurrection Act»?
Der ursprünglich 1792 erlassene «Insurrection Act» gibt dem US-Präsidenten die Vollmacht, die Nationalgarde und Truppen oder Marineverbände unter bestimmten Bedingungen innerhalb der Vereinigten Staaten einzusetzen.
Bei Anwendung ist der Präsident ermächtigt, Aufstände im Inland militärisch zu unterdrücken oder in bestimmten Situationen für die Durchsetzung des Gesetzes zu sorgen.
Obwohl oft vom «Insurrection Act von 1807» die Rede ist, handelt es sich bei dem Gesetz tatsächlich um eine Zusammenführung verschiedener Gesetze, die zwischen 1792 und 1871 vom Kongress erlassen wurden. Heute finden sich diese Bestimmungen in den Paragrafen 251 bis 255 in Artikel 10 des United States Code.
Der «Insurrection Act» wirkt in Verbindung mit dem «Posse Comitatus Act», der 1878 verabschiedet wurde und dem Präsidenten grundsätzlich verbietet, das Militär als eine inländische Polizeitruppe einzusetzen.
Wie wird das Gesetz angewandt?
Truppen können auf Grundlage von drei Paragrafen des «Insurrection Act» eingesetzt werden. Jeder dieser Paragrafen ist für unterschiedliche Situationen vorgesehen – allerdings sind die Anforderungen des Gesetzes nur schwammig erklärt und überlassen praktisch alles dem Ermessen des Präsidenten.
Zunächst kann der Gouverneur oder die Legislative eines Bundesstaates dies nach Paragraf 251 beantragen. So war es auch 1992, als der «Insurrection Act» zum letzten Mal angewandt wurde. Damals erhielt Präsident George H. W. Bush eine Anfrage des damaligen Gouverneurs von Kalifornien, Pete Wilson, um Hilfe bei der Bewältigung der Unruhen in Los Angeles zu leisten.
Die Nationalgarde patrouilliert im August in der US-Hauptstadt Washington. (Archvivbild)
Bild:Keystone/AP/Jose Luis Magana
Die Paragrafen 252 und 253 erlauben es dem Präsidenten allerdings, Truppen ohne entsprechende Anfrage des betroffenen Bundesstaates und sogar gegen dessen Willen einzusetzen.
252 erlaubt den Einsatz zur «Durchsetzung der Gesetze» der Vereinigten Staaten oder zur «Unterdrückung von Aufständen», wenn «rechtswidrige Behinderungen, Zusammenschlüsse oder Versammlungen oder Aufstände» es «undurchführbar» machen, Bundesgesetze in dem betreffenden Bundesstaat im «ordentlichen Verfahren» durchzusetzen.
Paragraf 253 erlaubt den Einsatz von Truppen, um «jeden Aufstand, jede ungesetzliche Vereinigung oder Verschwörung» in einem Staat zu unterdrücken, der «die Ausführung der Gesetze der Vereinigten Staaten bekämpft oder behindert oder die Rechtspflege nach diesen Gesetzen behindert».
Beamte in Chicago und Portland werden angesichts des dortigen Widerstands gegen Trumps Pläne mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Hilfe gemäss Paragraf 251 anfordern. Trump müsste die Gesetzesanwendung entsprechend anders begründen.
Wer entscheidet, wann die Voraussetzungen für einen Einsatz erfüllt sind?
Der «Insurrection Act» enthält keinerlei Definitionen der Begriffe «Aufstand», «Rebellion» oder anderer Schlüsselbegriffe, die bei der Festlegung der Einsatzvoraussetzungen verwendet werden. Mangels gesetzlicher Vorgaben entschied der Oberste Gerichtshof frühzeitig, dass diese Frage allein vom Präsidenten zu entscheiden sei.
Es gibt jedoch Ausnahmen: In späteren Fällen hat der Oberste Gerichtshof angedeutet, dass Gerichte eingreifen können, wenn der Präsident in böser Absicht handelt, den «zulässigen Rahmen ehrlichen Urteils überschreitet», einen offensichtlichen Fehler begeht oder auf eine Weise handelt, die offensichtlich gesetzlich nicht zulässig ist.
Entspricht die Anwendung der Verhängung des Kriegsrechts?
Der «Insurrection Act» ermächtigt nicht zur Ausrufung des Kriegsrechts. Der Begriff «Kriegsrecht» hat keine feste Definition, wird aber allgemein als eine Vollmacht verstanden, die es dem Militär erlaubt, im Notfall die Rolle der Zivilregierung zu übernehmen. Im Gegensatz dazu erlaubt der «Insurrection Act» dem Militär grundsätzlich, zivile Behörden (ob bundesweit oder auf Bundesstaat-Ebene) zu unterstützen, nicht aber, sie zu ersetzen.
Wie wurde der «Insurrection Act» in der Vergangenheit angewandt?
Berief sich einst auf den «Insurrection Act»: Präsident Dwight D. Eisenhower (1890-1969).
Bild:Keystone
Der «Insurrection Act» wurde im Laufe der amerikanischen Geschichte immer wieder aus unterschiedlichsten Gründen angewandt. Die Präsidenten George Washington und John Adams nutzten ihn als Reaktion auf frühe Aufstände gegen die Bundesgewalt. Präsident Abraham Lincoln berief sich zu Beginn des Bürgerkriegs darauf, und Präsident Ulysses Grant nutzte ihn, um in den 1870er Jahren den Ku-Klux-Klan zu bekämpfen.
Mehrere andere Präsidenten, darunter Andrew Jackson, Rutherford Hayes und Grover Cleveland, entsandten auf Grundlage des «Insurrection Act» Truppen, um bei Arbeitskonflikten zu intervenieren – stets auf der Seite der Arbeitgeber. Am bekanntesten ist, dass die Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Lyndon B. Johnson den «Insurrection Act» während der Bürgerrechtsbewegung anwandten, um Anordnungen von Bundesgerichten zur Aufhebung der Rassentrennung an Schulen und anderen Einrichtungen im Süden durchzusetzen.
Trump erwägt Anwendung von «Aufstandsgesetz» für Portland
STORY: US-Präsident Donald Trump hat die Lage in Portland im US-Bundesstaat Oregon in einem Interview mit dem Sender Newsmax am Montag als «Aufstand» bezeichnet. Damit begründete er die von ihm geplante Entsendung der Nationalgarde in die Stadt. Belege für seine Behauptung legte er am Montag nicht vor. Zuvor hatte Trump Journalisten in Washington erklärt, er erwäge die Anwendung eines Aufstandsgesetzes aus dem Jahr 1792. Dieses würde es dem Militär erlauben, direkt Aufgaben der zivilen Strafverfolgung zu übernehmen. Eine Bundesrichterin im US-Bundesstaat Oregon hatte am Sonntagabend (Ortszeit) die von US-Präsident Donald Trump angeordnete Verlegung von 200 kalifornischen Nationalgardisten nach Portland bereits zum zweiten Mal vorerst blockiert. Die von Trump in seiner ersten Amtszeit ernannte Richterin Karin Immergut hatte die einstweiligen Verfügungen gegen die Verlegung der Nationalgardisten damit begründet, dass Trumps Entscheidung «schlichtweg jeder sachlichen Grundlage» entbehre. Es gebe keine Beweise dafür, dass die jüngsten Proteste in Portland das Ausmass eines Aufstands oder einer Rebellion erreichten. Die Annahme der Regierungsargumente würde bedeuten, dass der Präsident «praktisch überall und jederzeit Militär entsenden» könne, warnte Immergut. Dies riskiere eine Verwischung der Grenze zwischen ziviler und militärischer Bundesgewalt «zum Schaden der Nation». Beide Verfügungen gelten zunächst bis zum 18. Oktober. Die Trump-Regierung kündigte an, Berufung einzulegen.