«Krise, Notfallsituation, Wendepunkt» Trump wütet – jetzt warnt ein Experte 

Samuel Walder

4.3.2025

Gespräche unter Zeitdruck: Sondierungen gehen weiter

Gespräche unter Zeitdruck: Sondierungen gehen weiter

Berlin, 03.03.2025: Sondierungsgespräche unter Zeitdruck: Deutschland muss in Anbetracht der volatilen Weltlage schleunigst eine neue Regierung bilden. Die Verhandlungen zwischen Union und SPD, die am Montag weitergehen, stehen unter dem Eindruck der Eskalation im Weissen Haus: US-Präsident Donald Trump hatte dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Freitagabend gedroht, die Ukraine im Kampf gegen Russland im Stich zu lassen. Im Blick stehen bei den politischen Gesprächen in Berlin deshalb auch Schritte, kurzfristig frische Milliarden zu mobilisieren – für die Bundeswehr, Europas Unabhängigkeit von den USA und eine womöglich noch stärkere Unterstützung der Ukraine. Im Gespräch ist ein neues und grösseres schuldenfinanziertes Sondervermögen. Einer Reform der Schuldenbremse hatte CDU-Chef Friedrich Merz eine klare Absage erteilt.

04.03.2025

Trump wütet, Europa bereitet sich aufs Schlimmste vor und Selenskyj hat keinen Anzug an. Das Wochenende hatte es in sich. Aber wie ist die Lage wirklich? Ein Experte erklärt. 

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach dem Eklat im Weissen Haus beraten europäische Staaten über neue Verteidigungsstrategien, während Frankreich und Grossbritannien ihre Nuklearwaffen bereithalten.
  • Diplomatie-Historiker Fintan Hoey sieht eine potenzielle Auflösung der transatlantischen Allianz und warnt vor den unberechenbaren Folgen von Trumps Politik.
  • Angesichts der Unsicherheit über die NATO diskutieren EU-Staaten und Kanada über eine militärische Eigenständigkeit – die Schweiz hält an ihrer Neutralität fest.

US-Präsident Donald Trump ist seit mehr als einem Monat im Amt. Seine Politik ähnelt dem Abbruch eines Hochhauses: Mit einer Abrisskugel alles niederschmettern und dann ein neues Haus bauen. Innert eines Monats hat Trump mehr Veränderungen durchgesetzt als kein US-Präsident zuvor.

Am Wochenende kam es dann zum Knall. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird im Weissen Haus beleidigt, Frankreich und Grossbritannien wollen Atomwaffen zur Bereitschaft stellen und Europa tüftelt an einer neuen Verteidigungsstrategie. 

Ein historischer Moment in der Weltpolitik

Diplomatie-Historiker und Professor an der Franklin Universität Schweiz, Fintan Hoey, ordnet für blue News die Geschehnisse ein.

Kurz gesagt: «Es ist eine Krise, eine Notfallsituation, ein Wendepunkt.» Das, was gerade geschieht, sei ein historischer Moment. «Es ist schwierig, zu sagen, wie weit Trump geht. Es kann aber durchaus passieren, dass wir bald das Ende der interkontinentalen Allianz miterleben», erklärt Hoey. 

Donald Trump verkündet jeden Tag neue Änderungen. Jetzt müsse Europa reagieren, wie ein Experte sagt.
Donald Trump verkündet jeden Tag neue Änderungen. Jetzt müsse Europa reagieren, wie ein Experte sagt.
Bild: Keystone

Die Allianz besteht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und wurde eigentlich dazu aufgebaut, um den Frieden auf der Welt zu erhalten. Das, was Trump nun macht, ist das, was in der ersten präsidialen Periode von Trump alle fürchteten. Damals habe er eine Administration gehabt, die eingreifen konnte und ein Gegensteuer bot. Heute sei das anders.

Die Gegner sollen die Orientierung verlieren

Das Ganze sei eine Strategie von Trump, erklärt Hoey: «Es macht es schwer, sich eine Meinung zu bilden, denn es passieren so viele Dinge auf einmal.» Trump verkünde jeden Tag einen neuen Knall. «Das ist eine Strategie, schnell und hart einzusteigen, damit die Gegner allenfalls die Orientierung verlieren», sagt Hoey.

Es sei richtig, dass Europa zusammensitzt und Lösungen diskutiert. «Es ist fast schon historisch, dass die USA bei den Diskussionen in London gefehlt haben», sagt Hoey. Es sei zwar richtig, dass Europa an einer neuen Verteidigungsstrategie feilt, aber es stehen viele Fragen offen. 

«Die Frage ist, ob man das ohne die USA schaffen kann. Die USA waren immer ein wichtiger Partner bei militärischen Angelegenheiten, wie zum Beispiel bei der Nato.» Denn die USA haben die stärkste Streitkraft in Vergleich zu anderen Staaten in Europa. «Frankreich und Grossbritannien haben auch nukleare Waffen. Das steht aber nicht im Verhältnis zur nuklearen Streitkraft der USA», erklärt Hoey.

Neue militärische Streitkraft in Europa?

Es müsse jetzt etwas passieren. «Die anderen Staatschefs fühlen sich gezwungen, schnell zu reagieren. Es wäre schlimmer, wenn sie nicht zusammensitzen würden oder die Ukraine hängen lassen würden», sagt Hoey. Die Fragen, die jetzt in Europa geklärt werden müssen: «Haben Europa und Kanada die Kapazität, die Sicherheit und eine Streitkraft in Europa zu gewährleisten – und das ohne die USA.»

Es sei gut möglich, dass die Nato nach aussen weggelassen wird und eine ganz neue Allianz in Europa gebildet würde. Denn das Vertrauen in Europa gegenüber Donald Trump habe an diesem Wochenende gelitten.

Deswegen brauche es genau jetzt ein Signal in Richtung Kiew und Moskau. «Die europäischen Staatschefs sollten jetzt eine Warnung aussprechen. Mit einem rein europäischen Militär könnte das Gelingen, quasi ‹versuchen es nicht, weil wir können und werden uns wehren›», sagt Hoey.

Neutralität in der Schweiz immer noch sehr hohe Wichtigkeit

Doch welche Rolle spielt die Schweiz in der ganzen Weltpolitik? Etwa die gleiche wie vor 80 Jahren? «Ich glaube nicht, dass die Schweiz, wenn es hart auf hart kommt, etwas an ihrer Aussenpolitik ändern würde», erklärt Hoey. Die Neutralität sei immer noch sehr hoch geschrieben.

Die Schweiz verfolge zwar ein gutes Verhältnis mit den USA und wende sich lieber von der EU ab. «Dennoch würde die Schweiz neutral bleiben. So wie während und nach dem Zweiten Weltkrieg.»

Dennoch ist Hoey überzeugt: «Die Schweiz muss auf jeden Fall hinschauen und immer wieder die Situation neu einschätzen. Wir sind heute sicher in einer schwierigeren Zeit als noch vor einer Woche.» 

Es sei aber noch zu früh, um genaue Analysen zu machen. «Es fehlt an Fakten. Im Moment wird viel diskutiert, und das ist auch wichtig», sagt Hoey. Doch es sei nicht möglich, klare Vorhersagen zu machen. Vor allem, wenn man bedenke, wie schnell und unvorhersehbar Trump agiere.