Syrien-Konflikt Trump: «Kurden haben uns nicht in der Normandie geholfen»

Agenturen

10.10.2019 - 02:30

Mit einem äusserst gewagten historischen Vergleich verteidigt US-Präsident Trump den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien. Mehrere Menschen sollen dort bereits gestorben sein, Tausende sind auf der Flucht.

Mit einem seltsamen historischen Vergleich hat US-Präsident Donald Trump den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien verteidigt: Die jetzt von einer türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schliesslich nicht im Zweiten Weltkrieg unterstützt. «Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns beispielsweise nicht mit der Normandie geholfen», sagte Trump am Mittwoch in Washington. Die Kurden würden vielmehr für «ihr Land» kämpfen.

Der US-Präsident verwies bei seiner Argumentation auf einen «sehr, sehr starken Artikel» vom Mittwoch. Offenbar meinte Trump damit einen Kommentar auf der konservativen Website Townhall, in dem seine Entscheidung zum Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien verteidigt wurde.

Die USA hätten den Kurden bereits viel Unterstützung zukommen lassen, führte Trump aus. «Wir haben enorme Geldbeträge ausgegeben, um den Kurden zu helfen, mit Munition, mit Waffen, mit Geld, mit Sold.» Zugleich betonte Trump: «Wir mögen die Kurden».

Flucht Tausender Menschen

Die Offensive türkischer Truppen auf Kurdengebiete in Nordsyrien hat nach Augenzeugenberichten die Flucht Tausender Menschen ausgelöst. Massen von Zivilisten würden die Stadt Tel Abyad, die auf der syrischen Seite der Grenze genau gegenüber der türkischen Stadt Akcakale liegt, verlassen, sagte ein Zeuge am Telefon.

Tausende Menschen fliehen am Mittwoch vor der türkischen Offensive in Nordsyrien aus der unmittelbar an der Landesgrenze gelegenen Stadt Ras al Ain.
Tausende Menschen fliehen am Mittwoch vor der türkischen Offensive in Nordsyrien aus der unmittelbar an der Landesgrenze gelegenen Stadt Ras al Ain.
Bild: AP Photo

Von Akcakale aus sahen Reuters-Journalisten Einschläge in Tel Abyad. Mehrfach wurden Raketen von türkischer Seite aus auf die Stadt oder deren Umgebung abgeschossen. Per Tweet teilte der Sprecher der von Kurden dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit, ein Bodenangriff der türkischen Armee sei abgewehrt worden.

Auch aus der ebenfalls unmittelbar an der Landesgrenze gelegenen Stadt Ras al Ain flohen Tausende Menschen. Nach SDF-Angaben wurden bei Luftangriffen mindestens fünf Zivilisten und drei SDF-Kämpfer getötet, Dutzende Menschen seien verletzt worden.

Am Nachmittag und Abend waren die türkischen Streitkräfte mit Luftangriffen und Artilleriefeuer zunächst vor allem an zwei Standorten vorgegangen: Tall Abjad und Ras al-Ain. Ras al-Ain liegt gegenüber dem türkischen Ort Ceylanpinar in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa.

Mindestens 15 Tote

In den ersten Stunden der Angriffe, die um 16 Uhr Ortszeit begannen, seien mindestens 15 Menschen getötet worden, sagten Aktivisten. Unter den acht zivilen Opfern seien auch zwei Kinder, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Ankara vom Mittwoch hat die Armee insgesamt 181 militärische Ziele angegriffen. Die Attacken richteten sich vor allem gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die die Türkei als terroristisch einstuft.

Ein hochrangiges Mitglied der YPG räumte gegenüber Reuters die militärische Unterlegenheit ein. «Die YPG hat keine schweren Waffen, die nützlich gegen türkische Panzer oder Kampfjets sein könnten», sagte der Mann, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Die Arabische Liga hat für Samstag auf ägyptischen Wunsch einen Krisengipfel einberufen. Das Aussenministerium in Kairo hatte die Türksiche Aggression «in allerschärfster Form» verurteilt. Liga-Sekretär Hossam Zaki erklärte, die türkische Intervention sei ein unannehmbarer Angriff auf ein Mitglied der Vereinigung.

Vorhaltungen aus der eigenen Partei

Zu Vorhaltungen aus der eigenen Partei, einige inhaftierte Kämpfer des islamischen Staats (IS) könnten im Chaos der türkischen Angriffe entkommen und woanders eine Bedrohung darstellen, spielte Trump eine Gefahr für die USA herunter. «Nun, sie werden nach Europa fliehen. Dort wollen sie hin», sagte er am Mittwoch.

Senator Lindsey Graham – einer der engsten Vertrauten von Trump im Kongress und Republikaner wie er – hatte den Präsidenten offen kritisiert: «Dies ist die Mentalität vor dem 11. September, die den Weg für den 11. September ebnete: Was in Afghanistan passiert, geht uns nichts an. Wenn er damit weitermacht, ist dies der grösste Fehler seiner Präsidentschaft», sagte Graham dem Sender «Fox News» mit Blick auf die Angriffe von Islamisten in den USA mit vier gekaperten Flugzeugen im Jahr 2001.

Der US-Präsident drohte dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit ökonomischen Konsequenzen, sollte dieser in Syrien nicht «so human wie möglich» vorgehen. Auf die Frage eines Reporters, ob er besorgt sei, dass Erdogan die Kurden «auslöschen» könnte, antwortete Trump: «Wenn das passiert, werde ich seine Wirtschaft auslöschen.»

Wegen der Offensive wollen Senatoren im US-Kongress Erdogan persönlich mit Sanktionen belegen. Das geht aus dem Entwurf für eine parteiübergreifende Resolution von Graham und dem Demokraten Chris Van Hollen hervor, den die beiden Senatoren am Mittwoch (Ortszeit) auf Twitter veröffentlichten. Der Entwurf sieht vor, dass etwaiger Besitz Erdogans, des türkischen Vizepräsidenten und von fünf Ministern in den USA eingefroren würde. Ausserdem würden Visabestimmungen für die politische Führung des Landes verschärft.

Die EU-Staaten forderten die Türkei am Mittwochabend in einer gemeinsamen Erklärung zum Abbruch der Operation auf. In einer gemeinsamen Erklärung hiess es: «Erneute bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten werden die Stabilität in der ganzen Region weiter untergraben, das Leiden der Zivilisten verschlimmern und zusätzliche Vertreibungen provozieren.» Die Türkei gefährde zudem die Erfolge der internationalen Koalition gegen die IS-Miliz.

Trump teilte mit: «Die Vereinigten Staaten befürworten diesen Angriff nicht und haben der Türkei deutlich gemacht, dass diese Operation eine schlechte Idee ist.»

Möglich wurde die Offensive der Türkei durch den von Trump angeordneten Abzug von US-Soldaten aus der Region. Die YPG-Miliz war ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den (IS.

USA übernehmen IS-Kämpfer von Kurdenmilizen

Das US-Militär hat angesichts des türkischen Einmarschs in Nordsyrien mehrere IS-Kämpfer aus den Händen der Kurdenmilizen übernommen. Darunter seien die für ihre Brutalität berüchtigten Briten Alexanda Kotey und El Schafi Elscheich, die in den Irak gebracht werden sollten, berichteten die «Washington Post» und die «New York Times» am Mittwochabend (Ortszeit). Die beiden sollen an der Enthauptung von Geiseln beteiligt gewesen sein und zu einer IS-Zelle gehört haben, die wegen ihrer Herkunft und ihres britischen Akzents auch «The Beatles» genannt wurde.

Kotey und Elscheich waren nach Angaben des US-Militärs im Januar vergangenen Jahres gefangen genommen worden. Sie wurden danach den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) übergeben, einem US-Verbündeten. Das US-Verteidigungsministerium bestätigte am Mittwoch, amerikanische Soldaten hätten zwei von syrischen Kurden inhaftierte IS-Kämpfer ausser Landes gebracht. Die US-Regierung reagierte damit auf Sorgen, inhaftierte IS-Kämpfer könnten angesichts der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien entkommen.

Bislang wurden gefangene IS-Kämpfer in Nordsyrien von SDF-Kräften bewacht, die sich nun aber auf den Kampf gegen die türkischen Streitkräfte konzentrieren dürften. 

Zurück zur Startseite