«Werden grosse Probleme haben» Wie Trumps Zölle die ukrainische Stahlindustrie zittern lassen

Von Samya Kullab, AP

17.2.2025 - 23:09

President Donald Trump points to a reporter and India's Prime Minister Narendra Modi during a news conference in the East Room of the White House, Thursday, Feb. 13, 2025, in Washington. (
President Donald Trump points to a reporter and India's Prime Minister Narendra Modi during a news conference in the East Room of the White House, Thursday, Feb. 13, 2025, in Washington. (
Keystone/AP Photo/Ben Curtis

Im Werk Saporischstal wird trotz des russischen Angriffskriegs weiter produziert. Ausgerechnet der bislang wichtigste Verbündete könnte die Lage für die ukrainische Stahlindustrie weiter verschlimmern.

DPA, Von Samya Kullab, AP

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach knapp drei Jahren Krieg üben sich ukrainische Stahlwerke in Durchhalteparolen.
  • Besonders im Werk Saporischstal werden die Probleme deutlich – erst recht nach der Ankündigung neuer Zölle von US-Präsident Donald Trump.
  • Doch nicht nur in der Ukraine drohen Stahlunternehmen neue Herausforderungen. Trumps Pläne gefährden auch anderswo ihr Geschäft.

Das Stahlwerk Saporischstal in der Ukraine ist ein dystopisches Labyrinth – gross genug, um eine kleine Stadt zu sein. Funken donnern aus den offenen Öfen, in denen Arbeiter Tag und Nacht Eisenerz zu Metall umschmelzen.

Das Werk liegt in der teilweise von Russland besetzten Region Saporischschja im industriell geprägten Osten des Landes. Es ist eines der grössten Stahlwerke der Ukraine – und läuft jederzeit Gefahr, von russischen Angriffen zum Stillstand gebracht zu werden. An der nur 40 Kilometer entfernten Frontlinie wird täglich gekämpft, während hier Materialien für die Rüstungsindustrie, aber auch für ausländische Hersteller von Autos und Haushaltsgeräten sowie das Bauwesen produziert werden.

«Die Moral ist nicht mehr so hoch wie früher. Wir sind hier ziemlich müde», sagt Werksleiter Serhij Schywotschenko. «Aber es gibt keinen Weg zurück. Der einzige Weg ist vorwärts.»

Trumps Ankündigung würde Stahlindustrie stark schwächen

Seit einiger Zeit ist der riesige Fabrikkomplex gewissermassen mit einer zweiten Front konfrontiert: dem möglichen Handelskrieg, den US-Präsident Donald Trump seit seinem Amtsantritt im Januar heraufbeschwört. In der vergangenen Woche kündigte der Republikaner Zölle in Höhe von mindestens 25 Prozent auf Stahl- und Aluminiumimporte in die USA an. Die Entscheidung könnte einen wichtigen Sektor der angeschlagenen Wirtschaft der Ukraine schädigen.

Vertreter der Regierung in Kiew und Wirtschaftsführer zeigten sich schockiert von Trumps Dekret vom 10. Februar, das auch die gewachsene Unsicherheit im Verhältnis des Landes zu seinem bislang wichtigsten Verbündeten im Abwehrkampf gegen Russland unterstrich. Trump sagt, er wolle mit einem Arsenal an Zöllen gleiche Wettbewerbsbedingungen im Welthandel schaffen und US-Produktionsstätten konkurrenzfähiger machen.

Der Anteil der Stahlindustrie an der Wirtschaftskraft der Ukraine ist seit der russischen Invasion im Februar 2022 um fast die Hälfte zurückgegangen. Die Stahlexporte liegen weit unter dem Vorkriegsniveau, was auch daran liegt, dass Russland einige Werke erobert hat.

Der ukrainische Stahlverband sagt, wenn die US-Importzölle wie geplant am 12. März in Kraft treten, werde das die geschwächte Industrie jährlich 2,4 Milliarden Hrywnja (mehr als 52 Millionen Franken) an Einnahmen und die Regierung eine Milliarde Hrywnja (rund 22 Millionen Franken) an Steuern kosten.

Trump spricht mit Putin – und lässt Ukraine zweifeln

Und es ist nicht die einzige Massnahme aus Washington, die in Kiew in der vergangenen Woche die Alarmglocken schrillen liess: Mit einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin durchbrach Trump die Isolation des Kremlchefs, um die sich sein Amtsvorgänger Joe Biden und andere westliche Staats- und Regierungschefs seit dem Überfall auf die Ukraine so bemüht hatten.

Er werde Putin wahrscheinlich in der nahen Zukunft persönlich treffen, sagte Trump. Er verstärkte damit die Sorge, dass Kiew von möglichen Friedensgesprächen ausgeschlossen und seine Interessen übergangen werden könnten.

Äusserungen Trumps und seines Verteidigungsministers Pete Hegseth, der bei einem Besuch in Brüssel eine künftige Nato-Mitgliedschaft der Ukraine unrealistisch nannte, verstärkten den Eindruck dass die Ukraine nicht länger auf die USA zählen kann.

Jüngst hatte Trump angedeutet, dass er Zugang zu den seltenen Erden der Ukraine erhalten wolle, um ihr weiter militärische Unterstützung zu gewähren.

Stahlwerke ächzen unter Personalmangel

Im Saporischstal-Werk nähert sich Schywotschenko der riesigen Mündung eines Hochofens. Ein Sauerstoffstoss steigert die Hitze auf fast 2000 Grad Celsius. Arbeiter in Schutzkleidung lenken den leuchtenden Strom des flüssigen Stahls.

Für Schywotschenko und andere Stahlarbeiter geht es seit dem Einmarsch der russischen Truppen im Grunde darum, aus weniger mehr zu machen. Der Komplex arbeitet auf 75 Prozent seiner Kapazität und mit zwölf Prozent weniger Personal. Viele Arbeiter wurden entweder zum Militärdienst eingezogen oder haben das Land verlassen, wie der Konzern Metinvest berichtet, dem das Stahlwerk gehört.

Ein Arbeiter schuftet im Stahlwerk Saporischstal.
Ein Arbeiter schuftet im Stahlwerk Saporischstal.
Bild: AP Photo/Efrem Lukatsky

Metinvest verlor die Kontrolle über zwei andere Stahlwerke, als russische Truppen nach einer monatelangen Belagerung im Jahr 2022 die Stadt Mariupol einnahmen. Und zuletzt kosteten Vorstösse des russischen Militärs den Konzern auch ein wichtiges Kohlebergwerk in der Region Donezk.

Experten befürchten negativen Dominoeffekt

Als die Truppen vorrückten, brach Metinvest in der Mine Pokrowsk den Betrieb ab und evakuierte die Arbeiter. Koks ist ein wichtiger Baustein in der Stahlproduktion. Um Saporischstal am Laufen zu halten, muss Metinvest eine Million Tonnen des Brennstoffs pro Jahr aus Europa und den USA importieren, wie Fabrikmanager Taras Schewtschenko sagt.

Der anhaltende Krieg hat bereits andere Herausforderungen mit sich gebracht, etwa steigende Energiekosten durch die russischen Attacken auf das ukrainische Stromnetz. Blockaden und Bomben haben Handelsrouten gestört. Die komplexe Exportlogistik erforderte, dass Metinvest seinen Fokus von der Versorgung Asiens und des Nahen Ostens auf die Suche nach Kunden in Europa verlagerte. Es sei ein schmerzhafter Prozess gewesen, sagt Schewtschenko.

Zudem besteht die Sorge, dass die US-Stahlzölle unerwünschte Nebeneffekte zeitigen – etwa dass europäische Länder Einfuhrzölle auf ukrainische Produkte erheben, um neue Steuern auf ihre Waren auszugleichen, wie es bei Metinvest heisst.

Metinvest-Boss besorgt: «Werden grosse Probleme haben»

Oleksandr Myronenko, Chief Operating Officer der Metinvest Group, sagt, Europa sei das Ziel von etwa 80 Prozent der Exportprodukte seines Unternehmens. Der Konzern unterhält auch ein Werk in Bulgarien, das Stahlprodukte für die Bauindustrie in die USA exportiert.

Auch diese könnten von den Zöllen betroffen sein – und die Nachfrage könne schrumpfen, sagt Myronenko. «Wir werden in der bulgarischen Fabrik sehr grosse Probleme haben.» Die Fabrikarbeiter hofften in dieser Phase der Unsicherheit auf das Beste, sagt er.

«Wir können müde sein, wir können angespannt sein, wir können alles sein», sagt Myronenko. «Aber wir müssen durchhalten und arbeiten.«