Wahl ohne Chance? Türken wählen ihren Präsidenten neu: Fünf gegen Erdogan

Ulrich von Schwerin, afp / dpa

4.5.2018

Die türkische Opposition schickt bei der Präsidentschaftswahl am 24. Juni fünf Kandidaten ins Rennen gegen den islamisch-konservativen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan.

 Auch wenn es nach mehr als 15 Jahren mit Erdogan als Minister- oder Staatspräsident viele Türken gibt, die einen Politikwechsel wünschen: Der mit Abstand aussichtsreichste Kandidat für das höchste Amt im Staat ist immer noch Erdogan selbst. Dass es trotz intensiver Gespräche den Oppositionsparteien nicht gelang, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, könnte ihm in die Karten spielen.

Aber sollte Erdogan in der ersten Wahlrunde keine absolute Mehrheit erhalten, könnte sich die Opposition in der Stichwahl noch hinter dem stärksten Gegenkandidaten zusammenschliessen. Ein Überblick über die Herausforderer des Amtsinhabers.

Recep Tayyip Erdogan

Der ebenso charismatische wie umstrittene Politiker regiert die Türkei seit 15 Jahren. 2003 wurde er erstmals zum Regierungschef gewählt, 2014 übernahm er dann das Präsidentenamt. Unter der Regierung seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hat das Land einen beispiellosen Wirtschaftsboom erlebt, doch hat der 64-Jährige die türkische Gesellschaft mit seinem zunehmend autoritären und repressiven Kurs tief gespalten.

Für die Wahl ist Erdogan ein Bündnis mit der ultrarechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) des 70-jährigen Devlet Bahceli eingegangen, mit dem er seit dem Putschversuch von Juli 2016 kooperiert. Das Wahlbündnis soll der durch die Abspaltung der IYI-Partei geschwächten MHP den Einzug ins Parlament erlauben und Erdogan eine absolute Mehrheit in der ersten Runde der Präsidentenwahl sichern.

Muharrem Ince

Die traditionsreiche, linksnationalistische Republikanische Volkspartei (CHP) hat sich nach langen Beratungen auf Muharrem Ince als ihren Kandidaten geeinigt. Der Abgeordnete aus Yalova, der am Freitag seinen 54. Geburtstag feierte, gilt als feuriger Redner. Der langjährige Fraktionsvize hatte im September 2014 und erneut im Januar den CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu herausgefordert, war ihm aber im Kampf um den Parteivorsitz unterlegen.

Trotz ihrer Rivalität liess Kilicdaroglu ihm nun den Vortritt als Präsidentschaftskandidat. Der frühere Physiklehrer Ince gilt in der Partei als Verfechter eines streng kemalistischen Kurses. Als Abgeordneter machte er sich einen Namen durch scharfe Kritik an Erdogan. In der Diskussion um die Aufstellung von Ex-Präsident Abdullah Gül als Oppositionskandidat sagte Ince aber, er würde eher für Erdogan als für Gül stimmen.

Meral Aksener

Die frühere Innenministerin hatte die ultrarechte MHP 2016 im Streit verlassen und im vergangenen Oktober mit anderen Dissidenten die IYI-Partei (Gute Partei) gegründet. Im Fall ihrer Wahl will Aksener den Wechsel zum Präsidialsystem rückgängig machen und inhaftierte Journalisten freilassen. Der 61-Jährigen wird zugetraut, Stimmen nationalistischer Wähler aus verschiedenen Lagern zu gewinnen.

Für die meisten Kurden ist die nationalistische Hardlinerin dagegen nicht wählbar, da sie die Kurden bis heute nicht als eigenständige Volksgruppe anerkennt. Im Ausland wird Aksener oft mit der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen verglichen. Zwar ist sie mit anderen Oppositionsparteien ein Wahlbündnis eingegangen, hat es aber abgelehnt, Ex-Präsident Gül als gemeinsamen Kandidaten aufzustellen.

Die «Wölfin» Meral Aksener ist Erdogans gefährlichste Gegenkandidatin

Selahattin Demirtas

Der charismatische Kurdenpolitiker tritt für die Demokratische Partei der Völker (HDP) an, obwohl er seit eineinhalb Jahren im Gefängnis sitzt. Bei der Präsidentschaftswahl im August 2014 war ihm ein Achtungserfolg gegen Erdogan gelungen, und im Juni 2015 hatte der 45-Jährige seine HDP erstmals ins Parlament geführt. Dies kostete die AKP die Mehrheit und brachte Demirtas die bleibende Feindschaft Erdogans ein.

Im November 2016 wurden Demirtas und andere Abgeordneten unter dem Vorwurf festgenommen, der verbotenen PKK-Guerilla nahezustehen. Heute ist die HDP durch die Inhaftierung tausender Funktionäre und Mitglieder geschwächt und politisch marginalisiert. Die AKP diffamiert die prokurdische Partei regelmässig als Terrorunterstützer, während andere Oppositionsparteien die Kooperation scheuen.

Andere Kandidaten

Die kleine linksnationalistische Vatan-Partei schickt ihren Chef Dogu Pirencek ins Rennen. Für die kleine proislamische Saadet-Partei tritt ihr Vorsitzender Temel Karamollaoglu an, nachdem es ihm nicht gelungen war, Ex-Präsident Abdullah Gül als Kandidaten zu gewinnen. Saadet steht in der politischen Tradition der Milli Görüs Bewegung von Necmettin Erbakan und ist ein Gegner der Westbindung der Türkei.

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