Krisengewinner und -Verlierer Wie westliche Staatschefs vom Krieg in der Ukraine auch profitieren

Von Christina Storz, Can Merey, Michael Evers, Benedikt von Imhoff und Theresa Münch, dpa

2.4.2022 - 13:27

Der französische Präsident Emmanuel Macron trifft vor der russischen Invasion am 7. Februar 2022 den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau. 
Der französische Präsident Emmanuel Macron trifft vor der russischen Invasion am 7. Februar 2022 den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau. 
KEYSTONE

Der Krieg in der Ukraine verursacht grosses Leid im Land und für Sorgenfalten rund um den Globus. Während die Krise für manche Staatenführer zum grossen Problem werden, kommt sie für andere wie gerufen. 

DPA, Von Christina Storz, Can Merey, Michael Evers, Benedikt von Imhoff und Theresa Münch, dpa

Die Welt schaut seit Wochen auf den erbitterten Krieg in der Ukraine. Innenpolitische Themen werden überlagert. Der ein oder andere angeschlagene Regierungschef im Westen könnte davon sogar profitieren. Doch wie lange?

Partygate? Da war doch was

Es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Uhr für Boris Johnson in der Downing Street abgelaufen ist. Selbst mehrere konservative Parteifreunde forderten den britischen Premierminister wegen der «Partygate»-Affäre zum Rücktritt auf. Ein interner Bericht sprach von Führungsversagen. Und dann herrschte plötzlich Stille. Wochenlang spielte der Skandal um Lockdown-Partys keine Rolle in der Öffentlichkeit mehr. Selbst die ersten Geldstrafen für Partygäste entfachten den Sturm der Entrüstung nicht neu. Aus Sicht von Experten hat der russische Angriffskrieg die Aufmerksamkeit abgelenkt.

«In diesen Zeiten lässt der Widerstand sowohl der Medien als auch anderer politischer Parteien nach, aus Angst, während einer internationalen Krise als unpatriotisch gegenüber dem Premierminister zu gelten», sagte der Politologe Matthew Flinders. Auch kritische Tories sammeln sich nun wieder hinter Johnson.

Doch die Gefahr für Johnson ist nicht gebannt. Die Polizeiermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Müsste der Premier wegen Verstössen gegen seine eigenen Corona-Regeln eine Geldstrafe zahlen, würde dies bedeuten, dass er das Parlament belogen hat. Anfang Mai stehen zudem wichtige Kommunalwahlen an. Eine herbe Niederlage der Tories würde Johnson persönlich angekreidet.

Kriegseffekt zieht nicht überall

In Krisenzeiten wächst die Unterstützung für die politische Führung häufig, in den USA nennt man das den «Rally Around The Flag»-Effekt – er beschreibt, dass sich die Menschen sinnbildlich um die Flagge scharen. US-Präsident Joe Biden kann davon bislang allerdings nicht profitieren. Bei den Statistikern der Webseite FiveThirtyEight – die verschiedene Umfrage gewichten und zusammenführen – zeigen sich mehr als 53 Prozent unzufrieden mit Bidens Leistung als Präsident. Nur etwas mehr als 41 Prozent sind zufrieden. Schlechtere Werte hatte zu diesem Punkt in seiner Amtszeit nur ein einziger US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich Biden-Vorgänger Donald Trump.

Biden muss das zunehmend alarmieren, schliesslich stehen im November die Kongresswahlen an. Seine Demokraten könnten im Repräsentantenhaus und womöglich auch im Senat ihre knappen Mehrheiten an Trumps Republikaner verlieren. Dabei bemüht sich Biden, in der Krise um den russischen Einmarsch in die Ukraine eine Führungsrolle unter den westlichen Staaten einzunehmen. Europäische Politiker loben Biden dafür, den Westen angesichts der Bedrohung geeint zu haben. Beim Wähler in den USA punktet er damit aber weniger. In einer Umfrage des Senders NBC gaben kürzlich nur 28 Prozent an, sie hätten sehr oder ziemlich viel Vertrauen, dass Biden die Krise bewältigen kann.

Macron vor Wahl im Spotlight

In einer Woche beginnt in Frankreich die Präsidentschaftswahl, und in drei Wochen gibt es dann in einer Stichwahl die Entscheidung. Lange dominierten rechte Stimmen den Wahlkampf. Doch dann kam der Krieg. In den Wahlumfragen erlebte Staatschef Emmanuel Macron, der sich als Krisendiplomat präsentiert, einen Auftrieb. Als Staatschef, der sein Land in der Krise mit Umsicht lenkt und auf internationalem Parkett um eine Lösung ringt, erhielt er viel Vertrauen von den Franzosen. Ein Foto von ihm und Kremlchef Wladimir Putin am überlangen Verhandlungstisch in Moskau füllte viele Titelseiten.

Allerdings bröckeln seine Umfragewerte inzwischen wieder, denn je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto mehr rücken für die Menschen in Frankreich die Folgen des Konflikts in den Mittelpunkt. Absolutes Topthema im Wahlkampf ist inzwischen die Kaufkraft. Ganze Berufsgruppen klagen, dass die hohen Benzinpreise ihnen den Garaus machen und Macron sieht sich bei Wahlkampfauftritten auf Marktplätzen verzweifelten Menschen gegenüber, die über gestiegene Preise beim Einkaufen klagen.

Dazu kommt, dass Macrons Bemühungen im Ukraine-Krieg bislang ohne grosses Resultat geblieben sind und seine regelmässigen Telefonate mit dem Kremlchef inzwischen von manchem auch kritisch gesehen werden.

Auf und Ab bei deutscher Regierung

Vor dem Krieg in der Ukraine hatte die deutsche Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Scholz mit Startschwierigkeiten zu kämpfen: Die Nachwahl-Euphorie war schnell verflogen, in der Corona-Politik lief es nicht rund, bei vielen Menschen stellte sich Ernüchterung ein. In Umfragen war nur noch ein Drittel der Befragten zufrieden mit der Koalition. Seit Kriegsbeginn läuft es für das Bündnis zwischen SPD, Grünen und FDP tendenziell wieder besser.

Dennoch hinterlässt Scholz' Regierung im Ukraine-Krieg ein ziemlich gespaltenes Bild: Mal wirkt sie zögerlich und bei internationalen Sanktionen als Bremser, mal zupackend, etwa als der Kanzler eine Zeitenwende mit Waffenlieferungen und immensen Rüstungsinvestitionen verkündete.

Entsprechend fallen auch die Umfragen aus: Wenige Tage nach der Zeitenwende-Rede stiegen die Zufriedenheitswerte für die Bundesregierung allgemein und Scholz im Speziellen deutlich. Seitdem geht es für die Kanzlerpartei SPD aber auf und ab. Profitieren konnte eher eine andere: Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gewann deutlich an Profil. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wackelt dagegen enorm.