Ackerbau 20 Kilometer hinter der Front Ukrainische Landwirte müssen mitten im Krieg Getreide ernten

14.6.2022

Auf einem Feld wird mit einem Mähdrescher Roggen gedroschen. Weil Russland Seewege der Ukraine blockiert, können wichtige Getreidelieferungen nicht das Land verlassen.
Auf einem Feld wird mit einem Mähdrescher Roggen gedroschen. Weil Russland Seewege der Ukraine blockiert, können wichtige Getreidelieferungen nicht das Land verlassen.
Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Keine Transportmöglichkeiten, keine Käufer, kaum Ersatzteile – als ob das nicht genug Probleme wären, wütet 20 Kilometer entfernt der Krieg. Trotzdem geben Landwirtin Nadia Iwanowa und ihre Angestellten nicht auf.

Eigentlich rückt die Erntezeit näher, doch bisher sind russische Geschosse das Einzige, was die ukrainische Landwirtin Nadia Iwanowa auf ihren Feldern im Süden der Ukraine finden konnte. «Wir haben spät ausgesät, weil wir erst alles räumen mussten», sagt die 42-Jährige. Doch nicht nur der Beschuss und zurückgebliebene Kampfmittel sind eine Bedrohung – die Infrastruktur ist zerstört, lokale Märkte sind zusammengebrochen.

Als die russischen Truppen im März in Richtung Norden vorstiessen, nahmen sie den 4000 Hektar grossen Betrieb von Iwanowa unweit der Stadt Mykolajiw unter Beschuss. Zwar waren die einzigen Todesopfer der Kämpfe zwei Pfauen, die auf dem Hof lebten. Doch der Krieg hinterliess langfristige Schäden.

Zerstörte Bahnstrecken, verminte Wasserwege und Raketenbeschuss auf den Hafen in Mykolajiw bedeuten für Iwanowa und ihre 76 Angestellten, dass sie ihr Getreide nicht mehr verkaufen können. In Friedenszeiten produzierte der Betrieb jährlich mehr als 12'000 Tonnen Agrarerzeugnisse für den heimischen Markt, aber auch für den Export nach Europa, Afrika und China.

In der Ukraine sind die Getreidepreise eingebrochen

Dann kam der russische Angriff, der Transport wurde unmöglich. Nun lagern 2000 Tonnen Getreide in den Silos von Iwanowas Hof. Abnehmer gibt es keine. Der Preis für eine Tonne Getreide ist eingebrochen, aktuell beträgt er noch rund 100 Euro, weniger als ein Drittel des Betrags vor dem Krieg.

Auf dem Bauernhof verschärfen sich auch ganz alltägliche Probleme: Die Maschine zur Reinigung des Getreides ist defekt, doch Unterstützung von Versicherungen oder Banken ist unwahrscheinlich. 20 Kilometer entfernt wütet der Krieg. Kaum ein Techniker wagt es angesichts des ständig drohenden Beschusses, in der Gegend zu arbeiten.

Doch damit nicht genug: Die Preise für Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind explodiert, Motoröl kostet dreimal so viel wie vor dem Krieg - wenn es überhaupt erhältlich ist. Zu allem Überfluss droht in diesem Jahr eine Dürre.

Ackerbau trotz Gefahr von Beschuss

Aber Iwanowa will weitermachen, um jeden Preis. Wird die Ernte nicht eingefahren, drohen bei grosser Trockenheit Flächenbrände - durch die Kämpfe ist die Gefahr besonders gross.

Die Landwirtin hat sich der neuen Situation soweit wie möglich angepasst. «Wir haben die Senfpflanze, die eher früh geerntet wird, mit Sonnenblumen und Hirse ersetzt, die erst später kommen», sagt Iwanowa.

Auch ihr Mitarbeiter Oleksandr Chomenko ist zur Arbeit erschienen. Er sitzt auf einem roten Traktor und bereitet ein Feld für die Aussaat vor. «Ob wir Angst haben oder nicht, wir müssen zur Arbeit kommen», sagt er. «Ich habe eine Familie zu ernähren». So wie er kommen die meisten Mitarbeiter weiterhin zur Arbeit und werden bezahlt.

«Ich weiss nicht, wie lange ich das noch durchhalten kann», sagt Iwanowa. «Aber wenigstens wird es hier bei mir immer etwas zu essen geben.»

AFP, smi