USA Schlussplädoyers im Fall Floyd —  schwere Vorwürfe gegen Chauvin

dpa

19.4.2021 - 19:11

Ein Anschlag an einem Geschäft in Oakland erinnert an George Floyd.
Ein Anschlag an einem Geschäft in Oakland erinnert an George Floyd.
Helene Laube

Der Prozess gegen den Ex-Polizisten Chauvin steht vor dem Abschluss. Der Staatsanwalt macht ihn für den Tod des Afroamerikaners George Floyd verantwortlich. Entscheiden müssen nun die Geschworenen. Ihr Urteil könnte in den USA neue Proteste auslösen.

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Der weisse Ex-Polizist Derek Chauvin ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft für die Tötung des Afroamerikaners George Floyd verantwortlich und muss verurteilt werden. Dessen exzessive und erbarmungslose Gewaltanwendung habe Floyd umgebracht, sagte Staatsanwalt Steve Schleicher am Montag im Schlussplädoyer am Gericht in Minneapolis. Floyd habe Chauvin bis zu seinem letzten Atemzug gebeten, ihn atmen zu lassen, während dieser neun Minuten und 29 Sekunden erbarmungslos auf ihm gekniet habe. «Der Angeklagte hat nicht geholfen», betonte Schleicher an die Geschworenen gerichtet.

Chauvin habe viel mehr auf «schockierende» Weise gegen alle Richtlinien der Polizei zur zulässigen Gewaltanwendung verstossen. Sein Verhalten sei unverhältnismässig und gesetzeswidrig gewesen, sagte Schleicher weiter. Chauvin sei «weiter auf Floyd geblieben und drückte ihn mit seinem Knie zu Boden», selbst als dieser schon leblos war, sagte Schleicher. Floyd habe keinen Puls mehr gehabt, aber Chauvin habe ihn immer noch in den «unnachgiebigen» Asphalt gepresst.

Der Staatsanwalt betonte den Geschworenen gegenüber immer wieder, dass Floyds Überlebenskampf unter Chauvins Knie 9 Minuten und 29 Sekunden gedauert habe – und das obwohl Floyd nur wegen des Verdachts festgenommen worden sei, mit einem falschen 20-Dollar-Schein gezahlt zu haben. Schleicher erklärte, Floyd habe Chauvin in den ersten fünf Minuten 27 Mal gebeten, ihm Atmen zu lassen. Der Polizist habe dies gehört «aber alles, was er getan hat, war sich über ihn lustig zu machen», sagte Schleicher. Danach sei Floyd verstummt und bald leblos geworden, während Chauvin noch weitere vier Minuten auf ihm kniete.

Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden die Mitglieder der Jury beraten, um über Schuld oder Unschuld Chauvins zu befinden. Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen im US-Bundesstaat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Nach deutschem Recht entspräche dies eher dem Totschlag. Zudem wird Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Dieser Anklagepunkt entspräche nach deutschem Recht fahrlässiger Tötung. Chauvin hat auf nicht schuldig plädiert.

«Das war kein Polizeieinsatz, das war Mord», sagte Schleicher. «Der Angeklagte ist in allen drei Anklagepunkten schuldig. Alle. Und es gibt keine Rechtfertigung», sagte der Staatsanwalt.

Schleicher bezeichnete die Argumentation der Verteidigung, dass Floyd nicht infolge von Chauvins Gewaltanwendung gestorben sei, als «Unsinn». Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte zuvor argumentiert, dass Floyds vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut eine entscheidende Rolle bei seinem Tod gespielt hätten. Schleicher betonte, Floyd sei nicht an einem Herzinfarkt oder einer Überdosis gestorben, sondern an einem Mangel an Sauerstoff, der Hirnschäden verursacht und Floyds Herz zum Stillstand gebracht habe. Chuavin habe Floyd mit seinem Knie «den Sauerstoff abgeschnitten, den Menschen zum Leben brauchen». Daran gebe es keine Zweifel.

Für die Beratung der Geschworenen gibt es keine Zeitvorgabe – sie könnten innerhalb einer Stunde entscheiden oder nach einer Woche, wie Richter Peter Cahill vergangene Woche erklärte. Die Geschworenen dürfen während der Beratungen nicht mehr nach Hause gehen, sondern werden in einem Hotel untergebracht. Die Mitglieder der Jury bleiben aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.

Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen.

Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Pandemie eine Welle der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst – und wurde damit zur grössten Protestbewegung seit Jahrzehnten.

Die Erwartungen an das Verfahren sind immens. Viele Menschen, wohl auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA setzen wird – und dagegen, dass Sicherheitskräfte oft straffrei davonzukommen scheinen. Sollte Chauvin freigesprochen werden oder eine kurze Haftstrafe bekommen, weil die Geschworenen ihn zum Beispiel nur des Totschlags für schuldig befinden, dürfte es zu massiven Protesten kommen. Die Sicherheitskräfte haben ihre Präsenz in Minneapolis daher bereits verstärkt, viele Geschäfte bereits ihre Vitrinen verrammelt.

Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, erklärte am Montag, das Weisse Haus stehe mit dem Gouverneur und dem Bürgermeister in Kontakt. «Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass es Raum für friedliche Proteste gibt», sagte Psaki. Biden werde sich zu dem Urteil äussern, sobald es bekanntgegeben werde.

Chauvin war nach dem Vorfall vom 25. Mai entlassen worden. Er befindet sich gegen Kaution auf freiem Fuss. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.