International USA verlassen Abkommen über militärische Beobachtungsflüge

SDA

22.11.2020 - 13:20

ARCHIV – Das Abzeichen für die Mission «Offener Himmel» prangt am Arm eines Crew-Mitglieds eines Missionsflugzeugs der Bundeswehr (Archiv). Der vor sechs Monaten angekündigte Ausstieg der USA aus dem Abkommen über militärische Beobachtungsflüge ist wirksam geworden. Foto: Christian Charisius/dpa
ARCHIV – Das Abzeichen für die Mission «Offener Himmel» prangt am Arm eines Crew-Mitglieds eines Missionsflugzeugs der Bundeswehr (Archiv). Der vor sechs Monaten angekündigte Ausstieg der USA aus dem Abkommen über militärische Beobachtungsflüge ist wirksam geworden. Foto: Christian Charisius/dpa
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Mit dem Ausstieg der USA aus dem wichtigen Abkommen über militärische Beobachtungsflüge steht der Deal zwischen den meisten Nato-Staaten und Russland vor einer unsicheren Zukunft. Der vor einem halben Jahr angekündigte Ausstieg der USA wurde am Sonntag wirksam. Der Fortbestand des Vertrags ohne die USA hängt nun von Russland ab – bei einem Ausstieg der Atommacht wäre er hinfällig. Deshalb richtet sich der Blick nicht zuletzt auf den Sieger der US-Präsidentenwahl, den Demokraten Joe Biden, der Donald Trump im Weissen Haus am 20. Januar ablösen soll – und das Abkommen verteidigt.

Die Trump-Regierung hatte Ende Mai erklärt, dass sich die USA aus dem sogenannten Open-Skies-Vertrag über militärische Beobachtungsflüge zurückziehen. Als Grund gab Washington Vertragsverletzungen Moskaus an. Deshalb seien auch die USA nicht mehr an den Vertrag gebunden. Die Ankündigung löste international Irritation und Sorge aus.

Die USA hätten nicht einmal erklärt, warum sie aus dem Vertrag aussteigen, klagte Kremlchef Wladimir Putin bei einer Expertenrunde im Oktober. Die Nato-Staaten könnten so weiter russisches Territorium überfliegen und den Amerikanern sämtliche Informationen übergeben. Russland hingegen solle keine US-Informationen mehr bekommen, wolle aber nicht als «Dummkopf» dastehen, sagte Putin. «Lassen Sie uns doch ehrlich miteinander reden!», bot er an.

Später stellte Aussenminister Sergej Lawrow Bedingungen dafür, sollte Russland in dem Abkommen verbleiben. Er forderte am 12. November eine schriftliche Verpflichtung der Nato-Staaten, nach Beobachtungsflügen über Russland keine Daten mehr an die USA weiterzugeben. Und er warnte die Vertragspartner davor, auf Forderungen der USA einzugehen, in Europa keine russischen Beobachtungsflüge über amerikanischen Militärstützpunkten mehr zuzulassen.

«Das ist eine grobe Verletzung des Vertrags», sagte Lawrow. Die Möglichkeit einer Beobachtung von US-Aktivitäten etwa in Polen oder Deutschland gilt für Russland als attraktiv, weshalb das Land trotz massiver Bedenken in dem Abkommen verbleibt – vorerst zumindest.

Auch Deutschland will Russland in dem Abkommen halten. Die Bundesregierung sieht in dem Vertrag über den Offenen Himmel «einen wichtigen Bestandteil der europäischen Rüstungskontrollarchitektur», wie Bundesaussenminister Heiko Maas im Mai erklärte. «Er trägt zu Sicherheit und Frieden auf praktisch der gesamten Nordhalbkugel bei.»

Das Abkommen war 1992 geschlossen worden und trat 2002 in Kraft. Es erlaubte den bislang 34 Unterzeichnerstaaten unter bestimmten Regeln mehrere Kontrollflüge pro Jahr im Luftraum der Vertragspartner. So konnten die USA und Russland jeweils bis zu 42 Aufklärungsflüge im Jahr machen. Mehr als 1500 Beobachtungsflüge gab es bislang.

Nach langen Jahren des Kalten Krieges sollten die Kontrollflüge vor allem für Transparenz und Vertrauensbildung sorgen. Russland konnte aus der Luft sehen, wie sich in Europa und den USA militärische Stützpunkte entwickeln. Andersherum durften die Amerikaner und ihre Nato-Partner zur Beobachtung in den russischen Luftraum fliegen.

Die Streitigkeiten mit Moskau wurden bei der Ankündigung Washingtons von US-Sicherheitsexperten als vorgeschobenes Argument betrachtet. Vermutet wurde, dass Trump lieber an keine internationalen Vereinbarungen gebunden ist, als an solche, die kompliziert sind oder nicht 100-prozentig seinen Interessen entsprechen. Die USA haben unter dem Republikaner bereits zahlreiche internationale Abkommen verlassen. Unter anderem zogen sie sich aus dem Atomabkommen mit dem Iran, dem Pariser Klima-Abkommen und dem INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen zurück.

Wahlsieger Biden will diesen Kurs revidieren. Wenn sich der Open- Skies-Vertrag in den kommenden zwei Monate aufrechterhalten lässt, könnte der Demokrat ein Rückkehrmanöver erwägen – und damit nach vier Jahren Trump ein starkes Zeichen an die Nato-Partner senden. «Ohne uns könnte der Vertrag zerfallen», warnte Biden nach der Austrittsankündigung der Trump-Regierung im Mai.

Die Verbündeten hätten deutlich gemacht, dass sie wollten, dass die USA in dem Vertrag blieben. «Ein Austritt wird die wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und Russland verschärfen und die Risiken von Fehleinschätzungen und Konflikten erhöhen», erklärte er.

Nach Darstellung der US-Denkfabrik Brookings müsste sich Biden für eine Rückkehr Mehrheiten im US-Kongress beschaffen. Der russische Politologe Dmitri Susslow hält dies angesichts der Kräfteverhältnisse in Washington für «praktisch ausgeschlossen». «Biden wird weder in den INF noch in den Open-Skies-Vertrag zurückkehren», sagt er. Dennoch hofft Russland auf Biden.

Nach dem Open-Skies-Austritt könnte bei der Rüstungskontrolle ein grösserer Rückschlag erst noch bevorstehen: Die Zukunft des letzten grossen atomaren Abrüstungsvertrags New Start hängt weiterhin in der Schwebe. Der Vertrag läuft Anfang Februar 2021 aus, wenn sich Russland und die USA nicht auf eine Verlängerung einigen. Russland hat dies immer wieder gefordert – ohne greifbares Ergebnis bisher.

Der New-Start-Vertrag begrenzt die Nukleararsenale beider Länder auf je 800 Trägersysteme und je 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe. Biden hatte sich in der Vergangenheit für eine Verlängerung des Vertrags ausgesprochen. Allerdings bleibt ihm nach der Amtseinführung am 20. Januar dafür wenig Zeit. Sollte das Abkommen auslaufen, gäbe es erstmals seit Jahrzehnten kein Abkommen mehr, das dem Bestand an strategischen Atomwaffen Grenzen setzt.

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