Italien«Vater aller Populisten»: Berlusconi ist tot
SDA
12.6.2023 - 11:19
Für all die Höhen und Tiefen, Triumphe und Pleiten, Skandale und Errungenschaften, Abstürze und Comebacks von Silvio Berlusconi reicht ein Politikerleben eigentlich kaum aus.
Keystone-SDA
12.06.2023, 11:19
12.06.2023, 11:30
SDA
Er war Schnulzensänger auf einem Kreuzfahrtschiff, Immobilien- und Medientycoon, Fussball-Funktionär, Parteigründer, Ministerpräsident, verurteilter Steuerbetrüger und trotz aller Eklats und Fauxpas für einige Italiener bis zum Schluss ein Held. «Ich bin der Jesus Christus der Politik», hatte Berlusconi selbst 2006 einmal über sich gesagt. Viele sahen in ihm schlicht den Prototypen eines Populisten.
Kein anderer hat Italien seit Jahrzehnten so geprägt und verändert wie der eitle, egozentrische und oft peinliche Mann aus Mailand. Am Montag ist Berlusconi im Alter von 86 Jahren in einem Krankenhaus in Mailand gestorben.
Er wurde im Ausland stets belächelt und verspottet, war aber in der Heimat nicht unterzukriegen. «Berlusconismus» – sein politisches Auftreten hatte einen eigenen Namen. Mit einer Mischung aus Opportunismus, Dreistigkeit, Machismus, aber auch einem Gespür für Stimmungen im Land und dem grossen Einfluss seiner TV-Sender kam der studierte Rechtswissenschaftler und Selfmade-Milliardär nach oben.
Berlusconi war viermal Regierungschef, insgesamt kam er dabei auf mehr als neun Jahre im Palazzo Chigi – so lange war kein anderer in der italienischen Republik seit 1946 Ministerpräsident. Mit etlichen Skandalen und Justizverfahren besudelte er sich selbst aber das politische Erbe. Vor allem die sogenannte Bunga-Bunga-Affäre rund um Partys mit teils minderjährigen Frauen in seiner Privatvilla wird auch in der Erinnerung der Italiener und im Ausland immer mit dem «Cavaliere» (Ritter) genannten Politiker verbunden bleiben.
Berlusconi wurde am 29. September 1936 in Mailand als Sohn eines Bankangestellten und einer Hausfrau geboren. Er studierte Jura und verdingte sich als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen. Sein Aufstieg begann in den 60er Jahren in der Baubranche. In den 70er und 80er Jahren entdeckte er dann den Fernsehmarkt für sich. Er gründete eigene TV-Sender, die er später zum Einstieg in die Politik nutzte.
Dass er in jener Zeit auch den AC Mailand kaufte und diesen bis an die Spitze des europäischen Fussballs hievte, bestärkte 1994 viele in der Ansicht, dass Berlusconi ein Gewinner und Retter Italiens sei.
Der damals 57-Jährige siegte nur zehn Wochen nach der Gründung der Partei Forza Italia 1994 bei den Parlamentswahlen und formte seine erste Mitte-Rechts-Regierung. Kurz zuvor war das traditionelle Parteienbild in dem Mittelmeerland implodiert, als Ermittlungen Korruption und Amtsmissbrauch im grossen Stil auf höchster politischer Ebene zu Tage brachten. Grosse Parteien wie die Democrazia Cristiana verschwanden, Berlusconi nutzte die Gunst der Stunde. Seine Regierung hielt zwar nur wenige Monate – aber Berlusconi kam auf den Geschmack.
Der ehemalige Ministerpräsident und EU-Kommissar Mario Monti nannte Berlusconi einmal den «Vater aller Populisten».
Von 2001 bis 2006 und von 2008 bis 2011 stand Berlusconi drei weiteren Regierungen vor, ehe nach dem Rekord von insgesamt 3340 Tagen seine Zeit im Palazzo Chigi vorbei war. Kurz davor war bereits bekannt geworden, dass der verheiratete Mann junge Frauen zu privaten Feiern in seine Villa einlud – der Begriff «Bunga Bunga» war geboren. Die Welt lachte über den 1,64-Meter-Mann – und war entsetzt. Es folgten jahrelange Verfahren vor diversen Gerichten. Vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Förderung von Prostitution Minderjähriger wurde Berlusconi ebenso freigesprochen wie zuletzt in einem Prozess wegen Zeugenbestechung.
Noch wuchtiger als alle Sexskandale war die Finanzkrise, wegen der Italien just unter Ministerpräsident Berlusconi an den Rand des Staatsbankrotts schlitterte. Auf Druck internationaler Partner – und auch von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel – musste er Ende 2011 zurücktreten. Eine weitere Demütigung folgte 2013, als er wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde. Er wurde aus dem Parlament und in den Jahren danach grundsätzlich von politischen Ämtern ausgeschlossen.
Erst zur Europawahl 2019 durfte er wieder antreten und schaffte den Einzug in das EU-Parlament. Dort blieb er bis Oktober 2022, als er in den italienischen Senat – die kleinere der zwei Parlamentskammern – gewählt wurde. Den Traum, Staatspräsident zu werden, hatte er Anfang 2022 begraben müssen. Was wäre das für eine Pointe gewesen: Silvio Berlusconi als oberster Repräsentant Italiens in der Welt, der das Parlament auflösen, Regierungschefs beauftragen oder ablehnen darf!
Das höchste Amt im Staat hätte zum Selbstverständnis dieses Mannes gepasst, der Dreistigkeit zur Tugend erhob und das Frauenbild in Italien mit seinen TV-Shows voll halb nackter Tänzerinnen und sexistischer Bemerkungen nachhaltig zerstörte, wie Kritiker sagten. «Es gibt niemanden auf der Welt, der so tun kann, als könne er mit mir mithalten», sagte Berlusconi einmal über sich selbst.
In puncto Unterhaltungswert könnte das stimmen. Berlusconi sorgte in seiner langen Karriere für etliche teils kuriose, teils empörende Momente: 2003 schlug er den damaligen stellvertretenden Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, scherzhaft für eine Rolle als KZ-Aufseher in einem Film vor. 2009 brüskierte er Merkel beim Nato-Gipfel in Kehl, als er aus dem Auto stieg und dann mit dem Handy am Ohr minutenlang am Rheinufer entlang spazierte, statt die verblüffte Gastgeberin zu begrüssen.
Den Spielern seines neuen Vereins AC Monza versprach er Ende 2022 bei einer Weihnachtsfeier einen Bus voller Prostituierter, wenn diese gegen Topteams wie Juventus oder Milan gewinnen. Seine Freundin Marta Fascina – die mehr als 20 Jahre jünger ist als Berlusconis Kinder aus erster Ehe – sass dabei direkt neben dem feixenden Vereinspatron.
Im Ausland schüttelten viele den Kopf über Berlusconi, den 2013 der damalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück «einen Clown mit einem besonderen Testosteron-Schub» nannte. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fiel der Italiener gleich mehrmals mit Kommentaren auf, in denen er Verständnis für den guten Freund Wladimir Putin zeigte. Diese Aussagen eines Mannes im fortgeschrittenen Alter brachten die Regierungskoalition immer wieder in Erklärungsnot. In seiner Partei blieb Berlusconi bis zuletzt unumstritten – kein Wunder, war es doch der «Presidente» allein, der die Partei überhaupt noch zusammenhielt.
2010 hatte Silvio Berlusconi am Rande eines EU-Gipfels einmal so sein Lebensmotto formuliert: «Ich bin ein fröhlicher Mensch, ich liebe das Leben und die Frauen. Niemand wird mich dazu bringen, meinen Lebensstil zu ändern, ich bin stolz darauf.»
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