USA Vergiftete Atmosphäre im Washingtoner Kapitol

AP/toko

23.3.2021

Ilhan Omar, demokratische Kongressabgeordnete, beklagt das tief sitzende Misstrauen im Repräsentantenhaus.
Ilhan Omar, demokratische Kongressabgeordnete, beklagt das tief sitzende Misstrauen im Repräsentantenhaus.
Preston Ehrler/SOPA Images via ZUMA Wire/dpa

Der Angriff eines gewaltbereiten Mobs auf den US-Kongress ist zweieinhalb Monate her. Seitdem ist auch die Stimmung zwischen den Abgeordneten und Senatoren vergiftet. Corona sorgt für zusätzliche Spannungen.

Misstrauen durchzieht die Gänge des Kapitols in Washington, die Gräben zwischen den Politikern sind teils so tief, dass es zu Episoden wie dieser kommt: Ein Abgeordneter der Demokraten lässt den Fahrstuhl, auf den er gewartet hat, lieber vorbeifahren, als dass er zu republikanischen Kollegen zusteigt.

Seit dem Sturm aufs Kapitol, bei dem am 6. Januar ausser Kontrolle geratene Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump das Parlamentsgebäude verwüsteten, ist die Atmosphäre dort vergiftet. Die Demokraten machen einige der Republikaner für die Unruhen von damals mitverantwortlich. Zudem stellten sich einige aus Trumps Partei hinter die Lüge vom Wahlbetrug, indem sie an jenem Tag den Wahlsieg des neuen Präsidenten Joe Biden nicht bestätigen wollten.



Traumatisierte Abgeordnete

Es sind nicht nur die zerbrochenen Scheiben und Dellen in den Wänden die von dem beispiellosen Übergriff gegen Amerikas Demokratie zeugen, auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier, Senatorinnen und Senatoren sind traumatisiert. Sie wurden gejagt, in die Enge getrieben, manche verletzt. Fünf Menschen verloren ihr Leben.

Besonders im Repräsentantenhaus soll das Misstrauen tief sitzen. Es breche ihr das Herz, zu sehen, was aus dieser Institution geworden sei, sagt die Abgeordnete Ilhan Omar. «Wissen Sie, manchmal schliesse ich meine Augen und stelle mir diesen Ort so vor, wie er einmal war, wie einladend er war», erklärt die Demokratin aus Minnesota mit somalischen Wurzeln. Sie greife nun auf Taktiken zurück, die sie sich als Kind im Krieg angeeignet habe: Sie betrete das mit Stacheldraht abgeschirmte und von bewaffneten Nationalgardisten bewachte Kapitol, während sie in ihrem Kopf andere Bilder aufrufe. Sie rede sich dabei ein, was sie sehe, «ist nicht das, wie es wirklich ist».

«Die Stimmung ist wirklich vergiftet»

Rodney Davis aus Illinois stimmt zu. «Die Stimmung ist wirklich vergiftet», sagt der republikanische Abgeordnete. «Es ist eh schon total blöd, in der Minderheit zu sein», sagt er mit Blick auf die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus. «Aber es ist wirklich noch viel schlimmer, wenn es so eine stark aufgeheizte Stimmung zwischen den Parteien gibt.»

Greifbar war das in der vergangenen Woche, als es um die Verleihung einer Kongressmedaille an Sicherheitskräfte ging, die das Kapitol verteidigt hatten. Ein Dutzend Republikaner stimmten dagegen, offenbar auch weil in der Resolution von «Aufrührern» die Rede war, die den «Tempel» der amerikanischen Demokratie angegriffen hatten. Die Demokraten waren fassungslos.

Dazu kommt Corona: Statt Besprechungen im Kämmerlein, Treffen auf den Gängen und dem Zusammenkommen mit Besuchern gibt es virtuelle Konferenzen und Abstimmungen mit Abstand. Damit fehlen die Gelegenheiten, miteinander zu reden, Ideen auszutauschen – und die Ereignisse vom 6. Januar aufzuarbeiten und Ängste und gegenseitige Vorbehalten abzubauen.



Aber nicht nur in Fragen der Gesetzgebung gehen die Standpunkte oft weit auseinander. Aus den Reihen der Republikaner kommen noch immer Einstufungen des Sturms aufs Kapitol einfach als «Protest». Und auch die Corona-Regeln werden vielfach abgetan. Dutzende Kongressmitglieder haben sich bislang mit dem Coronavirus infiziert, zwei Republikaner starben mit Covid-19.

Mittlerweile sind viele Abgeordnete geimpft, doch die Gefahr ist auch im Kongress noch nicht gebannt. Vor allem für die Tausenden Mitarbeiter der Parlamentarier stehen noch nicht genug Impfdosen zur Verfügung.

Schlaflose Nächte

Vor diesem Hintergrund hat der republikanischen Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, mit einem Brief an die Parlamentsvorsitzende Nancy Pelosi weiter Öl ins Feuer gegossen. In dem Schreiben regte er an, dass das Parlament jetzt wieder den normalen Betrieb aufnehmen solle, nachdem 75 Prozent der Abgeordneten geimpft seien. Die Antwort Pelosis: Das Ziel sei ein 100-prozentiges Einhalten der Impfrichtlinien und Abstandsregeln.

In der Zwischenzeit geht es darum, irgendwie ein Miteinander zu schaffen. Das sehen Abgeordnete beider Seiten. «Es könnte sein, dass etwas Beziehungsarbeit nötig ist», räumt etwa der Republikaner Steven Palazzo aus Mississippi ein.

Die Szenen der Attacke vom 6. Januar hätten ihr schlaflose Nächte bereitet, sagt die Demokratin Norma Torres aus Kalifornien. Sie hoffe nun auf deutliche Signale ihrer republikanischen Kolleginnen und Kollegen, dass sie alle demselben Ziel verpflichtet seien, der amerikanischen Demokratie. Torres betont: «Wenn es wieder normal werden soll, müssen wir besser werden.»