Kolumne Was gibt es denn da zu lachen? Erinnerung an den DDR-Kurzbesuch

Von Markus Wanderl

9.11.2019

Am 9. November 1989 fällt in Berlin die 1961 errichtete Mauer – und die Menschen lassen daraufhin nicht nur die Seele baumeln. 
Am 9. November 1989 fällt in Berlin die 1961 errichtete Mauer – und die Menschen lassen daraufhin nicht nur die Seele baumeln. 
Bild: Getty

Heute vor 30 Jahren fiel die Mauer. Ich, im Westen Deutschlands im sogenannten Zonenrandgebiet aufgewachsen, erinnere mich an einen DDR-Kurzbesuch – sorry, aber es war gespenstisch.

Vor dem Fall der Mauer am 9. November 1989 wurde Westdeutschland von den Westdeutschen eher als Nord- und Süddeutschland gedacht. Man sagte eher nicht «Ostdeutschland», der Sprachgebrauch lautete meistens: DDR. Und im tiefen Westen Deutschlands, etwa in Köln, war die DDR wohl viel mehr Ausland als Frankreich. Und dann gab es das Zonenrandgebiet, das waren die Städte, Weiler, Landschaften nahe diesseits der Grenze. Dort wuchs ich auf.

Groteskerweise war vom «Westpaket» die Rede, wenn ein-, zweimal im Jahr ein Paket Süssigkeiten an die «befreundete» Klasse in der DDR zu schicken anstand. «Befreundet» ist hier deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil von Freundschaft nicht wirklich die Rede sein konnte – der Kontakt war nach einer Klassenfahrt an die innerdeutsche Grenze entstanden – inklusive Ausflug nach Eisenach (Thüringen, damals DDR), wo uns Westlern Hören und Sehen vergangen war.

Politisieren statt Plaudern

Denn während wir einfach nur mit den DDR-Schülern unbeschwert hatten plaudern wollen, hatte uns jener geschulte, indoktrinierte Gleichaltrige (das verstanden wir erst später) weismachen wollen, dass die DDR ein Musterstaat und als solcher der BRD in allen Belangen überlegen wäre.



Draussen, es waren immerhin die 80er-Jahre, lagen die Berge von Kohlen vor den morbiden Häusern meterhoch herum. Es war Spätherbst, es war nasskalt, aus den Kaminen quoll dichter Rauch, die Luft war zum Schneiden, weil schon geheizt wurde und die Trabis umherfuhren. In den Lebensmittelgeschäften war das Sortiment sehr überschaubar. Bananen? Null.

Auch wir West-Kinder hatten D-Mark in DDR-Mark tauschen müssen, wie das alle DDR-Besucher von 1964 bis 1989 tun mussten – und einige Klassenkameraden hatten es schnell bereut, sich für zehn oder zwanzig DDR-Mark eine DDR-Armbanduhr gekauft zu haben. Eine der Uhren war schon kaputt, kaum dass wir das Geschäft verlassen hatten. Die meisten anderen waren es innert der nächsten Woche. Unvergesslich bleibt der feixende Klassenkamerad, dessen Uhr hielt und hielt. Aber nach zwei Monaten hatte auch sie sich verabschiedet. Zur Reparatur in den Osten schicken, in die DDR? Guter Witz.

Berühmt-berüchtigte Grenzkontrolle

Auch auf der Rückfahrt kontrollierten DDR-Grenzpolizisten unseren Bus. Als ein Schulkamerad wegen irgendetwas lachte, dies nicht einmal lauthals, herrschte ihn ein Grenzpolizist an, was es denn zu lachen gebe – und visierte ihn dabei drohend an. Es wurde mucksmäuschenstill im Bus, und das Gefühl, das uns jener Mann vermittelt hatte, mit dem DDR-Besuch wie ein Verbrechen begangen zu haben, das hallte noch lange nach. Wir waren eben Kinder, erst an der Schwelle zur Jugendlichkeit.

Jahre später, beim Entscheid für die Schulabschlussfahrt des Jahrgangs, fiel Berlin als erste Idee, doch im Verlaufe votierten mehr für München. Nach Berlin, auf diese Insel, für die man das andere Deutschland durchqueren musste? Jenen graute es allein vorm nochmaligen Check an der deutsch-deutschen Grenze. Doch Berlin nicht zu besuchen, erwies sich für manche(n) als verpasste Gelegenheit. Denn bald – heute vor 30 Jahren –, fiel die Mauer. Und 1990 war die DDR tot.

1975: Autoschlangen zu Ostern am damaligen Autobahnkontrollpunkt Helmstedt-Marienborn an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
1975: Autoschlangen zu Ostern am damaligen Autobahnkontrollpunkt Helmstedt-Marienborn an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
Bild: PD
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