USA Warum Biden trotz Mehrheiten nicht durchregieren kann

SDA

3.2.2021 - 15:14

dpatopbilder - Joe Biden, Präsident der USA, unterzeichnet eine Executive Order zur Einwanderung im Oval Office des Weißen Hauses. Foto: Evan Vucci/AP/dpa
dpatopbilder - Joe Biden, Präsident der USA, unterzeichnet eine Executive Order zur Einwanderung im Oval Office des Weißen Hauses. Foto: Evan Vucci/AP/dpa
Keystone

Kritiker des neuen US-Präsidenten Joe Biden werfen dem Demokraten vor, eigenmächtig mit Anordnungen zu regieren, statt auf das Parlament zu setzen. Das Weisse Haus wirbt dagegen damit, dass Biden «keine Zeit verschwendet hat, historische Massnahmen zu ergreifen und seine Versprechen an das amerikanische Volk zu erfüllen». In seinen ersten 14 Tagen im Weissen Haus hat Biden 28 Verfügungen ("Executive Orders") unterzeichnet – vier Mal so viele wie sein Vorgänger Donald Trump im selben Zeitraum. Hinzu kommen präsidiale Proklamationen und Memoranden, die ebenfalls den Charakter von Anordnungen haben. Durchregieren kann Biden trotzdem nicht – obwohl seine Demokraten beide Kammern im Kongress kontrollieren.

In hoher Geschwindigkeit hat Biden Massnahmen etwa im Kampf gegen die Corona-Pandemie und den Klimawandel angeordnet und so auch zahlreiche Entscheidungen Trumps revidiert. Am Dienstagabend leitete er mit seiner Unterschrift unter gleich drei Verfügungen eine grundlegende Abkehr von Trumps restriktiver Migrationspolitik ein – und verteidigte zugleich seinen intensiven Einsatz von Verordnungen und Erlassen gegen Kritik. «Ich mache keine neuen Gesetze, ich eliminiere schlechte Regelungen», sagte Biden am Dienstag im Oval Office.

Der Vorteil dieser Verfügungen, zumindest aus Sicht des Präsidenten: Er kann sie ohne Zustimmung des Kongresses erlassen. Der Nachteil: Sie können sehr kurzlebig sein, eben weil sie vom Repräsentantenhaus und dem Senat – den beiden Kammern im US-Parlament – nicht als Gesetz verabschiedet wurden.

Besonders deutlich zeigt sich das bei einer Anordnung, die im Januar 1985 vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan erlassen wurde. Sie sieht vor, dass ausländische Hilfsorganisationen nur dann von den USA gefördert werden dürfen, wenn sie sich verpflichten, Abtreibungen weder auszuführen noch zu fördern. Unter allen folgenden demokratischen Präsidenten wurde diese Praxis zurückgenommen, unter allen republikanischen Präsidenten wurde sie wieder eingeführt. Trump weitete sie sogar noch aus, bevor Biden sie nun wieder abschaffte.

Gesetze sind erheblich langlebiger als Verfügungen, die vom Nachfolger im Weissen Haus mit einer Unterschrift revidiert werden können. Gesetze bieten auch erheblich mehr Rechtssicherheit: Jedes Bundesgericht in den USA kann eine Anordnung des Präsidenten zumindest vorübergehend wieder ausser Kraft setzen, und zwar landesweit. Auch Biden hat diese Erfahrung schon machen müssen: In der vergangenen Woche gab ein Bundesrichter in Texas einem Antrag des dortigen republikanischen Justizministers Ken Paxton statt und setzte einen von Bidens Regierung verfügten Abschiebestopp wieder aus.

Die Schwierigkeit bei Gesetzesvorhaben: Mit zunehmender Polarisierung in den USA scheitern sie immer häufiger in einer der beiden Kammern im Kongress. In der vergangenen Legislaturperiode tat sich als Blockade-Instanz besonders der Senat unter dem republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell hervor, der sich selbst als «Gevatter Tod» für Vorhaben aus dem demokratisch dominierten Repräsentantenhaus bezeichnete. McConnell liess etliche dort verabschiedete Gesetzesentwürfe gar nicht erst zur Abstimmung im Senat zu.

Inzwischen ist McConnell zwar vom Mehrheits- zum Minderheitsführer abgestiegen und Bidens Demokraten kontrollieren neben dem Repräsentantenhaus auch den Senat, allerdings nur mit einer hauchdünnen Mehrheit: Sowohl Republikaner als auch Demokraten haben 50 Sitze, bei einem Patt kann aber die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris – die zugleich Präsidentin des Senats ist – die ausschlaggebende Stimme abgeben. Das reicht allerdings nicht, um eine berüchtigte Vorgabe auszuhebeln: Die sogenannte Filibuster-Regel, die im Grundsatz seit mehr als hundert Jahren gilt.

Sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat genügt zur Verabschiedung von Gesetzen eine einfache Mehrheit. Im Senat kommt mit der Filibuster-Regel aber eine Besonderheit hinzu. Sie besagt, dass bei gewöhnlichen Gesetzesvorhaben 60 der 100 Senatoren einem Ende der Debatte zustimmen müssen, damit es überhaupt zur Abstimmung kommen kann. Mit einem Sonderverfahren ("Reconciliation") wurden 1974 bestimmte Gesetze, die den Haushalt betreffen, ausgenommen. Das wäre ein möglicher Weg für Biden, sein geplantes Corona-Hilfspaket im Billionen-Umfang ohne Unterstützung von Republikanern durchzubekommen – aber nur dann, wenn alle Demokraten im Senat an einem Strang ziehen.

Die Filibuster-Regel zielt darauf ab, dass bei knappen Mehrheiten die dominierende Partei den Kompromiss zumindest mit Teilen der Minderheit suchen soll. In der Realität führt sie dazu, dass viele Gesetzesentwürfe auf der Strecke bleiben. Tatsächlich könnte sie mit der dramatisch benannten «Nuklearen Option» abgeschafft oder gelockert werden: Für verfahrenstechnische Änderungen reicht im Senat die einfache Mehrheit. Beide Parteien schrecken aber vor diesem Schritt zurück – weil sowohl Demokraten als auch Republikaner wissen, dass sie irgendwann wieder in der Minderheit sein werden.

Der damalige Senator Tom Udall warb in seiner Abschiedsrede im Dezember dennoch dafür, die Filibuster-Regel abzuschaffen. Er argumentierte, die Vorgabe habe dazu beigetragen, die Parlamentskammer zu einem «Friedhof für den Fortschritt» zu machen. «Ich bin nicht der erste, der das in seiner Abschiedsrede sagt, und ich werde nicht der letzte sein», meinte der Demokrat. «Aber der Senat ist kaputt.»

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